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Naturwissenschaften

«Lehrer werden, darf nicht Plan B sein»

Die Wirtschaft sucht Naturwissenschaftler. Von den Universitäten und Hochschulen kommt zu wenig Nachwuchs. Vor allem Frauen studieren lieber moderne Sprachen als Mathematik. Michael Hengartner, Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, fordert für Mittelschulen mehr Freiheiten in der Unterrichtsgestaltung und lädt ein zum Informationstag seiner Fakultät. 
Marita Fuchs

Trotz guter Berufsaussichten sind die so genannten MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – bei Schülerinnen und Schülern nicht beliebt. Doch weshalb? Der Bundesrat wollte es genau wissen und liess 2010 einen Bericht erstellen. Dieser hält unter dem Titel «Mangel an MINT-Fachkräften in der Schweiz» fest, dass die Weichenstellung für und wider Naturwissenschaften in der Schulzeit erfolgt. Zeigen Jugendliche im Alter von 15 Jahren an MINT-Fächern Interesse und gute Leistungen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie später auch ein  solches Fach studieren. Bei Jungen trifft dies noch in viel höherem Ausmass zu als bei Mädchen.

Faszinierende Naturwissenschaften: Für begabte Mädchen fehlen die Rollenmodelle.

Im Jahr 2008 wurden rund 18'000 gymnasiale Maturitätsdiplome ausgestellt. Am beliebtesten waren die Schwerpunktfächer Moderne Sprachen (25 Prozent) und Wirtschaft und Recht (19 Prozent). Lediglich 10 Prozent der Maturandinnen und Maturanden hatten Physik und Anwendungen der Mathematik und 16 Prozent Biologie und Chemie gewählt. Interessant auch: Studierende der Wirtschaftswissenschaften und des Rechts stufen Arbeitsmarktüberlegungen und Einkommenschancen als sehr wichtig ein, während bei allen anderen Studierenden diese Faktoren eine geringe Rolle spielen.

Zwar steigen die Studentenzahlen seit 2007 in Fächern wie Chemie, Mathematik oder Physik nach dem grossen Einbruch Mitte der neunziger Jahre tendenziell wieder an – aber nicht schnell genug. Werbung ist dringend notwendig. Vor allem bei jungen Frauen. Sie sind häufig technikfern sozialisiert und trauen sich deshalb nicht zu, in einem Fach wie Physik zu bestehen. Falls sie es denn überhaupt versuchen: Vielen erscheinen naturwissenschaftliche und technische Fächer ohnehin uninteressant – zu abstrakt, zu trocken, zu wenig lebensnah.

Herr Hengartner, Sie sind Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Haben die Naturwissenschaften ein Imageproblem?

Michael Hengartner: Die Naturwissenschaften werden in modernen Gesellschaften häufig zwiespältig betrachtet: Die Fortschrittseuphorie und der Wissenschaftsglaube der 50er und 60er Jahre ist einer Wissenschaftsskepsis gewichen. Die Forscher sind gefordert: Wir müssen unsere Arbeit der Öffentlichkeit erklären und zeigen, wie wichtig sie für die Entwicklung unserer Welt in Zukunft ist.

Was muss sich ändern, damit sich mehr Jugendliche für Naturwissenschaften begeistern?

Die Naturwissenschaften müssen in den Schulen mehr Gewicht bekommen. Auch sollte man der Ausbildung von Mittelschullehrern mehr Beachtung schenken. Der Entscheid, Lehrer zu werden, darf nicht Plan B oder C sein, sondern muss mit voller Überzeugung erfolgen. Dazu müsste der Lehrerberuf auch gesellschaftlich aufgewertet werden.

Meiner Ansicht nach sollten Lehrer mehr Freiheiten bekommen, so dass sie die Curricula persönlicher und kreativ umsetzen können. Ich bin überzeugt, dass die Wahl eines Studienfaches auch von der Qualität und Begeisterung der Lehrperson abhängt.

Prof. Michael Hengartner: «Die Wahl eines Studienfaches hängt auch von der Qualität und Begeisterung der Lehrperson ab.»

Wie wollen Sie die Mädchen ins Boot holen?

Für begabte Mädchen fehlen die Rollenmodelle. Leider gibt es auch an unserer Fakultät noch viel zu wenige Professorinnen. Für die Mathematik haben wir mit der Euler-Society eine gute Möglichkeit geschaffen, interessierte Schülerinnen und Schüler an die Universität zu holen. Die Mathematikprofessorin Anna Beliakova gibt zum Beispiel Kurse für Jugendliche, die gerne an komplizierten Matheaufgaben knobeln.

Was tut die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät sonst noch, um die Naturwissenschaften für Schülerinnen und Schüler attraktiv zu machen?

Am 12. März veranstalten wir zum zweiten Mal einen Informationstag. Dabei sollen Schüler und Lehrpersonen vor allem einen Einblick in die Wissenschaft, aber auch in den Universitätsalltag an sich bekommen. Die Themenpalette ist vielfältig: Im Fachbereich Mathematik wird zum Beispiel gezeigt, wie Google mit Milliarden von Unbekannten rechnet. In der Abteilung Chemie erfahren die Schüler, was man mit Lasern in der Chemie anstellt und wie man damit Lichtmoleküle verfolgt.

Wir bieten darüber hinaus mit dem «Life Science Learning Center» Lehrern und ihren Klassen die Möglichkeit, naturwissenschaftlichen Unterricht ins Labor zu verlagern. Damit werden auch experimentelle Arbeiten möglich. Dieses Konzept wollen wir noch ausweiten und Wissenszentren in der Physik, der Mathematik, Geographie und Chemie einrichten. Damit wollen wir Mittelschullehrern die Möglichkeit bieten, sich aktiv mit Forschenden auszutauschen.

Wer wird das alles finanzieren?

Für die Anschubfinanzierung haben wir für das erste Jahr Geld von der «cogito-Stiftung» erhalten. Auf Dauer wollen wir schauen, dass unsere Fakultät diese Initiativen selbst finanzieren kann.