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Interview 100 Jahre ZS

«Etwas Wahnsinn ist immer dabei»

Die «Zürcher Studierendenzeitung» feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum ist ein Buch erschienen. Zwei der Herausgeber, Johannes Luther und Michael Kuratli, erzählen, was es heisst, die ZS zu machen. Und sie schauen zurück auf die bewegte Vergangenheit der Zeitung.
Interview: Thomas Gull
Die beiden ehemaligen ZS Redaktoren Johannes Luther und Michael Kuratli
Die beiden ehemaligen ZS Redaktoren Johannes Luther (links) und Michael Kuratli in der ZS Redaktion.(Bilder: Stefan Walter)

Gratulation zum schönen und gelungenen Jubiläumsbuch. Liest man die Geschichte der Zeitung in Ihrem Buch nach, so erscheint es wie ein Wunder, dass es die ZS noch gibt. Denn ihre Existenz war oft prekär und wurde immer wieder in Frage gestellt. Sie selbst haben während Jahren als Redaktoren die ZS herausgegeben. Was ist das Geheimnis der Langlebigkeit der «Zürcher Studierendenzeitung»? 

Johannes Luther: Es sind wahrscheinlich verschiedene Faktoren, und manchmal waren auch Glück und Zufall im Spiel. So gab es bereits im ersten Jahrzehnt nach der Gründung einen Moment, wo die ZS fast aufgelöst worden wäre. Ein Verfahrensfehler hat das dann aber gerade noch verhindert. Das eigentliche Lebenselixier der ZS ist und war aber der Idealismus. Immer wieder finden junge Menschen zusammen und sagen: Wir machen jetzt diese Zeitung, und zwar gegen alle möglichen Widerstände.

Michael Kuratli: Das Gute ist ja, dass niemand vorschreibt, wie die Zeitung auszusehen hat oder welchen Umfang, welche Auflage sie haben muss. Es könnte in Zukunft nur noch eine Website sein, es hätte auch mal nur ein kopiertes Flugblatt sein können. Der Aufwand, um die ZS zu machen, liegt im Ermessen der Leute, die sie machen. Was die ZS immer am Leben erhalten hat – neben dem Idealismus –, ist, dass jene, die den Stab weitergetragen haben, nicht dafür verantwortlich sein wollten, dass er zu Boden fällt. Das ist ein grosser Motivator, den auch ich gespürt habe. Man war sich immer bewusst: Für die ZS haben Max Frisch geschrieben oder Annemarie Schwarzenbach. Man kommt in die Redaktionsräume an der Rämistrasse 62, wo die Zeit stehengeblieben ist, und plötzlich ist man Teil von etwas Grösserem. Vielleicht ist dies das Gefühl, das einen antreibt. Wenn man ein paar Jahre hier verbracht hat, hat man seine Handschrift hinterlassen. Idealerweise ohne dass man etwas kaputt gemacht hat.

Die ZS-Geschichte liest sich in Ihrem Buch wie eine Heldenreise durch 100 Jahre mit einem Weltkrieg, Jugendrevolten und einer Menge Krisen – hausgemachten und solchen, die durch äussere Anfeindungen provoziert wurden. Dabei steht die ZS als Heldin immer wieder am Abgrund und man weiss nicht, wie und ob es weitergeht. Wenn ihr zurückschaut, welches waren die wichtigsten Wegmarken und Wendepunkte?

Luther: Am Anfang war es eine Leistung, zu überleben, denn es gab schon vor der Gründung 1923 Versuche, Studierendenzeitungen zu etablieren, doch diese sind alle bald wieder eingegangen. Dann galt es, die Zeit um 1930 zu überstehen, als mit Hans Vonwyl und Robert Tobler nacheinander zwei Frontisten die Redaktion leiteten. Nach 1968 wurde die ZS dann links und gesellschaftskritisch. In den 1980er-Jahren war sie ein Sprachrohr der Jugendbewegung und wurde vom «Zürcher Studenten» zur «Zürcher Student/in» beziehungsweise zur «Zürcher Studentin». Seit 2007 heisst das Blatt «Zürcher Studierendenzeitung».

