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Brupbacher Preis 2011

«Krebs ist eine genetische Krankheit»

Der diesjährige Charles Rodolphe Brupbacher Preis für Krebsforschung geht an Bert Vogelstein und Jan Hoeijmakers. Beide Forscher sind Pioniere für das Verständnis der genetischen Grundlagen der Entstehung von Tumoren. An der Preisverleihung gaben die ausgezeichneten Forscher anschauliche Beispiele ihrer Arbeit.
Claudio Zemp

Der Brupbacher Preis geht dieses Jahr an den Biomediziner Bert Vogelstein von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) und an den Molekularbiologen Jan H. Hoeijmakers von der Erasmus- Universität in Rotterdam. Beide gehören zu den renommiertesten Krebsforschern der Welt. «Jan ist einer meiner wenigen wahren wissenschaftlichen Helden», sagte Vogelstein gestern an der feierlichen Preisverleihung im Hörsaal des Universitätsspitals Zürich. Die Erkenntnisse beider Forscher helfen wesentlich, die genetischen Grundlagen der Entstehung von Tumoren besser zu verstehen.

Geehrte und Stifter des Charles Rodolphe Brupbacher Preises 2011 (v.l.): Klaus Grätz, Bert Vogelstein, Frédérique Brupbacher, Jan Hoeijmakers, Andreas Fischer.

Darmkrebs durch Mutationen

Vogelstein ist einer der meist zitierten Autoren der biomedizinischen Wissenschaften. «Viele Krebsforscher der Welt haben zu seiner Musik getanzt», sagte Professor Paul Kleihues in seiner Laudatio. Vogelstein sei ein Wissenschaftler, der seinen forschenden Kollegen immer wieder glückliche Aha-Momente beschere. Am besten bekannt ist Vogelstein durch seine grundlegenden Studien über die Entstehung von Darmkrebs. Tumore des Dickdarms eignen sich besonders gut für eine Analyse, da sich ihre Entwicklung aus gutartigen Vorstufen zum bösartigen Tumor klinisch durch Darmspiegelung verfolgen lässt.

Vogelstein stellte dabei fest, dass erste, kleine Ansammlungen atypischer Zellen im Darm durch die Mutation eines Gens verursacht werden, das die Zellteilung kontrolliert.

Brupbacher-Preisträger Bert Vogelstein ist ein führender Darmkrebs-Forscher: «In zehn Jahren werden wir einige Krebsarten besiegt haben.»

Bei der nicht erblichen Form des Darmkrebses folgen dann weitere krankhafte genetische Veränderungen. Jede dieser genetischen Veränderungen geht mit einem langsamen Wachstum des Tumors einher, von vorerst kleineren zu später grösseren, gutartigen Polypen bis hin zur Entwicklung eines Karzinoms. Von der Bildung eines Polypen bis zum Karzinom vergehen durchschnittlich 17 Jahre.

Fortschritt in 35 Jahren Forschung

An der Preisverleihung erzählte Vogelstein einen Schlüsselmoment zu Beginn seiner Karriere. Als junger Kinderarzt war er 1976 frustriert, weil er keine Antworten hatte auf die Fragen der Eltern eines Mädchens mit Leukämie: «Damals war Krebs eine Black Box, heute wissen wir, dass Krebs im Wesentlichen eine genetische Krankheit ist.» Vogelsteins Methoden zur Darstellung des Wachstums von Krebszellen werden heute weltweit angewandt, bestimmte Grafiken nennt man «Vogelgrams». Seine Beobachtungen über die sequentielle Ansammlung von Mutationen als Ursache der Tumorentstehung haben weltweit grosse Beachtung gefunden und sind die Grundlage für Fortschritte in Prävention, Frühdiagnose und Behandlung von Darmkrebs geworden.

Feierliche Zeremonie: Ein klassisches Trio mit jungen Musikern verlieh der Preisverleihung einen würdigen Rahmen.

