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Pathos und Witz

Brasilianische Saudade und russische Schwermut: ein Wechselbad der Gefühle bietet das neue Konzertprogramm des Akademischen Orchesters Zürich. Am Mittwoch war Premiere in der Tonhalle.
Roger Nickl

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Tragik und Komik liegen im aktuellen Programm des Akademischen Orchesters Zürich (AOZ) nahe beieinander. Auf der einen Seite russische Melancholie, auf der anderen südländische Leichtigkeit: Mit Peter Tschaikowskys «Pathétique» und Darius Milhauds «Scaramouche» waren am Donnerstagabend zwei sehr unterschiedliche Werke in der gut besuchten Zürcher Tonhalle zu hören. Ergänzt wurden sie durch die «Freischütz»-Ouvertüre und das Concertino für Klarinette von Carl Maria von Weber (1786-1826).

Johannes Schlaefli

Verwackelte Postkartengrüsse

Zwischen 1916 und 1918 arbeitete Darius Milhaud (1892-1974) als Attaché des französischen Botschafters, des Dichters Paul Claudel, in Rio de Janeiro. Das Leben in der brasilianischen Metropole ging am Schaffen des Komponisten aus der Provence nicht spurlos vorbei. Dies belegt auch die, ursprünglich für zwei Pianistinnen geschriebene, Suite «Scaramouche» für Klarinette und Orchester. Scaramouche oder italienisch Scaramuccio heisst eine der Narrenfiguren der Comedia dell’Arte. Schräge Streichersätze und eine zuweilen beschwipste Klarinette – verspielt, witzig und karnevalesk ist auch Milhauds Werk. Die drei Teile der Suite wirken wie leicht verwackelte Postkartengrüsse aus dem fernen Südamerika, musikalische Erinnerungen an die brasilianische Ausgelassenheit und an den aufmerksam gehegten Sehnsuchtskult, die legendäre Saudade.

Milhaud foutierte sich um die Unterscheidung zwischen «seriöser» und «populärer» Musik. So würzte er auch seine «Scaramouche»-Suite mit Versatzstücken aus südamerikanischer Folklore, Ragtime und Jazz. Für das differenziert agierende AOZ unter der Leitung von Johannes Schlaefli und den souveränen Solisten Dimitri Ashkenazy, der seine Virtuosität schon zuvor in Carl Maria von Webers Es-Dur-Concertino unter Beweis stellte, eine ideale Grundlage um in ausdrucksstarken Klangfarben zu schwelgen. Auf den Wellen von Milhauds Musik reitend, konnte Askhenazy alle Register seines Instruments ziehen – von samtweichen Bässen bis zu schrillen Klezmer-Klängen.

Dimitri Ashkenazy

Musikalisches Testament

Von seiner sechsten Sinfonie in h-Moll, der «Symphonie pathétique» schrieb Peter Tschaikowsky (1840-1893), er habe seine ganze Seele hineingelegt. Das Werk wurde zum musikalischen Testament des russischen Komponisten. Eine Woche nach der Uraufführung in St.Petersburg starb Tschaikowsky – ob an der Cholera oder ob er, wie Gerüchte besagen, Selbstmord beging, weiss man bis heute nicht. Getragene Melodiebögen und drängende Rhythmik: Die «Pathétique» ist eine Komposition mit Brüchen und Stimmungswechseln. Der melancholische Grundton der Rahmensätze wird durch die beiden Mittelsätze, einen sentimal-bewegten Walzer im 5/4-Takt und einen beschwingten Marsch, kontrastiert. Für eine kleine Revolution sorgte das Finale der Sinfonie: Mit dem Schlusssatz, den er nicht wie bis dato gewohnt in einem strahlenden Allegro, sondern in einem gedämpften «Adagio lamentoso» ausklingen lässt, hat Tschaikowsky, die damals gängige sinfonische Dramaturgie schlicht auf den Kopf gestellt.

Pathos ohne Kitsch

Nicht zuletzt durch ihre expressive Emotionalität, die man auch allzu süss interpretieren könnte, stellt Tschaikwoskys Sechste ein Orchester vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Das AOZ löste sie hervorragend: Es zeigte, dass Pathos auch ohne Kitsch möglich ist. Ganz generell ist erstaunlich, was das Amateur-Orchester, das sich aus Studierenden und Assistierenden von Universität und ETH Zürich zusammensetzt, zu leisten vermag. Die Musikerinnen und Musiker spielen unter Johannes Schlaefli beweglich und präzis, der Orchesterklang ist ausgewogen und transparent.

Dies zeigte sich bereits bei der «Freischütz»-Ouvertüre, mit der das Konzert eröffnet wurde. Das Vorspiel zu Webers berühmter Oper beginnt mit dunklen Streicherklängen; die Hörner markieren in der Tradition der Romantik den deutschen Wald, den Schauplatz der folgenden Handlung. Aus dieser geheimnisvollen Düsternis schraubt sich das Orchester allmählich empor bis zum gleissenden Schlussakkord in C-Dur – auch dies ein Wechselbad der Gefühle. Nach der gelungenen Premiere in Zürich geht das AOZ nun auf Tournee nach Singapur und Kuala Lumpur.

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