Kuratli: Die Wende nach links mit der 68er-Bewegung ist die wichtigste politisch-ideologische Wende der ZS. Danach war und blieb sie links. Zwischenzeitlich war die ZS gar als linksradikales Kampfblatt verschrien. Selbst zu meiner Zeit, zwischen 2012 und 2016, wurde uns immer wieder vorgeworfen, wir machten ein zu linkes Blatt. Und es stimmt natürlich: Die ZS war über mehr als die Hälfte ihrer Existenz links und mit linken Organisationen befreundet, weil diese die studentische Bewegung noch irgendwie am Leben erhielten. Im Gegensatz zur bürgerlichen Seite, die alles abschaffen wollte, was irgendwie studentisch organisiert war. Neben den ideologischen und inhaltlichen gab es auch finanzielle Wendepunkte. Besonders existentiell war die Abschaffung der verfassten Studierendenschaft der Universität Zürich (SUZ) 1978. Damit verlor die Zeitung die finanzielle Basis. Mit den Mitgliederbeiträgen der Studierenden waren die Redaktionsstellen finanziert worden. Es war der Auftakt für den finanziellen Krisenmodus, in dem die ZS bis zum Relaunch 2007 fast ständig operierte.

Zu den Konstanten in der Geschichte der ZS gehört der Zoff. So haben Sie auch Ihr Buch betitelt: «100 Jahre Zoff». Dabei haben Sie vor allem den Zoff im Blick, den die ZS vom Zaun brach. Nach dem Motto: «Was ist das beste Mittel gegen Irrelevanz? Die Provokation», wie Sie im Vorwort schreiben. Oft war es aber auch umgekehrt: Die ZS wurde immer wieder angefeindet. Was hat es damit auf sich: War der Zoff ein Zaubertrank oder war er auch lebensbedrohlich für die Zeitung?

Luther: Wichtig war, dass sich die ZS nie den Mund verbieten liess. Sie hat gerne provoziert und polemisiert. Der Grundkonflikt bestand darin, dass die ZS damit manchmal auch gegen die eigenen Interessen geschrieben hat, etwa wenn man Inserenten mit kritischen Beiträgen vergraulte. Natürlich wurden der Regierungsrat, die Universitätsleitung und die studentischen Organisationen kritisiert, die wichtig waren für das Überleben der ZS. Man war also nie duckmäuserisch. Ein wichtiger Teil des Zoffs war aber auch intern. Es gibt unzählige Leitartikel, in denen gefragt wird: Was wollen wir eigentlich für ein Blatt sein? Und weshalb werden wir so wenig gelesen? Wir müssen eine neue Leserschaft akquirieren. Wir müssen wieder an Relevanz gewinnen. Wir haben uns immer gefragt: Wer liest uns überhaupt? Die Mütter der Studierenden, die die Zeitung nach Hause geschickt kriegen? Ist das unser Publikum? Manchmal war es aber dann offenbar doch die universitäre Öffentlichkeit. Dann wurden wir von innerhalb der UZH und der ETH angegriffen. Etwa mit Fotos, die zeigten, wie die ZS angezündet und auf den Grill gelegt wurde mit der Aussage: «Dafür ist sie zu gebrauchen.»

Kuratli: Die lange Existenz der ZS hat Mut gemacht, frech zu sein und Sachen zu hinterfragen. Weil man wusste: Die ZS kann man nicht einfach abschaffen, es gab schon ärgere Krisen als diese und wir können jetzt auch noch einen draufgeben. Hinzu kommt, dass wir kaum jemandem Rechenschaft schuldig waren. Die Hochschule ist wie ein kleiner Staat und wir sahen unsere Aufgabe darin, in diesem Staat die Rolle der Medien zu übernehmen und aufzuzeigen und anzuprangern, wenn etwas schieflief. Das provoziert natürlich immer wieder Ärger.

