Wie entwickeln Studierende Eigenmotivation? Was motiviert mich selbst, Molekularbiologie zu unterrichten? Diese Fragen trieben den Molekularbiologen und Bioinformatiker Jonas Grossmann im CAS Hochschuldidaktik um. In seiner Weiterbildung stösst er erstmals auf die Methode des forschungsbasierten Lehrens und Lernens, bei der Studierende die Rolle von Forschenden einnehmen und eigene Fragestellungen untersuchen. «Meine ehemalige Arbeitskollegin Lucy Poveda und ich fanden das beide toll und haben uns mit einem Unterrichtskonzept für den Lehrkredit beworben», erzählt Grossmann begeistert.
Grossmann arbeitet am Functional Genomics Center Zurich (FGCZ), einer gemeinsamen Einrichtung der UZH und der ETH Zürich, die molekularbiologische Analysen für Forschungsgruppen durchführt. «Am FGCZ haben wir die neuste Technologie, führen aber keine eigenen Experimente durch», erklärt er. In Rolf Kümmerli, Professor für Evolution menschlicher Mikrobiome und Pathogene, fanden sie den idealen Partner, um den Blockkurs «Research Cycle in Genomics» zu entwickeln. Mit ihm haben die beiden Initianten ein Experiment entworfen, um zu untersuchen, wie sich die Krankheitserreger Staphylokokken an ihre Umwelt anpassen. Dabei konfrontierten sie drei Bakterienstämme von Staphylokokken mit einem Extrakt, in dem ihre Gegenspieler, die Bakterien Pseudomona, gelebt haben und das deren Sekrete enthält.
«Das Extrakt stresst die Staphylokokken. Sie wachsen zu Beginn nicht gleich gut, passen sich dann aber an», erklärt Grossmann. Zum Startpunkt sowie nach 15 Wachstumszyklen – etwa 250 Generationen später – sequenzierte das FGCZ die DNA der gestressten Staphylokokken und der Kontrollgruppen, die nicht mit dem Extrakt in Kontakt kamen. Dieses Datenset, das Grossmann und Poveda dank finanzieller Unterstützung durch den Lehrkredit (heute Universitäre Lehrförderung ULF) erstellen konnten, bildet die Basis ihres forschungsbasierten Kurses. Anhand der Daten können Studierenden untersuchen, wie sich die DNA der Staphylokokken verändert, damit sie besser im Extrakt überleben können.
«Das Einzigartige an unserem Kurs ist, dass die Studierenden die ersten sind, die diese Daten auswerten», sagt Grossmann. «Das sorgt für zusätzlich Motivation.» Im Blockkurs sollen die fortgeschrittenen Bachelorstudierenden der UZH und ETH hautnah erleben, wie Forschung funktioniert. Innerhalb von dreieinhalb Wochen durchschreiten sie den klassischen Forschungszyklus: von der Entwicklung einer Fragestellung, der Recherche in der Literatur, der Auswertung von Daten bis zur Präsentation der eigenen Ergebnisse.
«Ich habe vorher nicht gewusst, wie Forschung genau abläuft», sagt die Biomedizinstudentin Aleksandra Misiek. Sie hat den Kurs aufgrund ihres Interesses an Genetik gewählt und hat sich nach dem theoretischen Grundstudium auf die praktische Auseinandersetzung mit dem Thema in den Blockkursen gefreut.
In der ersten Woche erhalten die Studierenden eine Einführung zum Thema, lesen sich in die Literatur ein und formulieren in Zweiergruppen eine erste Forschungsfrage. Erst zu Beginn der zweiten Woche werden sie mit den Daten der 150 analysierten Genome konfrontiert und versuchen in einem iterativen Prozess zwischen Datenauswertung und Literatur ihre Frage zu verfeinern und zu beantworten. Die Studierenden vergleichen dabei die Genome mit Hilfe von Computerprogrammen und untersuchen sie auf relevante Veränderungen. Anhand von Literatur und Fachwebsiten können sie danach herausfinden, welches Protein an einer umgeschriebenen DNA-Stelle codiert ist und welche Funktion es hat.
«Die Studierenden müssen in kurzer Zeit viele Paper diagonal lesen und lernen, wichtige Informationen herauszufiltern», erklärt Grossmann. Misiek hat die Recherchearbeit besonders gefallen: «Es war interessant, einmal Forschung abseits vom Labor zu erleben», sagt sie. Plötzlich eine Forschungsfrage selbst zu erarbeiten, war jedoch eine Herausforderung für die Studierende, die sich oft mit einer grossen Menge an neuen Informationen konfrontiert sah. «In den Vorlesungen wird uns jeweils geradlinig erklärt, was passiert, wenn ein spezifisches Protein nicht funktioniert. Dies selbst herauszufinden war sehr anspruchsvoll», erzählt sie.
