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Interview mit Prorektor Alexander Borbély

«Universitäten brauchen Diversität und Konkurrenz»

Die Universität Zürich will mit ihrer Forschung international an der Spitze mithalten. Ist sie dazu in der Lage? Was wird dafür getan? Welche Rolle spielt die ETH? Ein Gespräch mit Professor Alexander Borbély, Prorektor Forschung.
Thomas Gull

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«Früher gingen viele Nachwuchsforscher nach Amerika und kamen nicht mehr zurück. Heute gibt es auch Chancen in Europa.»

Herr Borbély, Sie sind selber Forscher: Welche Voraussetzungen braucht es, um erfolgreich forschen zu können?

Alexander Borbély: Man muss eingebettet sein in eine Forschungsgemeinschaft. Dabei spreche ich von der Forschung, die ich gut kenne, der Medizin. Es gibt jedoch Bereiche der Forschung, die überhaupt nicht dazu gehören, wo die Forscherinnen und Forscher eher auf eigene Faust forschen.

Man hört immer wieder von jungen Forscherinnen und Forschern, die in der Schweiz keine befriedigende Anstellung finden und deshalb in die USA gehen. Gibt es einen Brain Drain?

Borbély: Das ist ein echtes Problem. Einerseits, weil wir nicht genug Stellen haben, um allen, die gut sind, eine anbieten zu können. Andererseits versuchen wir nach wie vor, international auszuschreiben und nicht nur den Schweizer Nachwuchs zu berücksichtigen, sondern die Besten der Welt oder Europas. Das ist etwas widersprüchlich, etwa wenn Schweizer Nachwuchskräfte den zweiten Platz erreichen und eine ausgeschriebene Stelle nicht erhalten. Das ist für sie natürlich enttäuschend. Hier kollidieren zwei Interessen: Auf der einen Seite die Nachwuchsförderung, auf der andern der Anspruch, international mithalten zu können. Das können wir nur, wenn wir die besten Leute nach Zürich holen. Ich empfehle den jungen Forscherinnen und Forschern, mobil zu sein und sich nicht nur hier zu bewerben, sondern in ganz Europa, oder darüber hinaus. Das führt zu einer gewissen Fluktuation. Ob man deshalb von einem Brain Drain sprechen kann? Früher gingen viele nach Amerika und kamen nicht mehr zurück. Das ist heute nicht mehr so extrem. Es gibt jetzt auch Chancen in Europa.

Die Förderprofessuren des Nationalfonds etwa sind sehr attraktiv. Sie sollen jetzt auf 150 aufgestockt werden. Damit eröffnen sich für Nachwuchsforscherinnen und -forscher Möglichkeiten, die es früher nicht gab.

«Bei den Berufungen kollidieren zwei Interessen: die Nachwuchsförderung und der Anspruch, international mithalten zu können.»

Die Universität Zürich hat sich in den vergangenen Jahren «Exzellenz» auf die Fahnen geschrieben. Was verstehen Sie darunter?

Borbély: Das bedeutet beispielsweise, dass in einem Fachbereich eine Gruppe aus Zürich zu den Besten der Welt gehört. Das zeigt sich an verschiedenen Indikatoren wie Preisen, Rufen von jungen Forschern an andere Hochschulen, Einladungen an wichtige Kongresse und Publikationen in den besten Wissenschafts-Journals. Die Konkurrenz ist weltweit sehr gross, wenn Zürich da auf einigen Gebieten mithalten kann, ist das sehr gut.

Es ist unbestritten, dass die Universität Zürich auf gewissen Gebieten Weltklasse ist. Nur ist das ein kleiner Bereich der gesamten Forschung an der Universität. Was passiert mit dem Rest? Begnügt man sich da mit Mittelmässigkeit?

Borbély: Keineswegs. Wir versuchen, überall durch unsere Forschungskultur das Niveau anzuheben, und bemühen uns, Forschende und Dozierende mit hohem Niveau zu haben, auch wenn sie nicht unbedingt an der internationalen Spitze sind. Alle wissen, dass die eigene Leistung zählt und von der Universität wahrgenommen wird. Das gilt nicht nur für die Spitzenränge. Wobei wir natürlich die Spitze anstreben.

Hat sich das in den letzten Jahren geändert? Ist die Universität kompetitiver geworden, sind die Anforderungen gestiegen?

