Der aktuelle Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt klar auf, dass rasches Handeln notwendig ist, um die Erderwärmung zu stoppen. Zwar haben einzelne Branchen ihren CO2-Ausstoss in den acht Jahren seit dem letzten Bericht reduziert. Doch reichen die Reduktionen bei weitem nicht aus, um bis ins Jahr 2050 das Ziel von 1,5 Grad bis höchstens 2 Grad Klimaerwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erreichen. Zu diesem Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2016 haben sich mittlerweile die meisten Staaten bekannt. Doch nur 18 Länder haben ihre CO2-Emissionen bei Verbrauch und Produktion in den letzten Jahren effektiv reduziert. Einige haben in die Produktion von Solar- und Windenergie investiert, andere in die E-Mobilität.
Eine Klimaerwärmung von maximal 2 Grad kann aber nur erreicht werden, wenn alle Länder ihre Gesamtinvestitionen in den Klimaschutz massiv steigern, und zwar in sämtlichen Sektoren: Industrie, Energieversorgung, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude. Der weltweite Ausstoss von Treibhausgasen wie CO2 muss drastisch gesenkt werden, möglichst auf null. Zusätzlich sollen natürliche Kohlenstoffsenken wie Meere, Wälder und Moore erhalten und gestärkt werden, denn sie binden Treibhausgase.
Einen Beitrag zum Klimaschutz können auch die Finanzströme leisten. Noch ist der Finanzsektor weit davon entfernt, klimaneutral zu investieren. Es fliesst nach wie vor viel Kapital in Aktivitäten mit hohem CO2-Ausstoss wie zum Beispiel die Herstellung von Beton, Flugzeugen und Autos mit Verbrennungsmotor oder die intensive Nutzung von Wald und Boden. Doch lässt sich mittlerweile aufzeigen, dass ein Verharren im Status quo erhebliche Risiken birgt. Die Reputation des Finanzsektors leidet darunter, und Investitionen in Technologien, die nicht klimafreundlich sind, können mittelfristig teurer werden als das Umschwenken auf Investitionen in CO2-neutrale Produkte.
Im 6. Bericht des UN-Weltklimarats gibt es ein eigenes Kapitel, das sich mit den Auswirkungen von Investitionen und Finanzierungen auf die Klimaerwärmung beschäftigt. Einer der 15 Hauptautoren dieses Kapitels «Investment and finance» ist der Ausserordentliche Professor Stefano Battiston vom Institut für Banking und Finance, er hat sich auf nachhaltige Finanzierungen und Netzwerke spezialisiert. UZH News hat mit ihm über die Bedeutung des Finanzmarkts in Bezug auf den Klimawandel gesprochen.
Professor Battiston, welche Rolle spielt das Geld bei der globalen Klimaerwärmung?
Stefano Battiston: Eine Schlüsselrolle. Wirtschaftsaktivitäten wie Mobilität, Bauen, Heizen, die industrielle und landwirtschaftliche Produktion etc. sind verantwortlich für den Ausstoss von CO2 – je nach gewählter Technologie in grösserem oder kleinerem Mass. In welche Bereiche wir Geld investieren, ist deshalb zentral bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung. Deshalb hat der Weltklimarat dem Thema «Finanzierungen und Investitionen» im 6. Bericht zum ersten Mal seit dem Pariser Klimaabkommen ein eigenes Kapitel gewidmet. Auch im Pariser Klimaabkommen von 2015 wird die wichtige Rolle der Finanzwelt explizit erwähnt.
Was versteht man unter klimafreundlichen Investitionen?
Wir verstehen darunter Investitionen in Aktivitäten, die die Klimaerwärmung eindämmen, indem sie den Ausstoss von Treibhausgasen im Vergleich zu ähnlichen Aktivitäten substanziell vermindern. Das können zum Beispiel Investitionen in Kraftwerke sein, die Energie aus erneuerbaren Ressourcen herstellen, oder in eine Landwirtschaft, bei der wenig CO2 und Methan ausgestossen wird, oder in die CO2-neutrale Mobilität wie die Herstellung von Elektroautos.
Seit ein paar Jahren bieten Banken verschiedene nachhaltige Anlagefonds an. Kann man mit gutem Gewissen in diese nachhaltigen Fonds investieren, wenn man den Klimawandel bekämpfen will?
