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Psychologie

Endlich gesund leben

Seinen Lebensstil zu ändern und mehr für die Gesundheit zu tun, ist anspruchsvoll. Urte Scholz untersucht, wie das gelingen kann. Was die Forschung der Sozial- und Gesundheitspsychologin zeigt: Paare können sich dabei gegenseitig helfen.
Simona Ryser
Mann und Frau spielen Ball
Geht es darum, seinen Lebensstil erfolgreich zu ändern, können sich Paare gegenseitig unterstützen. (Illustration: Anna Sommer)

Wie oft haben Sie schon mit Ihrem inneren Schweinehund gekämpft? «Wau», hat meiner lapidar geoinkt, als ich wieder mal das Morgentraining fallen liess, obwohl ich mir doch so fest vorgenommen hatte, täglich eine Runde im Wald zu joggen. Will man sein Verhalten verändern, braucht das Zeit. Man muss mit Rückschlägen rechnen und damit umgehen lernen, sagt Sozial- und Gesundheitspsychologin Urte Scholz. «Das ist ein Lernprozess – so, als würde man eine neue Sprache lernen.»

Die guten Vorsätze, die man jährlich am Silvester, das Cüpli in der Hand, mit glänzenden Augen und vielleicht einer ein kleines bisschen schweren Zunge dem Liebsten ins Ohr flüstert, während draussen die Feuerwerksraketen knallen, klingen verheissungsvoll. Endlich weniger Alkohol, weniger Süssigkeiten, kein Gipfeli und keine Bratwurst mehr, überhaupt weniger Fleisch, aktiv sein (wir werden jedes Wochenende über Stock und Stein wandern), täglich ins Gym, genug schlafen und – natürlich – nie, nie, nie mehr rauchen. Der Liebste nickt mit schweren Augenlidern und wir drehen noch eine Runde zu «Bésame mucho».

Und tatsächlich gelingt der Januar noch ganz gut. Die Vorsätze sind noch frisch und auch die Läden unterstützen uns einfallsreich mit Veganuary und Dry Januar, wo wir viel Geld ausgeben können für neuartige Lebensmittel und Getränke. Allmählich aber holt uns dann der Alltag ein. Spätestens im Februar ist alles wieder vergessen. Schon am Montag raucht die Liebste ihre Zigi zum Feierabendbier und er hat am Morgen vor lauter Übermüdung gar ein zweites Gipfeli verschlungen. Am Abend gibt es Bratwurst mit Rösti, weil es draussen halt kalt ist. Und apropos Joggingrunde: Bewegt habe nicht ich mich, sondern die Umwelt, als sie am Tramfenster grau und trist an mir vorbeizog. Urte Scholz lächelt sanft. Man müsse Milde walten lassen und dürfe nicht zu streng sein, erklärt sie. Mit Dogmen und Vorsätzen allein kommt man nicht weit. «Es braucht einen Plan», sagt die Gesundheitspsychologin.

Gefährlicher Bewegungsmangel

Eigentlich wissen wir ja zur Genüge, was es für ein gesundes Leben braucht: Nicht rauchen, ausgewogene Ernährung, wenig Alkohol, körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf und Erholung sind die wichtigsten Faktoren, die nicht nur jede medizinische Praxis, sondern auch Lifestylerubriken und -feeds empfehlen.

Aber ist unser Lifestyle denn so ungesund? Ist es tatsächlich relevant, mit welchen schlechten Gewohnheiten wir durchs Leben gehen? Oh ja. Hier nicken mit Urte Scholz auch das Bundesamt für Gesundheit und die WHO mit. Die häufigste Todesursache weltweit sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, laut WHO sind es jährlich etwa 13,9 Millionen Menschen, die an solchen Krankheiten sterben. In der Schweiz sind es über 20000 Personen, was etwa einem Drittel der jährlichen Todesfälle entspricht – gefolgt von Atemwegserkrankungen, Krebs und Diabetes. Das BAG nennt den Bewegungsmangel als einen der wichtigsten Faktoren, die zu Krankheit und Leid führen können – und sehr hohe Gesundheitskosten mit sich bringen, die die ganze Gesellschaft mittragen muss.

Urte Scholz

Leider haben wir kein Gesundheits-, sondern ein Krankheitssystem.

Urte Scholz
Sozial- und Gesundheitspsychologin

Individuelle Gesundheitsberatung

«Tatsächlich sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, abgesehen von gegebenen Faktoren wie Alter, Geschlecht und Genetik, sehr stark von unserem Lebensstil abhängig», sagt Urte Scholz. Das gilt auch für den erworbenen Diabetes Typ 2, der immer mehr auch bei jüngeren, übergewichtigen Menschen festzustellen ist. Insofern sind die Bemühungen um einen gesunden Lebensstil sehr wohl relevant für die körperliche Gesundheit, für ein besseres Wohlbefinden, und sie wirken sich auf die Gesundheitskosten aus.

«Leider haben wir kein Gesundheits-, sondern ein Krankheitssystem», sagt die Sozial- und Gesundheitspsychologin. Heute erhält man finanzielle Unterstützung oft erst, wenn die Krankheit da ist. Doch Kranksein ist teurer als Vorsorgen. «Es braucht mehr Prävention und Gesundheitsförderung», ist Scholz überzeugt, «das wäre kostengünstiger.»

