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Naturwissenschaftliche Forschungsstationen

Forschen in der Wildnis

Bergschimpansen und kalbende Gletscher: Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät der UZH unterhält wissenschaftliche Stationen auf der ganzen Welt – etwa um den Klimawandel zu analysieren oder um Tiere in ihrer gewohnten Umgebung zu studieren. Wir stellen fünf dieser Stationen vor.
Roger Nickl
Verhaltensbiologin Marta Manser spürt im südafrikanischen Kuruman River Reserve mit Hilfe der Radiotelemetrie Erdmännchen auf. (Bild zVg)

In Sibirien und in Grönland Gletscher, Fjorde und Permafrostböden analysieren, um so den Klima- und Biodiversitätswandel der Arktis zu erforschen und zu dokumentieren. Verhalten, Sozialleben und Kommunikation von Schimpansen im westafrikanischen Guinea, von Erdmännchen in der südafrikanischen Kalahari-Wüste und von Delfinen in der westaustralischen Shark Bay untersuchen: In Forschungsstationen und -allianzen, die die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät (MNF) rund um den Globus unterhält, arbeiten Wissenschaftler:innen der UZH weitab von Zürcher Labors und Büros im freien Feld, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

«Feldforschung stellt man sich zuweilen romantisch vor», sagt Stephan Neuhauss, Prodekan Forschung an der MNF, «das tönt nach Abenteuer, ist aber vor allem harte Knochenarbeit.» Um erfolgreich im Feld zu forschen, braucht es neben der wissenschaftlichen Expertise verschiedene andere Fähigkeiten. Zum Beispiel diplomatisches und kommunikatives Geschick, um mit lokalen Behörden und Regierungen zu verhandeln und mit den Menschen vor Ort zusammenzuarbeiten. Oder planerisches Talent, etwa wenn es darum geht, Reiserouten in abgelegene Gebiete zu finden und wissenschaftliches Gerät dorthin zu bringen. Wichtig sind die Aussenposten der UZH nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. «Wie man im Feld arbeitet, lernt man am besten, indem man es tut», sagt Stephan Neuhauss.

1 Wie Erdmännchen kommunizieren - Kalahari Research Centre

Seit über 25 Jahren werden im südafrikanischen Kalahari Research Centre (KRC) Erdmännchen und andere lokale Tierarten in ihrer natürlichen Umgebung, der Trockensavanne im Norden des Landes, beobachtet und erforscht. Untersucht werden nicht nur das Sozialleben und die Kommunikation der faszinierenden Pelztiere, sondern auch, wie der Klimawandel, der auch in der Kalahari-Wüste spürbar ist, sich auf ihr Verhalten auswirkt. Die UZH-Verhaltensbiologin Marta Manser war von Anfang an an den Langzeitstudien des KRC beteiligt und leitet seit 2017 die Feldforschungsstation. Das KRC ist die zurzeit älteste und grösste Forschungsstation, an der die UZH beteiligt ist. Mehr als zehn internationale Teams aus den Bereichen Tierverhalten, Ökologie, Physiologie oder Genetik und über 400 Forschende sind und waren an Forschungsprojekten beteiligt.

2 Bröckelndes Gletschereis - Green-Fjord-Projekt

Unter teils harschen klimatischen Bedingungen erforschen der UZH-Glaziologie Andreas Vieli und sein Team den Gletscher Eqalorutsit Kangillit Sermiat im Süden Grönlands. Dieser fliesst in einen Fjord und produziert laufend kleinere und grössere Eisbrocken, die ins Fjordwasser abbrechen und zu Eisschollen und Eisbergen werden – die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von kalbenden Gletschern. Mit aufwändigen technischen Messgeräten – darunter einem acht Kilometer langen, entlang der Gletscherfront verlegten Glasfaserkabel, mit dem akustische Vibrationen aufgezeichnet werden – untersuchen die Zürcher Forschenden die Wechselwirkung zwischen Gletscher und Fjord und wie sich diese angesichts des Klimawandels verändert. Die Forschung von Vielis Team ist Teil des interdisziplinären Green-Fjord-Projekts des Swiss Polar Institute, das den Einfluss des Klimawandels auf das Ökosystem der Fjorde in Grönland analysiert. Das Projekt bringt zahlreiche Schweizer Forschungsinstitutionen und internationale Partner zusammen.

