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Podiumsveranstaltung zur «Leaky Pipeline»

Diskussion über Frauenkarrieren in der Wissenschaft

Warum sind an Hochschulen noch immer verhältnismässig wenige Professuren mit Frauen besetzt? Zwei Studien dazu haben in den letzten Wochen hohe Wellen geworfen. An einem Podium an der UZH wurde aus unterschiedlichen Perspektiven darüber diskutiert.
Thomas Gull
Auf dem Podium (von links nach rechts): Fabienne E. Meier, Partnerin Knight Gianella Executive Search, Markus Theunert, Gesamtleiter von maenner.ch, Margit Osterloh, em. Professorin für Betriebswirtschaft UZH, Katja Rost, Professorin für Soziologie UZH, Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung UZH, Moderatorin Elisabeth Girsberger, Philip Zimmermann, Co-Präsident VAUZ, Seraina Eisele, Gleichstellungskommission VSUZH, Elsbeth Stern, Professorin für empirische Lehr- und Lernforschung ETH, Josef Zweimüller, Professor für Volkswirtschaft UZH. (Bild: Pascale Albrecht)

Am Anfang stand ein Auftrag der UZH. Die Universitätsleitung wollte wissen, wie sich das Phänomen der sogenannten «Leaky Pipeline» erklären lässt. Mit jeder wissenschaftlichen Qualifikationsstufe nimmt der Frauenanteil ab. So studieren und doktorieren heute mehr Frauen als Männer an der UZH. Auf der Postdoc-Stufe sind Frauen und Männer noch gleichauf. Doch nur ein knappes Viertel der Professuren sind aktuell von Frauen besetzt.

Die UZH unternimmt seit Jahren Anstrengungen, den Frauenanteil zu erhöhen. Nur: «Die vielen Massnahmen hatten über die Jahre nur einen relativ kleinen Effekt», sagte Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung der UZH, zum Auftakt der Veranstaltung. «Wir wollten verstehen, weshalb das so ist.» Deshalb wurden Katja Rost, Soziologie-Professorin an der UZH, und die emeritierte Ökonomie-Professorin Margit Osterloh beauftragt, eine Studie zum Thema zu machen. Diese führte zu überraschenden Resultaten. Etwa, dass in männerdominierten Fächern die Pipeline viel weniger leckt als in solchen, in denen Frauen in der Überzahl sind. In einer Folgestudie suchten Osterloh und Rost nach Erklärungen und befragten dafür Studierende der UZH und der ETH.

Bevor diese zweite Studie publiziert war, erschien darüber in der Sonntagszeitung ein Artikel mit dem Titel «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen». Der Artikel löste einen medialen Sturm aus.

Je höher die Qualifikationsstufe, desto geringer der Anteil der Frauen. Dieses Phänomen wird als «Leaky Pipeline» bezeichnet.

Dem Mainstream widersprochen

In dem von der Publizistin Esther Girsberger moderierten Podiumsgespräch mit neun Teilnehmer:innen kamen unterschiedliche Sichtweisen zur Sprache. Kernthema der Diskussion war der Befund der zweiten Studie, Frauen hätten andere Präferenzen als Männer und würden sich deshalb häufig gegen eine akademische Karriere entscheiden. Für diese «Selbstselektion» gebe es auch in anderen Studien «vielfältige Evidenz», sagte Katja Rost. Die Studienautorinnen ziehen daraus den Schluss, dass nicht die Organisationen – in diesem Fall die UZH und die ETH – für die Leaky Pipeline verantwortlich sind, sondern «tief verankerte Rollenvorstellungen» bei Frauen und Männern. «Damit widersprechen wir dem Mainstream», so Rost.

Volkswirtschaftsprofessor Josef Zweimüller zeigte sich vom Ergebnis der Studie wenig überrascht. «Es zeigt sich einmal mehr, dass die traditionelle Rollenverteilung auch in der Schweiz noch sehr tief verankert ist», sagte er. Und nach wie vor gebe es «riesige Gender-Ungleichheiten» auf dem Arbeitsmarkt. Insbesondere die Geburt des ersten Kindes hinterlasse in der Erwerbskarriere von Frauen tiefe Spuren.