Minimale Fehlerquote im Erbgut

«Krebszellen sind fast gleich wie gesunde Zellen», sagte Vogelstein nach der Preisübergabe. Er verglich das menschliche Erbgut, das in jeder einzelnen Zelle steckt, mit einer Enzyklopädie. Diese besteht aus 46 Chromosomen-Büchern mit je 1000 Seiten. Jedes einzelne Gen würde darin aus je 1500 Buchstaben bestehen. Das Genom einer Krebs-Zelle weicht von jenem einer gesunden Zelle nur minim ab. So hätte es in der «Krebsausgabe» der Enzyklopädie nur 46 Seiten mit Tippfehlern sowie je zwei verlorene und doppelte Seiten. «Jeder Verleger wäre mit einer solch geringen Fehlerquote sehr zufrieden», sagte der Forscher. Angesichts der Fortschritte der letzten Jahre zeigte er sich überzeugt davon, dass die Menschheit im nächsten Jahrzehnt einige Krebsarten besiegen werde: «Wenn Sie erst einmal mehr über eine Krankheit wissen, ist es nur eine Frage der Zeit, sie heilen zu können.»

Flucht nach Zürich

Der zweite diesjährige Preisträger Jan H. Hoeijmakers ist ein Pionier bei der Erforschung von Xeroderma, einer erblichen Hauterkrankung. Er trug viel bei zur Aufdeckung der molekularen Grundlage von erblichen Erkrankungen, die durch eine fehlerhafte DNS-Reparatur verursacht werden.

Molekularbiologe Jan Hoeijmakers erklärte anschaulich die Genetik: «Zürich war sehr wichtig für meine Karriere.»

Die Laudatio hielt der aus Florida angereiste Molekularbiologe Charles Weissmann. Zu Beginn zeigte Weissmann dem Publikum den gemeinsamen «akademischen Stammbaum», in dem gleich über mehrere Generationen Nobelpreisträger vorkommen.

Die beiden Wissenschaftler hatten sich 1979 an der Universität Zürich kennen gelernt, als Hoeijmakers in Weissmanns Labor vorübergehend Asyl fand. Zuvor waren seine Gen-Experimente in Holland als sehr gefährlich beurteilt und verboten worden. Weissmann lobte Hoeijmakers nicht nur als hervorragenden Wissenschaftler, sondern auch für seinen grossherzigen Umgang mit Kollegen und Konkurrenten.

Effizienter DNS-Service

«Zürich war sehr wichtig für meine Karriere», sagte Hoeijmakers. Obwohl er nur kurz in Zürich forschte, begann er sich erst nach diesem Intermezzo mit Krebszellen zu beschäftigen. Hoeijmakers zeigte einen kurzen Film des «Tanzes» bei der Teilung der Chromosomen im Zellkern. «Krebs entsteht durch unkontrollierte Zellteilung, wenn der Prozess Fehler enthält», sagte Hoeijmakers. Aber wie bekommt man Fehler in seinen Genen? Die DNS werde durch Umwelteinflüsse dauernd beschädigt. Der Schaden wäre aber unendlich viel grösser, wenn die Zellen nicht über ein äusserst effizientes Reparatursystem verfügten.

Stifterin Frédérique Brupbacher überreichte den Preis zum zehnten Mal, hier an den Hautkrebs-Forscher Jan H. Hoeijmakers.

Xeroderma pigmentosum ist eine erbliche Hauterkrankung, die durch extreme Empfindlichkeit gegenüber UV-Strahlen charakterisiert ist. Bei Patienten mit Xeroderma pigmentosum ist die Reparatur-Kapazität in der DNS stark reduziert. Dank Hoeijmakers Erkenntnissen konnten weitere sehr seltene menschliche Erbkrankheiten einem Defekt der DNS-Reparaturprozesse zugeschrieben werden.

Hoeijmakers konnte gleichzeitig zeigen, dass bestimmte Formen eingeschränkter DNS-Reparatur das Gegenteil eines Tumors bewirken, nämlich das vorzeitige Altern des Organismus. Bei Experimenten mit Mäusen wurde dieser Zusammenhang zwischen DNS-Reparatur und der Alterung bestätigt.

Gesünder alt mit Hunger

So schloss Hoeijmakers mit der Aussicht, dass in Zukunft nicht nur die Stunden des menschlichen Lebens immer mehr würden, sondern auch das Leben in den zusätzlichen Stunden. Augenzwinkernd gab er dem Publikum den Tipp auf den Heimweg, sich am Buffet vornehm zurückzuhalten. Schliesslich seien mangelernährte Affen in Untersuchungen wesentlich älter und weniger krank geworden als ihre immer gut gefütterten Kameraden in der Wohlstandskontrollgruppe.