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Wolfgang Schäuble an der UZH

«Die Zukunft liegt in unseren Händen»

Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble sprach an der Universität Zürich über die Zukunft der freiheitlichen Demokratie. Gespickt mit Anekdoten und Zitaten aus seiner beeindruckenden politischen Laufbahn, zeichnete er in seiner Rede ein vorsichtig optimistisches Bild.
Maura Wyler-Zerboni
Wolfgang Schäuble zu Gast an der Universität Zürich

Der anhaltende russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der neu entfachte Krieg in Israel – zwei aktuelle Geschehnisse, die 1989 nach dem Ende des Kalten Kriegs und des Ost-West-Konflikts nicht mehr denkbar waren. Wenig sei von dem damaligen Triumph der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie geblieben. Mit dieser ernüchternden Einordnung der aktuellen Entwicklungen eröffnete Wolfgang Schäuble seine Rede am Anlass des UBS Center for Economics in Society an der Universität Zürich und räumte ein: «Vieles hätten wir kommen sehen können.»

Der CDU-Politiker und ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages zitierte den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński, der bereits nach dem Überfall Russlands auf Georgien im Jahr 2008 sagte: «Erst Georgien, dann die Ukraine, dann Moldawien und dann die baltischen Staaten und danach Polen.» Doch wer wollte das damals in Westeuropa schon hören? Zwar seien Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt worden, doch der Bezug von Öl und Gas sei sogar erhöht worden, hielt Schäuble fest. Wachsende Abhängigkeit bedeute aber Erpressbarkeit, dies habe man damals ausgeblendet.  

Globale Antworten

«Der Krieg in der Ukraine richtet sich gegen unsere Werteordnung, weshalb wir die Ukraine aus wohlverstandenem Eigeninteresse unterstützen», fuhr Schäuble fort. Damit setzte er über zu einer Einordnung der aktuellen Weltlage, die, wie er festhielt, gekennzeichnet sei von einer Zeitenwende mit veränderten globalen Macht- und Einflussstrukturen. Für ihn steht fest, dass die drängenden Probleme nach globalen Antworten verlangen. Dabei bezog er sich nicht nur auf die Gefährdung von Sicherheit und Frieden aufgrund kriegerischer und terroristischer Handlungen, sondern auch auf andere Gefahren, wie den Klimawandel, die verstärkten wirtschaftlichen und politischen Interdependenzen oder neue Formen von Cyberwars.

Mass und Mitte

Mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklunngen räumte Schäuble ein: «Vieles hätten wir kommen sehen können.»
Mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklunngen räumte Schäuble ein: «Vieles hätten wir kommen sehen können.»

Sind unsere westlichen wertebegründeten Systeme heute noch effizient genug, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können? Wie kann Europa mit China mithalten, das durch Innovationskraft und Dynamik überzeugt, während in Deutschland Infrastrukturprojekte über Jahrzehnte hinweg vor sich hindümpeln? Schäubles Antwort darauf, welchen Kurs wir in Europa einschlagen müssen, erscheint auf den ersten Blick klar: Es brauche Mass und Mitte. Denn jegliche Form der Übertreibung in jede Richtung sei das eigentliche Problem. Dies gelte sowohl für die soziale Marktwirtschaft, die in der Mitte zwischen reiner kapitalistischer Marktwirtschaft einerseits und staatlichem Dirigismus unter sozialistischer Gleichmacherei andererseits liege, wie auch für die Politik oder für die Medien.

Auf den zweiten Blick räumte Schäuble aber auch Schwierigkeiten bei der Umsetzung ein. Er wies dabei auf einige problematische Verhaltensmuster und Dilemmas menschlicher Ordnung hin. So etwa die Status-Quo-Präferenz, die uns daran hindert, wichtige Veränderungen anzustossen, solange es uns gut geht. In den aktuellen Krisen sieht Schäuble jedoch durchaus eine Chance, «denn Krisen und Krisenbewusstsein schaffen Veränderungsbereitschaft».

Zuversicht für Europa

Grundsätzlich blickt Schäuble der Zukunft zuversichtlich entgegen. Er verdeutlichte dies anhand zweier Entwicklungen in Deutschland: Erstens die massive Waffenlieferung der Deutschen an die Ukraine, zu der man sich nach langem Zögern und Streiten hatte durchringen können, und zweitens der sich abzeichnende, eher realistische Blick auf die Migrations- und Integrationsproblematik. Beides zeige, «dass Problemdruck auch Veränderungen erzwingt.»

Im Rest Europas hofft Schäuble auf ähnliche Entwicklungen. Für ihn steht fest, dass Europa angesichts der ungewissen innenpolitischen Entwicklung in den USA eine stärkere verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit aufbauen muss: «Wobei ich insoweit Frankreich, Polen und Deutschland als Führungskern sehe – Polen mit der einzigen grösseren und einsatzbereiten konventionellen Armee, Frankreich mit seinen nuklearen Fähigkeiten, deren Schutzgebiet ganz Europa sein sollte.»

Die vielfach geäusserte Sorge, dass es zu einer chinesischen oder russischen Dominanz kommen könnte, relativierte Schäuble. Russland sei entgegen fast aller Erwartungen kaum in der Lage, die Ukraine zu besiegen. In China löse sich einerseits der Traum einer neuen Seidenstrasse auf, andererseits erhalte die Grossmacht Gegenwind von den BRICS-Staaten, die hinreichend klar gemacht hätten, dass sie westliche Dominanz nicht durch chinesische ersetzen wollten. Es gibt laut Schäuble also noch Hoffnung. Die liberale Demokratie steht zwar vor Herausforderungen, aber «die Zukunft der freiheitlichen Demokratie liegt in unseren eigenen Händen.»

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