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Depressionstherapie für Männer

Weinen lernen

Depressive Männer holen sich viel weniger psychologische Hilfe als depressive Frauen. Das hat mit den Geschlechterrollen zu tun, die wir schon als Kinder lernen, sagt Andreas Walther. Der Psychologe entwickelt eine Depressionstherapie, die speziell auf Männer zugeschnitten ist.
Roger Nickl
In der Vergangenheit wurde bei Männern eine Depression oft nicht erkannt. (Illustration: Cornelia Gann)
In der Vergangenheit wurde bei Männern eine Depression oft nicht erkannt, da sich die Krankheit bei ihnen anders äussert. (Illustration: Cornelia Gann)

Geht es um Depressionen, scheinen die Geschlechterverhältnisse klar zu sein. Laut Statistik leiden Frauen doppelt so häufig an depressiven Verstimmungen wie Männer – insgesamt sind rund zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung davon betroffen. Doch so einfach ist es nicht. Der Eindruck täuscht, sagt UZH-Psychologe Andreas Walther und mit ihm viele andere Forschende. Sie vermuten eine hohe Dunkelziffer. Das Leiden ist demnach bei Männern viel verbreiteter, als die Statistik erahnen lässt. «Wahrscheinlich kämpfen etwa gleich viele Frauen und Männer mit einer Depression», sagt Walther. 

Denn depressive Männer holen sich viel seltener psychologische Hilfe als depressive Frauen und scheinen deshalb auch nicht in der Statistik auf. Zudem äussert sich eine Depression bei Männern zum Teil auch anders. Frauen sind oft depressiv verstimmt, lust- und antriebslos, neigen zum Grübeln und kämpfen mit Schuldgefühlen oder dem Gefühl, nicht zu genügen. Bei Männern zeigt sich eine Depression dagegen oft durch erhöhte Reizbarkeit, Aggression und eine gestörte Impulskontrolle. Oder darin, dass sie exzessiv Sport treiben, sich überarbeiten und schneller als Frauen Zuflucht bei Alkohol und Drogen suchen. 

Da die Depressionsdiagnostik in der Vergangenheit auf die klassischen Symptome ausgerichtet war, wurde die Krankheit bei Männern oft nicht erkannt. Auch das wirkt sich verzerrend auf die Statistik aus. Mittlerweile hat der Wind jedoch etwas gedreht. «In der Psychologie ist das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede von Depression in den letzten Jahren deutlich gewachsen», sagt Walther. Entsprechend werden in der Diagnose auch zunehmend «männertypische Symptome» berücksichtigt.

Traditionelle Männlichkeitsideologien

Andreas Walther forscht zu Depressionen bei Männern und testet zurzeit eine spezifische Psychotherapie, um Betroffenen besser und gezielter zu helfen. Doch weshalb haben viele Männer, die an einer Depression leiden, Mühe damit, sich ärztliche oder psychologische Unterstützung zu holen? 

Ein wichtiger Grund dafür sind traditionelle Männlichkeitsideologien, sagt Andreas Walther. Geschlechtervorstellungen also, die definieren, welches Verhalten von Männern gesellschaftlich erwartet wird. Sie müssen demnach stark sein, die Kontrolle über sich behalten und die Probleme selbst in den Griff bekommen – auch wenn es ihnen, wie im Fall einer Depression, schlecht geht und alle Felle davonzuschwimmen scheinen. 

Andreas Walther

In der Psychologie ist das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede von Depression in den letzten Jahren deutlich gewachsen.

Andreas Walther
Psychologe

Wir wachsen mit weiblichen und männlichen Geschlechterstereotypen auf und verinnerlichen diese schon früh. «Ein Mädchen bekommt dann eben den rosa Strampler und eine Puppe, der Junge den blauen und ein Spielzeugauto», sagt Walther, «und Studien belegen beispielsweise, dass Jungen, die sich nicht genderkonform verhalten und etwa mit Puppen spielen, stärker sanktioniert werden als Mädchen, die zum Beispiel Fussball spielen. Dasselbe Muster zieht sich weiter bis ins Erwachsenenalter.» Trotz aktueller Diskussionen zur Gendervielfalt seien diese traditionellen Geschlechterrollen auch heute noch für viele von uns prägend, sagt der Psychologe. Und das hat Folgen – etwa für den geschlechtsspezifischen Umgang mit Depressionen. 

Therapeutisches Neuland

Zu diesen Folgen gehört auch, dass Männer rund dreimal häufiger als Frauen einen Suizid vollziehen – Hintergrund dafür sind oft unerkannte und unbehandelte depressive Störungen. «Von 60 Prozent der Männer, die an einem Suizid sterben, wissen wir aber, dass sie im Jahr davor Kontakt mit dem Gesundheitssystem hatten», sagt Andreas Walther, «das heisst, sie haben irgendwo angeklopft, wurden aber in ihren Bedürfnissen nicht genügend abgeholt.» Mit tragischen Konsequenzen. 

Diese Männer, aber auch solche mit weniger schweren oder sich erst abzeichnenden Depressionen, möchte Walther mit einer massgeschneiderten Therapie besser erreichen und sie optimal unterstützen. Momentan überprüft der Psychologe mit seinem Team in einer Studie, wie gut eine solche männerspezifische Therapie bei Depressionen wirkt. Damit bewegen sich die Wissenschaftler:innen der UZH weitgehend auf Neuland. Denn die meisten bisherigen Psychotherapiestudien zu Depressionen wurden mehrheitlich mit Frauen durchgeführt. 

«Das heisst, man hat Behandlungen untersucht, die auf Frauen ausgerichtet und grösstenteils an Frauen getestet wurden», sagt Walther. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Therapien zwar auch bei Männern wirken, dass diese aber weniger davon profitieren als Frauen und auch häufiger die Therapie abbrechen. Der Psychologe möchte nun herausfinden, ob Männer mit einer gezielteren Behandlung in ihren Bedürfnissen besser unterstützt werden können. 

Verletzlichkeit zulassen

Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit sind nicht nur ein Grund dafür, dass depressive Männer sich seltener psychologische Hilfe holen. Sie sind auch eine Hürde für die psychotherapeutische Behandlung selbst. «In einer Psychotherapie darf man die Kontrolle abgeben, sich verletzlich zeigen, und wenn einem danach ist, auch mal weinen. Zudem ist eine Therapie ein kooperativer Prozess, wo man manchmal auch den Lead dem Therapeuten überlassen darf», sagt Andreas Walther. «Das sind Dinge, die bestimmte Männer problemlos zulassen können. Andere mit einer besonders stark ausgeprägten traditionellen Männlichkeitsideologie haben mehr Mühe damit.» Deshalb ist die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen ein wichtiges Element von Walthers männerspezfischem Therapieansatz. Ein Ziel der Therapie ist, Konflikte mit der Geschlechterrolle – stark sein wollen und gleichzeitig Verletzlichkeit zulassen können – aufzulösen. 

Von Andreas Walthers neuem Therapieansatz sollen künftig vor allem jüngere Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren profitieren. «Wenn wir die Männer früh erreichen, können wir therapeutisch am meisten bewirken und längerfristig für mehr Lebenszufriedenheit sorgen», sagt Walther. Wie gut die männerspezifische Behandlung funktioniert, weiss der Psychologe spätestens im nächsten Jahr, wenn die Resultate der klinischen Studie vorliegen. Im besten Fall lassen sich mit Walthers massgeschneiderter Therapie depressive Männer künftig effektiver behandeln und hoffentlich auch die Zahl der Suizide verringern. 

Dieser Artikel ist im UZH Magazin 1/24 erschienen.

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