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Senior:innen-Universität UZH3

Die Welt neu sehen

Die Senior:innen-Universität UZH3 fordert die Hirnzellen von Erwachsenen ab 60 Jahren heraus. Gepaart mit Sport und sozialen Aktivitäten wird das lebenslange Lernen zum gesundheitlichen Kapital im Alter. Dies bestätigt auch die Forschung der UZH-Psychologin Burcu Demiray.
Stéphanie Hegelbach
Die Gerontopsychologin Burcu Demiray erforscht wie sich lebenslanges Lernen auf die Gesundheit auswirkt. (Video in Englisch)

Sie wollen neue Erfahrungen machen, sind offen, neugierig und engagiert – die Teilnehmenden der Senior:innen-Universität Zürich UZH3. Um 14 Uhr an jedem Dienstag und Donnerstag im Semester trudeln sie für ihre Vorlesung auf dem Campus Irchel ein. Manche – so wie Heinz Lienhart – sind schon früher da und bestaunen das rege Treiben. «Ich fühle mich unheimlich wohl hier: Die jungen Leute sind so aufmerksam und freundlich», erzählt er. Der gelernte Elektronikmechaniker und Informatiker ist seit fünf Jahren aktives Mitglied der Senior:innen-Universität Zürich. «Vier Jahre vor der Pension wurde ich arbeitslos. Mir fehlte eine Tagesstruktur», erzählt er. Als er von der UZH3 – der Uni für den dritten Lebensabschnitt – erfuhr, hat er sich sofort angemeldet. «Ich habe das Studium bei meinen Töchtern miterlebt, nun kann ich es selbst erfahren», strahlt er.

Neben Lienhart nutzen rund zweitausend über 60-Jährige das vielfältige Angebot der UZH3, das von Vorlesungen über Sportkurse im ASVZ bis hin zu Zusatzveranstaltungen, Onlineunterricht und Projektgruppen reicht. Wie sich das lebenslange Lernen auswirkt, erforscht die Gerontopsychologin Burcu Demiray am Universitären Forschungsschwerpunkt «Dynamik Gesunden Alterns». «Je mehr man lernt und sein Gehirn aktiviert, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, kognitive Funktionen zu verlieren», sagt sie.

Fitness für Körper und Geist

Use it or lose it – diesen Spruch hat sich Lienhart zu Herzen genommen und macht sich im Hörsaal fleissig Notizen, um sich voll und ganz konzentrieren zu können. «Die Mitglieder der UZH3 sind oft motivierter als jüngere Studierende, weil sie in der Regel für sich selbst lernen», beobachtet Demiray. Die geistige Stimulation und eine neue Sicht auf die Welt – zum Beispiel durch die Augen eines Teilchenphysikers – empfindet Lienhart gar als Erholung. In der Vorlesung sei er ganz im Hier und Jetzt – wie er es sonst nur im Wald oder beim Kochen erlebe. «Das ist ein sehr wichtiger Baustein in meinem Leben», erzählt er. Neue Erfahrungen können für den Pensionär aber auch anders aussehen: «Ich melde mich immer für Projekte an der Senioren-Uni. So konnte ich schon in einem Film mitmachen oder im Archiv die Geschichte der Uni aufarbeiten», erzählt Lienhart begeistert.

Auch Isabelle Roos ist begeistert von der Themenvielfalt der UZH3: Die studierte Biochemikerin hat sich schon immer für verschiedene Disziplinen interessiert, musste sich jedoch in Studium und Beruf spezialisieren. «Jetzt kann ich mir endlich alles anhören. Das Beste ist: Wir haben keine Prüfungen!», schmunzelt sie. Die Themen seien oft hochaktuell und nicht selten lese sie wenige Tage später in der Zeitung darüber.

Tanzen, Yoga, Kaffee

Roos hat sich aus den Angeboten der Uni ein ganzes Tagesprogramm zusammengestellt: Tanzen, Mittagessen, Vorlesung, Yoga und Kaffee mit den Sportkollegen. «Ich bin wahrscheinlich fitter als vor meiner Pensionierung», lacht sie. Dass das Programm der UZH3 geistige und sportliche Nahrung kombiniert, ist kein Zufall. «Wer geistig fit bleiben will, muss sich auch bewegen. Denn körperliche und geistige Fitness sind eng verknüpft», erklärt Demiray. Die Forschung zeigt zudem: Lebenslanges Lernen vermindert die Anzahl Arztbesuche. «Lebenslange Lerner sind in der Regel aktiver, haben ein besseres Immunsystem und mehr Kenntnisse über gesunde Verhaltensweisen», sagt die Psychologin.

Über Kurse und Veranstaltungen hinaus engagieren sich Roos und Lienhart in freiwilligen Projektgruppen, die die Senioren-Universität Zürich bereichern. «Ich finde es spannend, die UZH3 mitgestalten zu können», sagt Roos. Die beiden Rentner betätigen sich beispielsweise im Organisationsteam für das Café UZH3, das mehrmals pro Semester nach der Vorlesung stattfindet. «Oft kommt auch der oder die Dozierende dazu. Wir können Fragen stellen oder über Gott und die Welt plaudern», erzählt Lienhart. «Eifach chli schnädere» nennt er das. Aus der Warte der Gerontopsychologin handelt es sich dabei jedoch um einen komplexen Vorgang des informellen Lernens, der sowohl Wortreichtum als auch die Komplexität der genutzten Grammatik fördert.

Burçu Demiray

Je mehr man lernt und sein Gehirn aktiviert, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, kognitive Funktionen zu verlieren.

