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Ausstellung

Schüler und Opfer der Medizin

Paul Klees Verhältnis zur Medizin war ein gespanntes – eine leidvolle Krankengeschichte verbindet sich mit dem Vorwurf der Geisteskrankheit. Erstmals untersucht nun eine Ausstellung diese Verflechtungen. «Paul Klee und die Medizin» im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich wirft einen neuen Blick auf den berühmten Maler.
Sascha Renner

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Die massstabsgetreue Rekonstruktion von Paul Klees Berner Atelier ist eindrückliches Schaustück und Infobox zugleich.

Von der originalen Zeichnung bis zur Balkontür

Hier stimmt alles bis ins letzte Detail. «Sogar die Farbe der Tapete haben wir rekonstruiert», freut sich Walther Fuchs. «Ocker.» Der Kunsthistoriker hat das Berner Atelier des berühmten Schweizer Malers Paul Klee (1879–1940) für die Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum massstabsgetreu nachbauen lassen. «Paul Klee und dieMedizin» untersucht erstmals die Begegnungen des Künstlers mit der Medizin, und die sind vielfältig – angefangen bei den Anatomiestudien des jungen Malers über die Verfemung seiner Kunst als krankhaft bis hin zu seiner ganz persönlichen, fünfjährigen Leidensgeschichte an seinem Lebensende. Die Ausstellung stellt all dies mit einer Fülle an kulturhistorischen Materialen dar, zeigt aber auch originale Werke des herausragenden Modernisten.

Projektleiter Walther Fuchs.

Eröffnet wird mit einem überraschenden Frühwerk: einer detailgenauen Studie eines geöffneten menschlichen Arms. Klee hat sie im Alter von 24 Jahren geschaffen, als er an der Universität Bern einer Vorlesung über plastische Anatomie folgte und sich gar an Sektionen beteiligte. Zu diesem gründlichen Studium veranlasste ihn die Kritik seiner Zeichenlehrer: Sie bemängelten seine «total fehlende Anatomie» (Klee in seinem Tagebuch), deren Beherrschung damals noch zum Kanon an den Akademien gehörte. Klee sollte sich jedoch schon bald radikal von der realistischen Tradition abwenden, wie die Radierung «Jungfrau im Baum» (1903) zeigt: Verzerrte Proportionen künden vom avantgardistischen Anspruch, der inneren Vorstellung und nicht dem Auge zu folgen. Dass das Anatomiestudium trotzdem nachhallt, zeigt die Ausstellung mit Klees kubistisch zersplittertem Werk «Anatomie der Aphrodite» (1915): Sowohl der Titel als auch der angedeutete weibliche Akt lassen an medizinische Schaumodelle denken, wie sie zu Ausbildungszwecken verwendet werden.

Wenn Medizin krank macht

Wie Klee vom Schüler zum Opfer der Medizin wurde, erläutert das zweite Kapitel der Ausstellung – zugleich auch ihr düsterstes. Es beginnt mit der hohen Wertschätzung, die Klee dem kreativen Schaffen von Kindern, Geisteskranken und «Primitiven» beimass. Dieses sei «tief ernst zu nehmen, ernster als sämtliche Pinakotheken, wenn es gilt, heute zu reformieren», schrieb er 1912. Nicht alle dachten jedoch so: Kritiker und Ärzte zogen alsbald Rückschlüsse von Klees «kindlicher» Formensprache auf dessen Geisteszustand – was 1922 in der Diagnose «Stille Schizophrenie» gipfelte. Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die Pathologisierung Klees und vieler anderer Modernisten jedoch mit den Nazis: Im Führer zur Ausstellung «Entartete Kunst» von 1937 ist auch ein Werk von Klee abgebildet – im Kapitel «Vollendeter Wahnsinn», Seite an Seite mit der Zeichnung eines Psychiatriepatienten. Subtiler, aber nicht weniger verletzend war da der Kritiker der NZZ: In einem Kalauer apostrophierte er die Ausstellung Klees im Kunsthaus Zürich von 1940 als «Schizophrenelisgärtli».

Von den Nazis als «entartet» gebrandmarkt: Paul Klees Farblithografie «Die Heilige vom innern Licht» von 1921.

Überlebenskampf und Schaffensdrang

Das dritte und vierte Kapital der Ausstellung widmen sich schliesslich der Krankengeschichte sowie den Ärztebeziehungen, die Paul Klee freundschaftlich oder als Patient unterhielt. Diese Kontakte waren zahlreich, denn eine abschliessende Diagnose seines Leidenserhielt der Künstler nie. Heute vermutet manSklerodermie, eine Bindegewebsverhärtung. Präparate aus der Moulagensammlung der Universität Zürich illustrieren die äusserlichen Symptome dieses Leidens realistischer, als einem lieb ist. Trotzdem blieb der Schaffensdrang des Künstlers ungebrochen – unglaubliche 1253 Bilder schuf er im Jahr vor seinem Tod. Eines davon scheint im begehbaren Atelier gerade in Arbeit zu sein. Weitere originale Reliquien umfassen den Schrank, in dem Klee seine Malutensilien aufbewahrte, seinen geliebten Breuer-Stahlrohrstuhl sowie sämtliche Türen und Fenster seines Werkraums.

Rekonstruierten Klees Atelier samt Staffelei: Martin Kämpf (links) und Andreas Brodbeck vom Ausstellungsdienst der Universität Zürich. Der Ausstellungsdienst betreut vier Universitätsmuseen und realisiert jährlich bis zu zehn Ausstellungen. Nicht auf dem Bild: Frank Lenz.

Wegweisende Zusammenarbeit über die Fachgrenzen

Die Ausstellung unterlässt es wohlweislich, zwischen dem Gesundheitszustand des Malers und der Produktion der Krankheitsjahre ursächliche Bezüge herzustellen. Trotzdem wird hier die Überzeugung zur Schau getragen, dass eine breite kulturhistorische Betrachtung viel zum Verständnis eines Oeuvres beitragen kann. Filme, Animationen, Objekte und Archivalien machen es auf neue Art lesbar. Hinter der Ausstellung stehe denn auch ein interdisziplinärer «Thinktank» aus Medizin, Geschichte und Kunsthistorie, wie Projektleiter Walther Fuchs erklärt. Es ist das Verdienst dieser Schau, all diese unterschiedlichen Kapazitäten zusammenzuführen – von Kunsthistoriker PD Wolfgang Kersten, dem grossen Kleespezialisten, bis hin zu Michael Geiges, Oberarzt am Universitätsspital Zürich und Kurator der universitären Moulagensammlung. Entstanden ist so eine dichte und abwechslungsreiche Präsentation, die nicht nur unterhält, sondernauch den neusten Stand der Kleeforschung darstellt.

Sascha Renner ist Redaktor des unjournals und Journalist BR.

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