Borbély: Die Anforderungen sind expliziter als früher. Beispielsweise die Drittmittel: Früher hat man nicht im gleichen Ausmass wahrgenommen, dass die Drittmittel ein Indikator für Erfolg sind.Eine weitere Neuerung ist die Unabhängigkeit von jüngeren Gruppen. Das hat sich erst in den letzten Jahren etabliert. Früher ging man zu einem arrivierten Professor, musste sich empordienen und hatte wenig Kompetenzen, bis man oben ankam. Heute versucht man, so genannte Junior Groups zu bilden, die eigene Forschungsgebiete haben und selber dafür sorgen müssen, dass sie Studierende und Doktorierende haben.

Die Universität hatseit 2001 einen eigenen Forschungskredit. Für die Nachwuchsförderung stehen daraus jährlich 4 Millionen Franken zur Verfügung. Welche Ziele verfolgt die Universität damit?

Borbély: In den Geistes- und Sozialwissenschaften werden Dissertationsprojekte unterstützt, in den Naturwissenschaften auch Postdoc-Projekte. Mit dem Forschungskredit werden jene vielversprechenden Forscherinnen und Forscher gefördert, die noch nicht qualifiziert genug sind, um beim Nationalfonds eigene Projekte einzureichen. Gerade Doktorierende der Philosophischen Fakultät haben wenig Chancen, wenn sie selber beim Nationalfonds einen Kredit beantragen. Wir bieten eine Starthilfe und hoffen, dass die Besten weitermachen, mit einer Habilitation, dass Postdocs Gelegenheit bekommen, nach Amerika zu gehen, oder dass sie aufgrund ihrer Forschungsergebnisse Nationalfondsprojekte einreichen können.

«Mit dem Forschungskredit bieten wir eine Starthilfe.»

Weshalb wird in diesem Ausmass Nachwuchsförderung betrieben, wenn man den Leuten dann ohnehin keine entsprechenden Stellen anbieten kann?

Borbély: Selbstverständlich werden nicht alle der Geförderten akademische Karriere machen, aber wir fördern eine breite Schicht von sehr guten Leuten. Das Niveau ist erstaunlich hoch. Mit einem Doktorat stehen auch andere Karrieren offen.

Die Forschung steht in einem Spannungsfeld mit der Lehre. Oft wird kritisiert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berufen werden, die als Forscher einen hohen Standard haben, aber in der Lehre nicht besonders kompetent sind. Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Forschung und Lehre bei Berufungen?

Borbély: Unser akademisches System basiert auf der wissenschaftlichen Leistung. Sie ist für uns sehr wichtig. Aber die Leute müssen bei uns ihr Wissen auch weitergeben. In letzter

Zeit ist man vermehrt darauf aufmerksam geworden, wie wichtig das ist. Mit der Bologna-Reform erhält die Lehre noch mehr Gewicht.

Es werden kleinere Gruppen gebildet, und es könnte auch bei der Lehre mehr Wettbewerb geben. Das heisst, dass die Studierenden dort studieren, wo sie etwas davon haben. Die Lehre wird zudem auch systematisch evaluiert. Bei den Berufungen fällt die wissenschaftliche Qualifikation tatsächlich sehr stark ins Gewicht. Es ist glücklicherweise selten, dass jemand als Wissenschaftler hervorragend ist, aber eine totale Null in der Lehre. Bei der Lehre kann man eher noch nachholen, während bei jemandem, der während Jahrzehnten keine gute Wissenschaft gemacht hat, die Möglichkeiten zur Verbesserung sehr beschränkt sind.

«Wenn jemand berufen wird, wollen wir wissen, wie viele Drittmittel er oder sie eingeworben hat.»

Künftig sollen Drittmittel als Bewertungskriterium herangezogen werden. Was bedeutet das konkret?

Borbély: Wir versuchen, in der Forschung so genannte Leistungsindikatoren einzuführen. Einer dieser Indikatoren sind die Drittmittel. Das ist auch bei Berufungen so. Wenn jemand berufen wird, wollen wir wissen, wie viele Drittmittel er oder sie eingeworben hat.

Werden jene bestraft, die nicht fleissig genug Drittmittel organisieren?

Borbély: Ich glaube nicht. Es werden eher jene gefördert, die darin gut sind. Auch in den Geisteswissenschaften gibt es Möglichkeiten. Beim Nationalfonds wäre man froh, wenn man mehr gute Anträge bekommen würde.

Der Trend zur Zusammenarbeit und Integration der Schweizer Hochschulen hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Die «Universität Schweiz» wird als Lösung verschiedenster finanzieller und struktureller Probleme gehandelt. Wie positioniert sich die Universität Zürich in der sich verändernden Hochschullandschaft?