Es gibt in der Tat zahlreiche Finanzangebote mit dem Label «nachhaltig». Doch nicht alle sind auch in Bezug auf die Klimaerwärmung nachhaltig. Die verschiedenen Rating-Agenturen, die sich auf die Messung der Nachhaltigkeit von Unternehmen spezialisiert haben, bewerten die Nachhaltigkeit von Firmen meist nach den Anlagekriterien «Umwelt, Soziales und Unternehmensführung» (Environmental, Social, Governance; abgekürzt: ESG). Doch variiert die Art und Weise, wie die Rating-Agenturen die Punkte vergeben, und die Methode wird selten offengelegt. So kann es vorkommen, dass ein Erdgas- oder Erdöl-Unternehmen einen hohen ESG-Wert erhält, obwohl sein Produkt zur globalen Erderwärmung beiträgt – weil es zum Beispiel im Vergleich zu anderen Öl-Firmen gute Arbeitsbedingungen geschaffen hat oder weil es Schutzmassnahmen gegen Öl-Leckagen erlassen hat.
Gibt es keine guten Alternativen?
Um die Transparenz im breiten Feld der sogenannt nachhaltigen Investitionsangebote zu erhöhen, hat die EU im Jahr 2020 eine «taxonomy for sustainable activities» verabschiedet. In diesem Klassifizierungssystem sind die Parameter aufgeführt, die eine nachhaltige Investition im Sinne von klimafreundlich und CO2-neutral kennzeichnen. Darin sind unter anderem Treibhausgas-Grenzwerte je nach Technologiesektor aufgeführt. Bei der Stromproduktion wurde zum Beispiel ein Grenzwert von 100g CO2 pro kWh festgelegt. Für Autos gilt ein Grenzwert von 30g CO2 pro km über den ganzen Lebenszyklus hinweg – was derzeit nur elektrische Autos erfüllen. Im Bereich fossile Brennstoffe wird in dieser Taxonomie keine Aktivität als nachhaltig eingestuft – wobei derzeit noch diskutiert wird, ob Erdgas während der Übergangsphase nicht doch vertretbar ist, zumindest so lange, bis gänzlich auf fossile Brennstoffe verzichtet werden kann.
Welche Rolle spielen die Zentralbanken in Bezug auf den Klimawandel?
Einige Zentralbanken haben erkannt, dass der Klimawandel auch Risiken für ihren Kernbereich birgt: die Preisstabilität und die Stabilität des Finanzsystems. Das gilt auch für die Schweizerische Nationalbank, die dem «Network for Greening the Financial System» beigetreten ist, einem internationalen Netzwerk von Zentralbanken und Finanzmarktaufsichtsbehörden, wo man sich über das Risikomanagement von Umweltrisiken und die Auswirkungen der globalen Erwärmung austauscht. Ausserdem können Zentralbanken die privaten Finanzinstitute ermutigen, die finanziellen Risiken ihrer Investitionen, die den Klimawandel befördern, zu überprüfen. Das wiederum motiviert Investoren, sich CO2-neutralen Aktivitäten zuzuwenden.
Ausserdem haben die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA und die Schweizerische Nationalbank zusammen ein Pilotprojekt durchgeführt, das bei den systemrelevanten Banken in der Schweiz die Risiken identifiziert und misst, die sich bei einem raschen und bei einem verzögerten Übergang zu CO2-neutralen Investitionen ergeben.
Spielt nur das grosse Geld (Börsen, Rohstoffhandel, Zentralbanken) eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels oder auch das Geld von Privatpersonen?
Die Individuen spielen durchaus eine wichtige Rolle. Als Konsumentin oder Konsument zum Beispiel kann eine Privatperson sehr wohl Einfluss nehmen. Wir können entscheiden, ob wir mit unseren Ersparnissen Investments mit hohem oder tiefem CO2-Ausstoss unterstützen – wobei uns die Banken diese Entscheidung durchaus noch einfacher und transparenter machen könnten. Wir können auch entscheiden, wie CO2-freundlich unser Lebensstil ist, wie wir in der Freizeit reisen und wie wir zur Arbeit fahren, wie energieeffizient die Heimgeräte sind, die wir kaufen, wie nachhaltig wir uns ernähren und ob wir alle paar Monate neue Kleider brauchen.
Allerdings ist es für Einzelpersonen schwierig, eine grössere Wirkung zu erzielen. Dazu braucht es vielmehr eine angemessene Kombination aus Steuerpolitik, Marktlösungen und Regulierungen. Es braucht Massnahmen wie eine CO2-Steuer, die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe, öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, die Unterstützung von Unternehmen bei der Dekarbonisierung und Vorschriften zur Offenlegung von Treibhausgasemissionen, damit wir die Klimaerwärmung stoppen können.