Einen möglichen Ansatz sieht die Forscherin darin, individuelle Gesundheitsberatung, ein gezieltes Coaching durch den Gesundheitspsychologen oder die Gesundheitspsychologin in die Krankenkassenleistungen zu integrieren. So könnten gefährdete Personen frühzeitig unterstützt und Erkrankungen vermieden werden. Eine solche individuell begleitete Unterstützung wäre zielführender als teure Lifestylekampagnen und vor allem günstiger als die Kosten, für die man im Krankheitsfall aufkommen müsste.

Natürlich sind auch Informationskampagnen wichtig, allerdings müssen sie konstruktiv sein. «Risikokommunikation allein zeigt wenig Effekte», weiss Scholz und erwähnt als Beispiel die Zigarettenpackungen. Menschen, die rauchen möchten, rauchen, auch wenn auf der Packung Schockbilder abgebildet sind und darauf hingewiesen wird, dass Rauchen krebsfördernd ist. Rauchende kennen die Risiken in der Regel. «Deshalb braucht es auch motivierenden Botschaften, die auf die Selbstwirksamkeit setzen», sagt Urte Scholz. Eine Verhaltensveränderung muss mit positiven und motivierenden Effekten verknüpft sein. Der Satz «Du schaffst das! Hier kriegst du Hilfe» mit einem weiterführenden Link ist hilfreicher und konkreter als die alleinige Abschreckung.

Unterstützung von den Liebsten

Aber auch der Liebste kann durchaus behilflich sein, wenn es darum geht, endlich mit dem Rauchen aufzuhören oder körperlich aktiver zu sein. Scholz hat in mehreren Studien gezeigt, dass Liebespaare – das können auch Best Friends oder etwa Eltern-Kind-Beziehungen sein – sich gegenseitig wirksam unterstützen können, wenn es darum geht, ungesunde Verhaltensweisen zu verändern. Schreibt sie ihm beispielsweise in einer SMS: «Denk dran: das Vollkornbrötli statt das Gipfeli… :)» oder er schreibt ihm: «Ich hab für dich ein alkoholfreies Bier kühl gestellt», oder sie schreibt ihr: «Hast du heute die Treppe statt den Lift benutzt? Check mal deinen Schrittzähler», kann das die Verhaltensveränderung unterstützen.

In einer Interventionsstudie haben Scholz und ihr Team übergewichtige Paare eingeladen, die beide körperlich aktiver werden wollten. Dafür wurde unter den Paaren per Zufallsprinzip jeweils eine Zielperson und eine unterstützende Person definiert, wobei Letztere der Zielperson Textnachrichten mit Hinweisen oder Fragen schickte. Etwa: «Hast du heute dein Gymnastikprogramm gemacht, wie du dir das vorgenommen hast?» Die Aktivitäten wurden mit Bewegungsmessern überprüft. Tatsächlich waren diese Paare körperlich aktiver als jene in der Kontrollgruppe ohne SMS-Unterstützung.

Interessiert hat Scholz auch, was passiert, wenn Partner ihre Angetrauten in ihrer Verhaltensveränderung nicht nur unterstützen und motivieren, sondern aktiv versuchen, deren Verhalten zu kontrollieren und zu beeinflussen. Das kann gut funktionieren, solange es positiv ist, sagt Scholz. Zum Beispiel wenn es darum geht, mit dem Rauchen aufzuhören, und die Freundin schreibt: «Super hast du heute nur sieben statt zehn Zigaretten geraucht! Versuch morgen auf fünf zu reduzieren.» Tatsächlich waren Paare, die zwar kontrollierend, aber auf eine motivierende Weise kommuniziert haben, erfolgreicher. Weniger erfolgversprechend ist, Druck auszuüben. Sagt der Partner nämlich: «Wenn du mich wirklich liebst, kannst du auch mit dem Rauchen aufhören», kann das eine Trotzreaktion auslösen, sagt Scholz. Das löst schlechte Gefühle und Widerstand aus.

Sich besser fühlen

Keinen Alkohol, keine Schokolade, nicht mehr rauchen – ein gesundes Leben scheint mit Verzicht und Askese zusammenzuhängen. Wo bleibt da der Genuss? Scholz lächelt und schüttelt den Kopf. So sollte es nicht sein. «Das neue Verhalten soll positiv besetzt sein», sagt die Psychologin. Das Mehr an Bewegung soll Freude bereiten. Es muss die richtige Sportart sein, vielleicht ist es nicht das Joggen, sondern ein flotter Fussmarsch mit einer Freundin durch den Wald. Die Vorteile und Freiheiten, die man gewinnt, wenn man nicht mehr raucht oder weniger trinkt, sollen im Vordergrund stehen, ein besseres Körpergefühl zum Bespiel. Auch Urte Scholz hat ihre kleinen ungesunden Laster, gesteht sie. Sie isst gerne Süsses. Solange sie nur eine Reihe und nicht gleich die ganze Tafel Schokolade verschlingt, ist das auch in Ordnung. Diese geniesst sie dann um so mehr.