Luther: So haben wir während meiner Zeit bei der ZS die Schaffung des Verbands der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH) 2012/2013 kritisch begleitet und beispielsweise darauf hingewiesen, dass nur etwa die Hälfte der Studierenden Mitglieder beim VSUZH waren. Das führte zur Frage: Wie viel Rückhalt hat der VSUZH überhaupt? Der zweite kritische Einwurf war: Geht es dem VSUZH nur darum, Party zu machen? Wir haben in der ZS getitelt: «Scheiss auf Politik! Wir machen nur noch Party». Worauf uns von der Seite des VSUZH gesagt wurde: «Hört auf, immer gegen uns zu schiessen. Wir wollen doch das Gleiche.»

Michael Kuratli

«Das Sofa im Redaktionsraum ist nicht nur berühmt, weil es so gammlig ist, sondern weil darauf halt auch vieles passiert ist.»

Michael Kuratli

Wir haben schon von der Heldenreise gesprochen, die die ZS gemacht hat in den 100 Jahren. Manche der Beiträge im Buch vermitteln das Gefühl, auch die Zeitung herauszubringen sei heroisch. Wie haben Sie das selber erlebt?

Luther: Ich erinnere mich an wenig Schlaf. In der Produktionswoche hockt man in diesem engen Raum hier aufeinander und macht die Zeitung. Es kommt vor, dass man bis tief in die Nacht über einer Ausgabe brütet. Da können sich auch gewisse Aggressionen anstauen. Am Sonntag wurde immer getitelt, da standen alle um einen Bildschirm und Titel für Titel wurde durchgegangen, diskutiert und entschieden. Und immer wieder rief jemand: «Liest eh niemand!» Wenn die Zeitung schliesslich an die Druckerei geschickt wurde, fiel eine sehr grosse Last ab und man war sehr müde.

Kuratli: Das Bild der Heldenreise ist gar nicht schlecht. Man macht sich auf den Weg, es gibt so viele Hindernisse und man versucht, etwas zu bewerkstelligen, nämlich diese Zeitung. Die Katharsis ist dann immer ein rauschendes Feiern. Man sieht es ja hier an den Bierdosen, die sich stapeln. Dann endlich die gedruckte Zeitung in den Händen zu halten, ist etwas Spezielles, weil man es in freiwilliger Arbeit macht und sehr viel Energie drauf verwendet. Es gibt diesen absurden, krankhaften Perfektionismus, der zutage tritt bei Leuten, die hier drin sitzen und stundenlang an Texten feilen. Ein bisschen Wahnsinn ist immer dabei bei dieser Zeitungsproduktion.

Die ZS-Redaktion ist bunt zusammengewürfelt. Stimmte die Chemie zu Ihrer Zeit?

Luther: In der Kernredaktion waren damals fünf bis neun Personen. Es hat schon Reibereien gegeben, auch weil sehr starke Persönlichkeiten aufeinandergetroffen sind. Aber der Zusammenhalt war stark. Das haben wir auch gemerkt, als wir Autor:innen für das Buchprojekt angefragt haben. Fast alle haben zugesagt. In der ZS-Zeit sind auch Freundschaften entstanden. Michael und ich haben uns ja ebenfalls auf der ZS-Redaktion kennengelernt.

Kuratli: Ein wichtiger Teil meines Freundeskreises stammt aus meiner Zeit bei der ZS. Über die Jahre gab es auch etliche Liebschaften und Beziehungen, die in der Redaktion entstanden sind. Das Sofa im Redaktionsraum ist nicht nur berühmt, weil es so gammlig ist, sondern weil darauf halt auch vieles passiert ist. Gut, wird es alle paar Jahre durch ein neues ersetzt.

Was war Ihre Motivation, bei der ZS mitzumachen?

Luther: Ich habe mit dem Studium in Zürich angefangen und kannte niemanden an der UZH. Ich wusste, ich möchte gerne etwas mit Journalismus machen. Am Erstsemestrigentag hat die ZS-Redaktion Flyer verteilt und gesagt: «Komm an die nächste Redaktionssitzung.» Da ging ich dann hin und bin hängengeblieben. Ich bin nicht Journalist geworden wie Michael, habe aber trotzdem sehr viel gelernt. Etwa wie man einen Text schreibt und was es bedeutet, mit sehr viel Herzblut daran zu arbeiten.

Michael Kuratli, Sie sind Journalist geworden. Was war Ihre Motivation? Haben Sie die ZS als Einstieg in eine Journalismus-Karriere gesehen?

