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Symposium zu Ehren K. Alex Müller

«Eine Lawine losgetreten»

Zu Ehren des verstorbenen Physikers und Nobelpreisträgers K. Alex Müller veranstaltet die UZH am 21. September ein Symposium. Zur Vorschau auf die Veranstaltung blicken wir auf die nobelpreisgekrönte Entdeckung und sprechen mit zwei Weggefährten.
Stefan Stöcklin
Die frisch gekührten Nobelpreisträger K. Alex Müller (li) und J. Georg Bednorz. (Bild Keystone SDA)

«Wir haben eine Lawine losgetreten», sagte K. Alex Müller zum 20-jährigen Jubiläum der Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung, für die er und sein Mitstreiter J. Georg Bednorz 1987 den Nobelpreis erhielten. Anfang Jahr ist der nobelpreisgekrönte Forscher im Alter von 95 Jahren gestorben – und die Lawine, die er und sein Kollege ins Rutschen gebracht haben, ist noch nicht zur Ruhe gekommen.

Im Gegenteil. Diesen Sommer hielt die Meldung südkoreanischer Forscher über einen Supraleiter, der nicht gekühlt werden muss, die Wissenschaft auf Trab. Das ominöse Material namens LK-99, das bei Zimmertemperatur angeblich verlustfrei Strom leiten kann, beflügelt die Phantasie – nicht zuletzt dank einem eindrücklichen Bild in den sozialen Medien, das eine schwebende Probe zeigt.

Unzählige Versuche, das Experiment zu reproduzieren, sind allerdings gescheitert und Expert:innen sind unterdessen der Meinung, die angebliche Supraleitung von LK-99 sei eine Fehlanzeige. Der Hype um den angeblichen Durchbruch zeigt die grosse Faszination, die supraleitende Materialien nach wie vor umgeben. «Die Vorstellung, Strom verlustfrei zu transportieren, begreift jeder und jede und lässt niemanden kalt», sagt Andreas Schilling, Professor für Experimentalphysik an der Universität Zürich.

Schilling führt die Tradition des Verstorbenen K. Alex Müller an der UZH weiter und forscht mit Supraleitern, allerdings nicht mit den Materialien von Müller und Bednorz, sondern mit anderen Verbindungen. Der Physiker ist einer der Redner am Symposium vom 21. September, an dem der verstorbene Nobelpreisträger im Zentrum stehen wird und Weggefährten und Persönlichkeiten aus der Wissenschaft auftreten werden (Anmeldung nötig). Zudem bietet vom 19. September bis 14. Oktober eine Ausstellung im Lichthof Irchel Einblicke in das Leben des Forschers und die Welt der Hochtemperatur-Supraleitung.

Diskrete Versuche

Anruf bei Georg Bednorz in Wolfhausen im Zürcher Oberland. Der Physiker ist unterdessen pensioniert und nicht mehr an seinem langjährigen Arbeitsort am Forschungszentrum der IBM in Rüschlikon tätig. Eine kraftvolle Stimme antwortet am anderen Ende der Leitung, Bednorz spricht rasch und bestimmt.

Natürlich erinnert er sich an das Jahr 1983 zurück, als er mit K. Alex Müller Experimente zur Suche nach Hochtemperatur-Supraleitung in Keramiken durchzuführen begann. Müller war damals Leiter der Abteilung Physik am IBM Forschungslabor und Professor an der UZH, Bednorz wissenschaftlicher Mitarbeiter einer anderen Forschungsgruppe. Die beiden kannten sich gut, war Müller doch zuvor Doktorvater von Bednorz gewesen. Die Versuche zur Supraleitung liefen zunächst jahrelang neben anderen Hauptprojekten her, ohne dass die beiden Forscher darüber sprachen.  

«Das war eine reine Schutzmassnahme», sagt Bednorz, «denn wir befürchteten, dass man unser Unterfangen in Fachkreisen als absurd abgetan hätte.» Dies deshalb, weil Vorbehalte gegenüber Keramiken als Supraleiter existierten. «Aber es gab theoretische Überlegungen, die uns zu Keramiken mit Nickel- oder Kupferoxid führte.»

Nach drei Jahren Experimentieren und Probieren kam 1986 der erhoffte Erfolg. Dank einer Verbindung aus Barium, Lanthan und Kupferoxid konnten die beiden die Sprungtemperatur, unterhalb derer der elektrische Widerstand zusammenbricht, um zwölf Grad auf -238 Grad Celsius anheben. Das war damals die höchste je gemessene Temperatur für Supraleitung.

