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Talk im Turm

Gefährliche Keime und globale Gesundheit

Die Corona-Pandemie hat es deutlich gemacht: Nicht nur der Handel ist global, sondern auch die Übertragung von Infektionskrankheiten. Im Talk im Turm haben der Infektiologe Jan Fehr und der Medizinhistoriker Flurin Condrau diskutiert, was unsere Gesundheit bedroht und wie dem begegnet werden kann.
Thomas Gull
Im Talk im Turm diskutierten Flurin Condrau (links) und Jan Fehr darüber, wie wir globalen Gesundheitsherausforderungen begegen können. Moderiert wurde das Gespräch von Rita Ziegler (links) und Roger Nickl (rechts). (Bild: UZH Alumni)

Die Corona-Pandemie hat weltweit Millionen von Menschen das Leben gekostet. Diese Pandemie ist abgeklungen, doch die nächste Seuche kommt bestimmt. Dafür müssen wir uns wappnen. Wie das geschehen soll, diskutierten der Infektiologe und Global Health-Forscher Jan Fehr und der Medizinhistoriker Flurin Condrau im Talk im Turm vom 22. Januar.

Der Schlüssel zur Bekämpfung bestehender und neuer Krankheiten ist ein ganzheitlicher Blick auf die Probleme. Dafür gibt es mittlerweile drei Begriffe: One Health (eine Gesundheit), Global Health (globale Gesundheit) und Planetary Health (planetare Gesundheit).

Mensch, Tier und Umwelt

One Health steht für die gemeinsame Erforschung der Gesundheit  von Mensch, Tier und Umwelt – ein Ansatz, bei der Human- und Veterinärmedizin sowie weitere Disziplinen Hand in Hand gehen. Das werde entscheidend sein bei der Prävention und Behandlung von Krankheiten, erklärte Infektiologe Jan Fehr. Gemäss einer «Nature»-Studie könnten bis 2070 mehr als 4'500 neue Krankheiten oder Krankheitserreger entstehen, die auf Tiere zurückgehen, sogenannte Zoonosen wie das Corona-Virus.

Solche Krankheiten entstehen an einem bestimmten Ort, können sich aber global verbreiten. Deshalb braucht es Global Health, eine internationale Perspektive und Zusammenarbeit und, ein neuerer Begriff, Planetary Health, das heisst der Einbezug ökologischer Faktoren wie der Klimaerwärmung.

Um den Gefahren begegnen zu können, müsse die globale Gesundheitsversorgung verbessert werden, betonte Medizinhistoriker Flurin Condrau: «Der soziale Status ist der wichtigste Indikator für die Gesundheit und die Lebenserwartung. Da stehen wir in der Schweiz besonders gut da.» Das zeigte sich auch während der Corona-Pandemie, die wir vergleichsweise glimpflich überstanden haben. Für Condrau ist nun die grosse Frage, wie der sozialen Ungleichheit begegnet wird, das heisst, ob die reicheren Staaten den ärmeren dabei helfen, ihr Gesundheitswesen zu verbessern. Condrau bezweifelt das und vermutet, dass sich die Ungleichheit weiter verschärft.

Antibiotika galten zunächst als magische Kugeln, mit der die zuvor unheilbaren Infektionskrankheiten bekämpft werden konnten.

Flurin Condrau
Medizinhistoriker

Still, aber tödlich

Neben den «lauten» Pandemien, die die Aufmerksamkeit von Medizin, Politik und Medien auf sich lenken, gibt es diverse «stille» Pandemien, die unsere Gesundheit bedrohen wie Antibiotikaresistenz, HIV oder Hepatitis B. Eine Zeitbombe ist die Antibiotikaresistenz. Bereits 2016 warnte der britische Ökonom Jim O’Neill in einer Studie, die von der britischen Regierung in Auftrag geben wurde, davor, dass Antibiotikaresistenzen im Jahr 2050 jährlich eine Million Todesopfer weltweit verursachen können. O’Neill forderte deshalb, es müsse massiv in die Antibiotikaforschung investiert werden.

Ebenso wichtig sei der richtige Umgang mit den an sich sehr potenten Medikamenten, betonte Jahn Fehr am Talk im Turm. Sie müssen zurückhaltend verschrieben und richtig eingesetzt werden. Das hat sich in der Schweiz in den vergangenen Jahren stark verbessert auch dank einer entsprechenden Initiative des Bundes.

Magische Kugel

Weltweit sieht es anders aus. «In Afrika oder Indien kann man Antibiotika mancherorts auf dem Markt kaufen», sagte Flurin Condrau. Das ist deshalb verheerend, weil die unsachgemässe Einnahme von Antibiotika die Bildung von resistenten Stämmen begünstigst. «Das war von Anfang an der Schwachpunkt dieser Medikamente, die zunächst als magische Kugeln galten, mit der die zuvor unheilbaren Infektionskrankheiten bekämpft werden konnten», so Condrau.

Allerdings wurden bereits ein Jahr nach dem ersten Einsatz von Antibiotika auch die ersten Resistenzen nachgewiesen. Heute ist der Optimismus verflogen. «Seit den 1990er-Jahren wird über das Ende der Antibiotika diskutiert», sagte Condrau.

Doch was kann getan werden, um das zu verhindern? Fehr und Condrau zeigten zwei Wege auf, die sich ergänzen. Einerseits muss die Abgabe von Antibiotika-Medikamenten reguliert und reglementiert werden und das weltweit. Andererseits muss in die Antibiotika-Forschung investiert werden. Da die Herstellung von Antibiotika nicht sehr lukrativ ist, wird von privaten Firmen kaum Geld in die Forschung gesteckt. «Deshalb arbeiten wir immer noch mit Medikamenten aus den 1960er-Jahren», sagte Jan Fehr dazu. Gefordert sind deshalb die Staaten und die von ihnen finanzierten Forschungseinrichtungen. Die gute Nachricht ist, dass kürzlich ein neues Antibiotikum entdeckt wurde – zum ersten Mal seit 60 Jahren!

Talk im Turm als Podcast

Weisse Retter

Für die globale Gesundheit braucht es globale Zusammenarbeit und diese muss auf Augenhöhe erfolgen. Das war früher nicht so, wie Flurin Condrau betont. Vielmehr war die Medizin «kolonial» geprägt und Menschen im globalen Süden wurden zum Teil für Experimente missbraucht. Medikamente und Behandlungsmethoden wurden vom globalen Norden in den Süden exportiert, ohne Einbezug der tatsächlichen Bedürfnisse vor Ort. Das wird als «Weisses Rettertum» bezeichnet.

«Heute sollte man mit den Menschen sprechen, die betroffen sind, und ihre Anliegen einbeziehen», sagte Condrau. «Das gilt auch bei uns.» Als Beispiel nennt der Medizinhistoriker die Kampagne des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) gegen Aids. Diese sei so erfolgreich gewesen, weil die Betroffenen von Anfang involviert worden seien.

Jan Fehr arbeitet seit Jahren mit der Makerere Universität in Uganda zusammen für ein Projekt zur Bekämpfung von Tuberkulose. Für ihn ist klar: Es ist eine Zusammenarbeit unter gleichberechtigten Partnern, von der beide Seiten profitieren. Fehr nennt das den «We-all-learn-Ansatz», man lernt voneinander. Sicherlich die richtige Haltung, um in Zukunft die globalen Herausforderungen durch bekannte und neue Krankheiten zu meistern.