Kuratli: Nein, überhaupt nicht. Ich habe gar nicht an den Journalismus gedacht, als ich hierherkam. Ich kannte den damaligen Chefredaktor der ZS. Er hat die ganze Zeit geschwärmt. So kam ich an eine Sitzung und habe einen Text geschrieben. Und dann lange nichts mehr. Mit der Zeit hat mich die Arbeit auf der Redaktion viel glücklicher gemacht als mein Studium. In diesem Sinne hat die ZS meine Studienzeit gerettet.

David Dorn

«Wichtig war, dass sich die ZS nie den Mund verbieten liess. Sie hat gerne provoziert und polemisiert.»

Johannes Luther

Viele ehemalige ZS-Mitarbeitende arbeiten heute in den Medien. Zu den Argumenten, für die ZS zu schreiben, gehört, dass sie einen guten Einstieg in den Journalismus bietet. Trifft das zu?

Kuratli: Man lernt hier, von A bis Z eine Zeitung zu machen. Man lernt auch, sich intensiv mit Texten zu befassen. Nicht nur mit den eigenen, sondern als Redaktor nicht selten auch mit sehr schlechten Texten, die von freien Mitarbeitenden verfasst werden. Viele davon schreiben zum ersten Mal einen Text, wie ich damals. Daraus muss man dann etwas Brauchbares machen. So lernt man, wie ein guter Text funktioniert. Das ist eine sehr essenzielle Arbeit, die man in einer Journalismusausbildung in dieser Form nicht macht. Daneben studiert man etwas Substanzielles, das einem ermöglicht, sich intellektuell mit der Welt auseinanderzusetzen. Diese Kombination ist eine gute Voraussetzung, um im Journalismus zu bestehen.

Wo steht die ZS heute? Im Buch hat es einen Text der aktuellen Redaktion, die etwa schreibt, sie reisse sich «den Arsch auf» für eine Idee, oder die ZS wolle «die beste Zeitung der Welt sein» und die «aufregendste Studierendenzeitung des Universums». Bescheiden klingt anders. Wird die aktuelle ZS diesen Ansprüchen gerecht?

Luther: Ich lese die ZS immer noch regelmässig. Mir scheint sie noch linker, ökologischer, feministischer zu sein, als wir es waren. Und sich der Probleme der heutigen Zeit noch bewusster. Die ZS versucht, sich ernsthaft zu wichtigen Themen zu äussern. Das muss man jetzt als junger Mensch auch tun. Die Herausforderungen sind ja gewaltig.

Kuratli: Die ZS macht ernstzunehmenden Journalismus, das stimmt. Diesen Anspruch verbinde ich mit dem Relaunch 2007. Davor war die «Zürcher Studentin» mit dem generischen Femininum sehr progressiv unterwegs, aber journalistisch unbedeutend. Das studentische Engagement und der Zusammenhalt der Studierenden standen damals stärker im Zentrum. 2007 wurden ZS und iQ, der massentauglichere Ableger des Medienvereins, fusioniert. Danach war die Zeitung weniger ideologisch und die journalistische Qualität wurde wichtiger. Das zeigt sich auch in den gewonnenen Preisen: Die ZS hat mittlerweile dreimal den Pro Campus Presse Award für die beste Studierendenzeitung im deutschsprachigen Raum gewonnen. Auch gab es Preise für einzelne Geschichten. Die aktuelle Redaktion macht ein sehr professionelles Blatt mit Punch. Das ist beeindruckend.

Gibt es die ZS in 100 Jahren noch?

Luther: Ich hoffe es. Sie hat schon viele Krisen überstanden. Wie sie dereinst aussehen wird, wissen wir nicht.

Kuratli: Ich glaube, die ZS ist nicht mehr unterzukriegen. Ob als Printzeitung, Instagram-Kanal oder was auch immer die Zukunft bringen wird: Die Tradition geht weiter. Deshalb glaube ich auch, dass die ZS ihr 200-Jahr-Jubiläum feiern wird.

Dieser Artikel erscheint auch im UZH Magazin 4/2023.

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