Fabienne E. Meier, Partnerin bei Beratungsfirma Knight Gianella Executive Search, sagte, auch in der Wirtschaft würden sich viele Frauen gegen eine Karriere entscheiden. «Wir müssen verstehen, warum das so ist», sagte sie, und dann entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

Kritik an der Studie

Doch liegt das Problem bei den Präferenzen der Frauen und Männer und der Asymmetrie in Partnerschaften?Hart ins Gericht mit der Studie ging Elsbeth Stern, ETH-Professorin für empirische Lehr- und Lernforschung. Um der Frage nach der Leaky Pipeline auf den Grund zu gehen, so bemängelte sie unter anderem, hätte man nicht Bachelor-Studierende befragen müssen, weil der Frauenanteil erst auf höheren Qualifikationsstufen absinkt. Wobei die Studie auch Master-Studierende, Doktorierende, Post-Doktorierende und Assistenzprofessorinnen befragt. Markus Theunert vom Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen wiederum beklagte einen Mangel an Empathie der Studienautorinnen.

Für jene, die sich seit Jahren für die Gleichstellung einsetzten, sei die Studie und die mediale Berichterstattung darüber wie ein Schlag ins Gesicht, sagte Seraina Eisele von der Gleichstellungskommission des Verbands der Studierenden der UZH (VSUZH). Der Artikel in der Sonntagszeitung enthalte «generalisierende und faktenwidrige» Aussagen, kritisierte Eisele. Die verkürzte Wiedergabe in den Medien sei von den Autorinnen der Studie nie richtiggestellt worden. Der VSUZH hat deshalb gefordert, die UZH müsse sich vom Artikel distanzieren. 

Ausserdem wies Eisele darauf hin, dass die auf dem Podium (und im Artikel der Sonntagszeitung) gemachte Aussage, Frauen wollten erfolgreiche Männer heiraten, für einem Mehrheit der Frauen nicht zutreffe, wie die Studie zeige. «Es ist vielmehr so, dass 55% der Frauen in frauendominierten Fächern und 68% der Frauen in männerdominierten Fächern dies nicht wollen.»

Unzufrieden mit der Studie ist auch die Vereinigung Akademischer Nachwuchs der UZH (VAUZ), wie Co-Präsident Philip Zimmermann erklärte. Die Studie bediene den aktuellen Genderbacklash, deshalb habe sie ein so grosses mediales Echo ausgelöst.

Prorektorin Elisabeth Stark sagte, auch für sie sei die öffentliche Debatte teilweise wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. «Dass die Rahmenbedingungen für die akademische Karriere nicht ideal sind, ist bereits erkannt worden. Wir bemühen uns, die Bedingungen zu verbessern und haben gerade im letzten Jahr einige Fortschritte erzielt. Es trifft uns, wenn das diskreditiert wird.»

Neue Karrierewege eröffnen

Für Josef Zweimüller und Elsbeth Stern sind traditionelle Rollenmuster, die uns bereits in der Schule eingebläut werden, ein Teil des Problems. «Wenn Mädchen gut sind in Mathe, sind sie fleissig, sind Buben gut, sind sie intelligent», sagt Stern dazu. Das müsse sich ändern, betont Zweimüller: «Es müssen neue Karrieremuster entwickelt werden, die genderneutral sind.»

Margit Osterloh hob mit Blick auf die beiden von ihr mitverfassten Studien hervor, dass Frauen je nach Fach «zu anderen Lebensplänen» tendierten. Es sei daher ratsam, die Massnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils an den Hochschulen den spezifischen Gegebenheiten im jeweiligen Fach anzupassen.

Philip Zimmermann formulierte den Wunsch, die «schmerzhaften Punkte» der akademischen Karriere anzugehen. Dazu gehört, dass im Alter von vierzig Jahren oft immer noch nicht klar ist, ob sie gelingen kann. Für den VAUZ sind deshalb konkrete Massnahmen für Frauen und Männer wichtig, die neue Karrierewege eröffnen – so etwa unbefristete Stellen für den Mittelbau, von denen an der UZH bereits in diesem Jahr einige neu geschaffen wurden.

Prorektorin Stark plädierte an alle Seiten, miteinander im Gespräch zu bleiben, und riet zu einer Haltung «entspannter Neugierde». Die UZH sei entschlossen, die Rahmenbedingungen für akademische Karrieren weiter zu verbessern – auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Stark wies dabei namentlich auf die beiden Universitären Forschungsschwerpunkte «Menschliche Fortpflanzung» und  «Gleichheit und Ungleichheit» hin. «Gleichstellung ist ein ständiges Thema an der UZH, das wir sehr ernst nehmen», sagte sie.