Stickstoff statt Helium

«Anfangs glaubte man uns nicht», erinnert sich Georg Bednorz. Japanische Forschungsgruppen waren die Ersten, die sich auf unsere Experimente stürzten, um die Resultate zu reproduzieren. Als die Ergebnisse nach und nach bestätigt wurden, setzte sich die von Müller erwähnte Lawine in Gang. Landauf landab begannen Physiker mit supraleitenden Verbindungen auf der Basis von Kupferoxiden zu experimentieren und konnten die Temperaturen rasch auf -180 Grad Celsius anheben.

Damit wurde es möglich, zur Erreichung des Effekts die Materialien mit flüssigem Stickstoff zu kühlen, das bei minus 196 Grad Celsius siedet – ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem viel teureren flüssigen Helium, das zuvor nötig war und einen Siedepunkt von minus 269 Grad Celsius besitzt. Die gloriose Bestätigung und Weiterführung ebneten den Weg für den Nobelpreis, der nur ein Jahr nach den bahnbrechenden Experimenten bereits 1987 verliehen wurde – für einen «wichtigen Durchbruch für die Entdeckung der Supraleitung in keramischen Materialien», wie es in der Würdigung des Nobelpreiskomittes heisst.

Andreas Schilling war damals an der ETH Zürich in der Gruppe von Hans Rudolf Ott und einer jener Forscher, die auch mit Kupferoxiden experimentierten. Er darf für sich in Anspruch nehmen, das Material mit der höchsten Sprungtemperatur von Kupferoxiden mit mittlerweile minus 138 Grad Celsius entdeckt zu haben. «Höhere Temperaturen konnten mit diesem Material unter Normalbedingungen nicht erreicht werden», sagt Andreas Schilling.

Die Zukunft ist elektrisch

Seit den denkwürdigen Experimenten sind fast vierzig Jahre vergangen – wo stehen wir heute hinsichtlich Anwendungen? Georg Bednorz räumt ein, dass es mit der Verbreitung von technischen Anwendungen im Alltag noch hapert. Hierzulande kommt die Hochtemperatur-Supraleitung vor allem im Bereich der Forschung zum Einsatz – zum Beispiel im CERN.

Dort basieren die elektrischen Zuleitungen der Magnete des Teilchenbeschleunigers LHC auf Hochtemperatur-Supraleitern. Seit 2008 transportieren diese Keramiken gewaltige Strommengen von 13'000 Ampère nahezu verlustfrei. «Die Technik funktioniert zuverlässig, wie weitere Beispiele zeigen», sagt Bednorz, «es ist eine Frage des politischen Willens, ob sie vermehrt eingesetzt wird.» Zum Beispiel wurden im deutschen Essen erfolgreich Versuche im städtischen Netz mit Supraleitern von einem Kilometer Länge durchgeführt. Deutlich längere Leitungen sind in Entwicklung. Auch eine Windkraft-Anlage in Dänemark hat erstmalig erfolgreich einen Generator mit Spulen aus supraleitenden Drähten erprobt.

Bednorz redet sich in Fahrt: «Mit dem Umbau der fossilen Energieversorgung schlägt die Stunde der Supraleitung.» Wo immer Strom erzeugt und transportiert oder in Magnetfelder umgewandelt wird, erhöhen Supraleiter die Effizienz und Leistung. «Die Zukunft ist elektrisch», betont der Forscher und fragt rhetorisch, «wenn jetzt kein Wille zum Einsatz dieser Technologie besteht, wann dann?» 

Wenn jetzt kein Wille zum Einsatz der Technologie der Hochtemperatur-Supraleitung besteht, wann dann?

Georg Bednorz
Physiker und Nobelpreisträger

Absolute Forschungsfreiheit

Noch ist offen, ob mit der Dekarbonisierung der Energiewirtschaft die Supraleitung auf breiter Front zum Einsatz kommt, wie es sich Georg Bednorz wünscht. Klar ist hingegen ein anderes Fazit dieses denkwürdigen Nobelpreises, den sich die Forschungspolitiker:innen hinter die Ohren schreiben sollten.

Die beiden Physiker hatten den Mut zu unkonventionellen Ideen und schwammen gegen den Mainstream. Dank ihrer Beharrlichkeit und etwas Glück, das immer auch dazu gehört, wie Georg Bednorz feststellt, waren sie erfolgreich. «Dies war nur möglich, weil ihnen das IBM-Institut alle Freiheiten zum Risiko liess», sagt Andreas Schilling. So konnten Georg Bednorz und K. Alex Müller ihren Weg gehen und einen Paradigmenwechsel herbeiführen.