Borbély: Modelle, die heute diskutiert werden, sehen vor, dass die Universitäten Bern und Basel einerseits und die Universitäten von Lausanne und Genf andererseits enger zusammenarbeiten. Die Universität Zürich als die grösste Schweizer Universität würde weiterhin alleine stehen. Das sind Gedankenspiele. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr einer übermässigen Zentralisierung der Hochschulen. Solche Bestrebungen werden von Bern koordiniert und mit Bundesgeldern unterstützt. Das widerspricht der Idee der Autonomie der Universitäten. Auch unsere Universität ist erst seit ein paar Jahren autonom und muss zuerst ihre Eigenständigkeit etablieren. Nun besteht die Gefahr, dass ihr bereits wieder Mittel und Kompetenzen entzogen werden. Es gibt jedoch Bereiche, wo eine nationale Koordination und Zusammenarbeit Sinn macht, etwa bei den Nationalen Forschungsschwerpunkten. Diese setzen voraus, dass die Partner an verschiedenen Hochschulen zusammenarbeiten. Das ist sinnvoll, weil auf diesem Weg die Kompetenzen gebündelt und die Interaktionen gefördert werden. Das ist eine Verbesserung. Aber wenn man beispielsweise die Ausbildung der Mediziner zentralisieren will, wird es schwierig. Da müsste jede Universität selbst entscheiden können, wie sie verfahren will.

Was spricht gegen mehr Zentralismus?

Borbély: Zwischen den Universitäten braucht es Diversität und Konkurrenz. Und es braucht eine gewisse Spezialisierung, die dazu führt, dass die verschiedenen Universitäten auf verschiedenen Gebieten ihre Stärken haben und die Studierenden und die Forschenden auswählen können. Eine zentral diktierte «Hochschule Schweiz» würde dies verhindern. Konkret wird beispielsweise im Moment disktutiert, dass in Zürich keine Herztransplantationen mehr gemacht werden können, sondern nur noch in Bern und Genf. Das würde bedeuten, dass keine führenden Herzspezialisten mehr nach Zürich kommen würden. Dagegen wehren wir uns.

«Es besteht die Gefahr, dass die Schweizer Hochschulen übermässig zentralisiert werden.»

Im Verhältnis zwischen Universität und ETH hat es einen Paradigmenwechsel gegeben: Früher sahen sich die Hochschulen als Konkurrenten, heute eher als Partner. Ein wichtiger Bereich der Zusammenarbeit sind die Life Sciences. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet?

Borbély: In den Life Sciences gibt es Bereiche, in denen wir, wie bereits angesprochen, heute auf höchstem internationalem Niveau arbeiten. Zusammen mit der ETH sind wir noch stärker. Die Rollen ändern sich je nach Fachgebiet. In den Neurowissenschaften beispielsweise ist die ETH eher der Juniorpartner, während etwa im nationalen Forschungsschwerpunkt Strukturbiologie die ETH mit dem Chemie-Nobelpreisträger Kurt Wüthrich sehr stark ist. Da ergänzen sich die Universität und die ETH vorzüglich. Deshalb haben wir auch den nationalen Forschungsschwerpunkt zugesprochen erhalten. Ein anderes Beispiel sind die bildgebenden Verfahren, bei denen die ETH die Technik beherrscht; bei uns werden sie in der Medizin angewendet. Auf diesem Gebiet sind die Geräte sehr teuer. Indem wir gemeinsam die Mittel aufbringen, gelingt es uns, in Zürich ein starkes Zentrum zu schaffen. Auf dem Gebiet der Life Sciences kommt uns zudem entgegen, dass sie in den nächsten Jahren ein Schwerpunkt der ETH sein werden und sie deshalb entsprechend in die Entwicklung dieses Bereiches investieren wird.

Wie reagieren die anderen Universitäten auf das Zürcher Power Couple?

Borbély: Die Idee, in Basel eine weitere ETH einzurichten, ist eine Reaktion auf diese Konstellation. Damit sollen Bundesgelder nach Basel gebracht werden. Davon verspricht man sich in Basel eine Renaissance.

Ist das realistisch?

Borbély: Es kommt darauf an, wie man es macht. Es könnte durchaus etwas Gutes dabei herauskommen. Man müsste auf den Stärken der Universität Basel aufbauen. In Basel ist man beispielsweise stark auf dem Gebiet der Nanotechnologie. Auch die Nanobiologie könnte entwickelt werden. In Basel hat man die chemische Industrie und ist in der Pharmakologie stark. Es gibt also Stärken, die ausgebaut werden können und die komplementär zu Zürich wären.

Dagegen hätten Sie nichts einzuwenden?

Borbély: Nein. Schlecht wäre jedoch, wenn Fachgebiete von der ETH Zürich nach Basel transferiert würden und wir dann mit Basel in Konkurrenz stehen würden, weil man dort auf dem gleichen Gebiet arbeitet.