Burcu Demiray
Gerontopsychologin

Das soziale Elixier

Anhand von Audioaufnahmen aus dem Alltag von älteren Personen konnte Demiray in einer Studie auch nachweisen, dass Menschen, die sich häufiger unterhalten, über ein besseres Arbeitsgedächtnis verfügen – Informationen also schneller verarbeiten und darauf reagieren können. «Vermutlich lässt sich durch regelmässiges informelles Lernen etwa durch Gespräche das Risiko für kognitiven Verfall reduzieren», sagt sie. Obwohl die Senior:innen-Universität in erster Linie ein Bildungsangebot ist, ist das soziale Umfeld vermutlich der wichtigste Faktor, um geistig fit zu bleiben und gesund zu altern. Treffpunkte wie das Café UZH3 erlauben es den Teilnehmenden, auch nach dem Ruhestand Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich regelmässig trifft und einander unterstützt. Das soziale Netzwerk von Roos und Lienhart hat sich durch die Senioren-Universität Zürich stark vergrössert. «Ich treffe mich auch ausserhalb der Uni mit Freunden, zum Beispiel zum Pétanque-

spielen», erzählt Roos. Sich integriert zu fühlen, stärke das emotionale Wohlbefinden immens, sagt Burcu Demiray. «In Studien beobachten wir als Folgen ein höheres Selbstwertgefühl, weniger Depressionen, Angstzustände und allgemein ein positives Lebensgefühl», so die Gerontopsychologin.

Die Corona-Pandemie veränderte den Alltag der Pensionäre einschneidend: Sie mussten zu Hause zu bleiben. Während die Universitäten auf digitale Lösungen umschwenkten, konnte die UZH3 eine interaktive Live-Übertragung der Vorlesungen so kurzfristig nicht umsetzen. «Es hat mich sehr beschäftigt, dass genau dieser bildungsinteressierten Gruppe nicht die Möglichkeit gegeben wurde, kognitiv fit und im sozialen Austausch zu bleiben», sagt Demiray. Kurzum nahm sie das Zepter in die Hand: Mit ihrer Idee einer E-Learning-Plattform für Senioren bewarb sie sich bei einem Hackathon – einem Event, an dem unter Zeitdruck digitale Lösungen entwickelt werden. «Mir wurde bewusst, dass meine Forschung zwar Phänomene erklärte, aber keine konkrete Anwendung zur Folge hat», erklärt sie. Der Hackathon sei die Chance gewesen, ihre Forschung in etwas Reales umzusetzen.

Die Gerontopsychologin ging als eine der Gewinnerinnen des Hackathons hervor. «Das gab mir Aufwind», erzählt sie. Mit Hilfe des UZH3-Teams und eines Schweizer E-Learning-Start-ups konnte Demiray bereits im Herbstsemester 2020 die Onlineplattform «OldSchool» an der UZH3 anbieten. Die Plattform bietet nicht nur Vorlesungsaufzeichnungen, sondern auch zusätzliche Lernmaterialien sowie soziale Funktionen wie Interessengruppen und ein virtuelles Café UZH3. «Dafür brachten wir uns gegenseitig bei, Zoom zu verwenden», erzählt Roos. «Es war sehr wertvoll, dass man sich so ab und zu sehen und miteinander reden konnte», ergänzt Lienhart.

Mit Eigenmotivation Hürden überwinden

Seit Corona besuchen die beiden Senioren die Vorlesungen aber lieber wieder persönlich. «Die Konzentration und das Erlebnis sind einfach besser», meint Roos. Trotzdem schätzen die beiden OldSchool und sehen die Plattform als grosse Chance. «Mit OldSchool können wir auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von älteren Menschen eingehen», erklärt Demiray. Grosse Schriftgrössen, starke Kontraste, moderierte Inputs und eine attraktive Benutzeroberfläche sorgen für eine massgeschneiderte und altersgerechte Lernumgebung. Mittlerweile nutzen auch andere Senior:innen-Universitäten der Schweiz das E-Learning-Tool. In Zukunft könnten auch Mitarbeitende von Firmen und Personen in Altersheimen oder auf Reisen davon profitieren. So schön und sinnvoll lebenslanges Lernen klingt – wer geistig aktiv bleiben möchte, hat auch einige Hürden zu überwinden. «Neben gesundheitlichen Problemen sind das zum Beispiel strukturelle Hindernisse wie mangelnde Anpassung der Angebote an ältere Lernende», sagt Demiray. Zudem sind nicht alle Senior:innen kompetent im Umgang mit digitalen

Medien. «Es fehlen Alternativangebote für Leute, die keinen Zugang zur Digitalisierung haben oder dies nicht mehr wollen», meint Roos. Lienhart sieht die Herausforderung noch viel früher: «Viele Personen wissen gar nicht, dass es die Senior:innen-Universität Zürich gibt», sagt er und macht sich bereits Gedanken dazu, wie sich das Problem lösen lässt. Diese Lust, Neues anzupacken, zeichnet Roos und Lienhart aus. Sie scheinen eine unversiegbare Quelle der Eigenmotivation gefunden zu haben.

Was ist das Geheimnis dieser eifrigen und inspirierenden Lerner? Sie werden für ihren Einsatz belohnt – mit interessantem Wissen und anregenden sozialen Kontakten. Für sie persönlich gehe es auch um eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, sagt Isabelle Roos: Solange es einem gut gehe, habe man eine gewisse Pflicht, mit dem Leben und seinen Entwicklungen Schritt zu halten. «Schliesslich sind wir ein Teil davon, bis am Ende.»

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