3 Jagende Delfine - Shark Bay, Westaustralien

Die Shark Bay, eine riesige Meeresbucht vor der Küste Westaustraliens, gehört zum Unesco-Welterbe und ist unter anderem der Lebensraum von Delfinen. Diese werden dort seit 1982 beobachtet und erforscht – im am längsten währenden Delfin-Forschungsprojekt der Welt. Gemeinsam mit Forschenden aus den Vereinigten Staaten und Grossbritannien leitet der UZH-Anthropologe Michael Krützen diese Forschung. Krützen selbst untersucht mit seinem Team unter anderem das komplexe Sozialverhalten der Meeressäuger. So konnten die Forschenden in Feldstudien etwa zeigen, dass Delfinmännchen mehr oder weniger ausgeprägte Freundschaften unterhalten und dass sehr beliebte Männchen mit besonders vielen Allianzpartnern auch den grössten Fortpflanzungserfolg haben. Und die Wissenschaftler:innen der Universität Zürich konnten belegen, dass Delfine ähnlich wie Menschenaffen Jagdtechniken nicht nur von ihrer Mutter, sondern auch von anderen Artgenossen lernen können.

4 Affen mit Kultur - Nimba Chimpanzee Field Station

In den mit Wäldern und Savannen durchzogenen Nimba-Bergen in Guinea (Westafrika) und im zentralafrikanischen Kongobecken leben Menschenaffen. In dieser zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Region unterhält die MNF die einzige Bergschimpansen-Forschungsstation Afrikas. Gegründet wurde die Station 2003. Die Forschungsgruppe der UZH-Anthropologin Katheljne Koops untersucht hier das Verhalten und die Ökologie wildlebender Menschenaffen. So konnten die Wissenschaftler:innen der UZH in einem Feldexperiment etwa zeigen, dass Bergschimpansen das Knacken von Nüssen mithilfe von Werkzeug nicht von Natur aus selber können, sondern diese Technik von anderen lernen müssen. Damit stehen sie der menschlichen Kultur näher als bisher angenommen.

5 Biodiversität und tauender Permafrost - Kytalyk National Park

Seit 2016 steht ein blaues Forschungszelt mit weissem UZH-Logo im Kytalyk National Park im nordöstlichsten Teil Jakutiens (Sibirien). Hier, nördlich des Polarkreises, arbeitete die Umweltwissenschaftlerin Gabriela Schaepman-Strub jeden Sommer mit einem Team von fünf bis zehn Forschenden. Seit dem Krieg in der Ukraine ist damit Schluss. Schaepman-Strub erforscht die Interaktionen zwischen dem Ökosystem der sibirischen Tundra und den tauenden Permafrostböden. Im torfigen und eiskalten Boden sind riesige Mengen Kohlenstoff gespeichert. Taut dieser auf, werden Unmengen des Treibhausgases Methan freigesetzt. Die Daten, die die UZH-Forschenden in Sibirien gewinnen, sind ein wichtiger Beitrag, um mit Klimamodellen künftige Veränderungen in der Arktis vorherzusagen. «In letzter Zeit hatte die Region mit extremer Trockenheit zu kämpfen», sagt Schaepman-Strub. Die Folge waren grossräumige Flächenbrände. Was diese für die Biodiversität und das Ökosystem bedeuten, müssen die Forschenden zurzeit in Zürich auf Grund von Satellitendaten analysieren. Ob sie jemals nach Kytalyk zurückkehren können, steht in den Sternen.

Dieser Artikel stammt aus dem UZH Magazin 4/2023