Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

 

«Koloniale Handlungsmuster bestehen fort»

Kolonialismus und die Schweiz? Auf den ersten Blick klingt die Beziehung absurd. Doch machen neue Forschungserkenntnisse und eine Veranstaltungsreihe an der Universität Zürich Sklaverei und Kolonialismus auch hier zum brisanten Thema. Wie ist mit der Vergangenheit umzugehen? Und sieht sich die Schweiz gar bald mit neuen Reparationsforderungen konfrontiert? Unipublic sprach darüber mit Geschichtsprofessorin Gesine Krüger, Afrikaspezialistin und Mitorganisatorin der Veranstaltungsreihe «Afrika im Wandel».
Das Gespräch führte Sascha Renner

Kategorien

Geschichtsprofessorin Gesine Krüger verbindet prsönliches mit analytischem Interesse an Afrika.

unipublic: Afrika ist zurzeit auch im Kino ein Thema. «Die weisse Massai» erzählt die Geschichte einer Europäerin, die sich in einen afrikanischen Krieger verliebt. Haben Sie den Film gesehen?

Gesine Krüger: Ja, schon das Buch hatte ich gekauft. Wahrscheinlich weil ich den Titel so absurd fand und dachte, ich wollte mal wissen, was dahinter steckt. Mich interessieren eben diese ganzen Exotismusgeschichten schon lange. Der Film hat letztendlich wenig zu tun mit Afrika. Es handelt sich um eine mitreissende Lebensgeschichte einer Frau, jedoch geprägt durch viel Ahnungslosigkeit und kulturelle Ignoranz.

Haben Sie denn kein Verständnis für die Sehnsucht der Menschen in Europa nach Exotik und Abenteuer?

Persönlich habe ich natürlich Verständnis dafür, ich bin schliesslich auch seit 20 Jahren fast jedes Jahr in Afrika. Wichtiger aber als persönliche Motive finde ich die analytische Ebene: Warum ist Afrika einerseits der Krisen- und Katastrophenkontinent, der anderseits gerade die Sehnsüchte nach dem Ursprünglichen, Naturhaften und Primitiven bedient?

Wie erklären Sie sich diese ambivalente Wahrnehmung? Ist Afrika schlicht eine Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und Ängste?

Natürlich kann man nicht davon sprechen, dass Afrika nur Projektionsfläche ist. Wenn man den «Spiegel» von letzter Woche liest über die afrikanischen Diktaturen, die komplizenhaft von China und vom Westen gestützt werden, wenn man sich die Auswirkungen von Aids veranschaulicht, dann kann man nicht behaupten, das seien nur Horrormeldungen, die mit der Realität nicht viel zu tun hätten. Daneben gibt es aber auch verschiedene Formen der Afrikabegeisterung. Das so genannt Naturhafte und Wilde, aber auch die Grandiosität der afrikanischen Königtümer haben immer auch angezogen und Begehren geweckt.

Sie sagen «komplizenhaft gestützt»: Sehen Sie Grund zu der Annahme, dass koloniale Handlungsmuster fortbestehen?

Ich glaube, dass koloniale Handlungsmuster ganz unbedingt fortbestehen. Nicht so sehr im Tourismus, das sind eher naive Aneignungen des angeblich ganz anderen. Der Kolonialismus besteht vielmehr innerhalb von Afrika fort. In Form der ererbten Strukturen des Militärs und des Staates. Oder dann, wenn für praktisch jedes Krisenphänomen der Kolonialismus verantwortlich gemacht wird. Axelle Kabou, die Autorin von «Weder arm noch ohnmächtig», bezeichnet dies in ihrem Buch als das Schuldverhältnis zwischen den afrikanischen Ländern und dem Westen.

Die Veranstaltungsreihe «Afrika im Wandel» nimmt Afrika unter verschiedenen Gesichtspunkten unter die Lupe.

Sie referieren in der Veranstaltungsreihe «Afrika im Wandel» an der Universität Zürich zum Thema Vergangenheitsbewältigung mit speziellem Blick auf den Kolonialismus und die Sklaverei in Afrika. Wo stehen wir in diesem Prozess?

Ich habe neulich gelesen, dass die grosse Welle der Wiedergutmachungsforderungen bereits wieder vorüber ist. Ich glaube das nicht. Es handelt sich dabei um eine internationale Bewegung, die seit Ende der 80er-Jahre weltweit wächst. Sicher wird es keine materielle Wiedergutmachung für Sklaverei oder Kolonialismus nach dem Beispiel der Jewish Claims Conference geben. Wesentlich ist meines Erachtens aber, was Elazar Barkan eine neue moralische Sprache der Restitution genannt hat: dass Betroffene überhaupt ihre Stimme erheben können, und dass sie einfordern, dass Leid anerkannt wird.

Also Hauptsache Anerkennung, um materielle Kompensationen brauchen wir uns gar nicht zu kümmern?

Ich meine das nicht zynisch. Nur lässt sich im Fall der Sklaverei ja heute kaum sagen, wer die Opfer und wer die Täter sind. Wole Soyinka hat zum Beispiel gesagt, wenn die Integration der Schwarzen in den USA besser geklappt hätte, dann würde man heute Afrika verklagen, nach dem Motto: «Warum habt ihr uns verkauft?». Allein die Definition, wer schwarz ist, ist in den USA problematisch. Wenn jemand ein schwarzes Grosselternteil hat, ist er dann schwarz oder nicht? Trotz dieser Schwierigkeiten reicht es selbstverständlich nicht, einzig auf einer symbolischen Ebene zu handeln.

Wie hätten also Wiedergutmachungen konkret auszusehen?

Es gibt Vorschläge, Fonds einzurichten, die versuchen, Ausgleich zu schaffen, in Form von Stipendien zum Beispiel. Auch lassen sich materielle Entschädigungen erbringen, wenn man Museen unterstützt oder in New York einen Sklavenfriedhof – enorm teures Bauland – teilweise konserviert, wie kürzlich geschehen. In den USA stellt natürlich auch die ganze Affirmitive Action (eine Quotenpolitik zur Förderung von Minderheiten, Anm. d. Red.) unausgesprochen eine Art Wiedergutmachungsleistung für die Folgen der Sklaverei dar.

Welche Verantwortung trägt dabei die Schweiz?

Natürlich war die Schweiz im Überseehandel im 19. Jahrhundert äusserst stark engagiert und hat insofern vom Kolonialismus mit profitiert. Trotzdem wäre es absurd, die damalige Schweiz zu einem mentalen Kolonisator zu erklären. Dass Länder wie die Schweiz oder auch Dänemark heute damit beginnen, sich mit ihrer kolonialen Vergangenheit zu befassen, ist meines Erachtens vielmehr Teil eines Prozesses, global nach Verantwortung zu fragen. Kolonialismus und Sklaverei sind zwei Themen, an denen die Schweiz sozusagen erneut ihre internationale Vernetzung auch in einer historischen Perspektive sieht. Vielleicht auch auf einem Feld, das nicht so weh tut wie etwa die nachrichtenlosen Vermögen. Der Schweiz eröffnet sich so die Chance, ihr Selbstbild der kleinen abgeschlossenen und neutralen Nation erneut zu prüfen und zu entscheiden, ob daran gearbeitet werden muss.