Der Sprung ins kalte Wasser ist Teil des Lehrkonzepts von Grossmann und Poveda. «Wir glauben, dass die Studierenden mehr lernen, wenn sie ihren Weg selbst suchen müssen und dabei auch Fehler machen», erklärt er. Er sieht sich als Coach, der die Studierenden motiviert und ihnen zeigt, dass es auch weitergeht, wenn sie gegen eine Wand laufen. An strategisch geschickten Punkten im Arbeitsprozess geben er und seine Unterrichtspartnerin Natalia Zajac fachliche Inputs, die die Studierenden in ihrem Lernprozess unterstützen. Mit jeder Gruppe treffen sie sich zudem für sogenannte Progress Reports, wo die Studierenden den Stand ihrer Arbeit präsentieren und Fragen stellen können.
Eine Schwierigkeit für die Studierenden war beispielsweise das Erlernen von neuen Programmen wie dem Interactive Genome Viewer, den sie benötigten, um die Änderungen in der DNA auszuwerten. «Da versuchten wir uns gegenseitig zu helfen», erzählt Misiek. Grossmann und Zajac erstellten ebenfalls eine Whatsapp-Gruppe, über welche Studierende und Dozierende kommunizieren können. Dort teilen die Studierenden interessante Paper und wertvolle Tipps und Tricks. «So funktioniert Forschung heute: interaktiv und kollaborativ», sagt Grossmann.
Die Kursleitung lässt den Studierenden ebenfalls viel Spielraum in der Arbeitsorganisation: Es gibt nur wenige fixe Termine, meist arbeiten die Gruppen frei zu Hause, auf dem Campus oder in den Räumen des FGCZs. Diese Selbstorganisation hat Misiek am Kurs besonders gefallen: «Ich habe dabei mehr über meine eigene Arbeitsweise gelernt», sagt sie. An Inputs und Besprechungen können die Studierenden in persona oder über Zoom teilnehmen. «Da wir den Kurs während Corona entwickelt haben, funktioniert diese hybride Mischung gut», erklärt Grossmann.
Am Ende des Blockkurses erwartet er aber konkrete Resultate: Die Studierenden schreiben ein Abstract und präsentieren ihre Ergebnisse mit Hilfe eines Posters an einem Minisymposium, wo Kümmerli und sein Doktorand kritische Fragen stellen. Dieses Setting hat Grossmann wiederum der Forschung abgeschaut, wo es üblich ist, dass man sein Forschungsthema an Konferenzen mit Abstracts und Postern präsentiert. «Der Spirit ist wie in einer Forschungsgruppe mit verschiedenen Doktoranden, die an einer übergeordneten Frage arbeiten», erzählt er.
Grossmann hat den Blockkurs bisher drei Mal durchgeführt. «Jeder Jahrgang hat wieder neue Forschungsfragen bearbeitet», erzählt er fasziniert. Dabei gab es auch wegweisende Entdeckungen: Eine Studierendengruppe hat herausgefunden, dass einige Staphylokokken in Kontakt mit dem Extrakt die Produktion eines Proteins stoppen, das Aminosäuren in die Zelle importiert.
«Wir gehen davon aus, dass die Pseudomonas die Aminosäure Selenocystein in den Extrakt abgegeben haben und diese für Staphylokokken toxisch wirkt», erklärt Grossmann. Schalten Staphylokokken den Aminosäure-Importer ab, kann die toxische Substanz nicht in ihre Zelle gelangen.
Um die These zu überprüfen, führen die Kursleitenden nun Folgeexperimente durch. «Mit den neuen Daten können wir den Kurs noch spannender machen», sagt er. Die Chance, dass diese Erkenntnisse dereinst zu einer konkreten Behandlung von Staphylokokken-Infektionen beitragen könnten, schätzt er als gering ein. «Es lassen sich jedoch wunderbar Parallelen zwischen der Evolution der Staphylokokken und den Corona-Mutationen ziehen», erklärt er. Am letzten Tag des Kurses hat er daher einen Hackathon aufgegleist, bei dem die Studierenden möglichst viel über die damals neue Omikron-Variante herausfinden mussten. Wenn Grossmann erzählt, wird klar, was ihn selbst motiviert: Zu erleben, wie die Studierenden eigenständig in eine Materie eintauchen und schliesslich fachkundig und kompetent auftreten.