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Mikrobiologie

Räuberische Bakterien

Antibiotikaresistenzen sind bei der Behandlung von bakteriellen Erkrankungen ein immer grösseres Problem. Mikrobiologin Simona Huwiler erforscht, ob Raubbakterien als eine neue Art Antibiotika eingesetzt werden könnten und ob sich dabei Resistenzen gegen diese Raubbakterien entwickeln.
Jeannine Hegelbach
Bakterien
Raubbakterien wie B. bacteriovorus greifen andere Bakterien an und machen sie unschädlich. (Illustration: Benjamin Güdel)

Die Ausbreitung von bakteriellen Keimen, die gegen Antibiotika resistent sind, ist eine grosse Herausforderung für das Gesundheitswesen. Die Bildung von Resistenzen lässt sich kaum stoppen. Und es kommen fast keine neuen Arten von Antibiotika auf den Markt, die gegen resistente Bakterien eingesetzt werden können. Deshalb versucht die Forschung, Alternativen in der Natur zu finden. Dazu werden natürliche Feinde von krankheitserregenden Bakterien wie Bakteriophagen, das sind Viren, die Bakterien abtöten, oder Raubbakterien untersucht, die andere Bakterien angreifen, fressen und eliminieren. Zu den Raubbakterien, die für die Forschung interessant sind, gehört «Bdellovibrio bacteriovorus». Das Bakterium ist ein idealer Kandidat, weil sich auf seinem Speiseplan viele antibiotikaresistente, gramnegative Bakterien befinden. Laborexperimente haben gezeigt, dass dieses Raubbakterium viele krankmachende Bakterien wie Escherichia coli, Enterobacter, Proteus, Serratia, Citrobacter, Yersinien, Shigellen, Salmonellen und Vibrios abtöten kann. Der abwechslungsreiche Speiseplan von B. bacteriovorus ist ein Vorteil gegenüber den Bakteriophagen, die kulinarisch eher auf eine Bakterienart spezialisiert sind.

Die Mikrobiologin Simona Huwiler erforscht das Raubbakterium B. bacteriovorus in einem Projekt, das vom Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses (FAN) unterstützt wird. B. bacteriovorus ist seit über 60 Jahren bekannt. Durch die Antibiotikakrise ist es wieder in den Fokus der Forschung gerückt. Simona Huwiler wurde an einer Konferenz auf das Thema Raubbakterien aufmerksam und lernte während ihres Postdoc-Stipendiats an der Universität Nottingham, wie man damit im Labor arbeitet.

B. bacteriovorus ist in der Natur weit verbreitet und kann aus dem Boden, Abwasser oder Flüssen isoliert werden. Es ist ein Modellbakterium für Raubbakterien und eignet sich gut zur Erforschung. «Mit B. bacteriovorus hat man eine Art genetischen Werkzeugkasten zur Verfügung, mit dem man am Bakterium Veränderungen vornehmen kann», erklärt Mikrobiologin Huwiler, deren Forschungsgruppe dem Labor von Leo Eberl am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie angeschlossen ist. Ausserdem kann dieser Stamm viele verschiedene gramnegative Bakterien abtöten, die in Spitälern Probleme machen. «Es gibt konkrete Anwendungsmöglichkeiten, das macht die Erforschung interessant», so Huwiler.

Privater Speisesaal

Raubbakterien greifen andere Bakterien an und machen diese unschädlich. Doch was passiert bei einem solchen Angriff? Simona Huwiler zeigt im Labor einen Angriff von B. bacteriovorus auf E. coli, der unter einem Mikroskop mit einer 100-fachen Vergrösserung gut beobachtet werden kann. Dazu pipettiert sie auf einen Glasträger zuerst einen Laborstamm E. coli-Bakterien. Dann gibt sie einen Tropfen Flüssigkeit mit den viel kleineren Raubbakterien dazu und legt das Glas unters Mikroskop. Der Blick durchs Mikroskop zeigt: Die grossen Stäbchenbakterien des E. coli dümpeln träge in der Flüssigkeit, während die viel kleineren Raubbakterien in hohem Tempo um sie herumsausen – fast wie nervige Fliegen an einem Sommerabend. Schon nach wenigen Minuten sieht man, wie einzelne Raubbakterien an ein E. coli -Bakterium andocken. Man kann sich das vorstellen wie ein Schiff, das geentert wird. «Das Raubbakterium hat eine Art steifes Seil, mit dem es sich temporär an einer möglichen Beute befestigen kann. Dann zieht es das Seil ein und sich selbst näher an die Beute heran», erklärt Huwiler.

Um in die Beute einzudringen, macht es unter anderem mit Hilfe von Enzymen ein Loch in die äussere Zellwand, schlüpft in die Beute und verschliesst das Loch hinter sich wieder. So entweichen nur wenige Nährstoffe und der Räuber hat eine Art privaten Speisesaal für sich selbst. Ist der Räuber eingedrungen, verändert sich die Form des E. coli. Nach etwa 20 Minuten wird es von einem länglichen Stäbchen zu einer Kugel. In seiner abgetöteten Beute wächst der Räuber, bis er die Nährstoffe aus der Beute aufgefressen hat. Dann beginnt er sich zu teilen. Je nach Grösse der Beute kann er zwei bis zehn Nachkommen produzieren.

Gut geplanter Ausbruch

Nun muss der Räuber wieder aus der leergefressenen Bakterienhülle entkommen. Diese Ausbruchsphase hat Huwiler auf molekularer Ebene bereits in ihrer Postdoc-Zeit an der Universität Nottingham im Labor von Liz Sockett untersucht. «Die Eintritts- und die Austrittsphase des Räubers in die Beute sind für mich der spannendste Teil. Möglicherweise könnten die dort genutzten Werkzeuge und Mechanismen, mit denen der Räuber durch die Zellschichten kommt, sogar als eine Art neue Antibiotika genutzt werden», sagt Simona Huwiler.

Während ihres Postdoc-Stipendiats konnte das Team dort zusammen mit Andrew Lovering zeigen, dass ein spezifisches Enzym, ein modifiziertes Lysozym, mitverantwortlich ist, dass der Räuber ein Loch in die Zellwand der Beute machen und so wieder nach aussen gelangen kann. «Wahrscheinlich nutzt das Raubbakterium verschiedene Methoden, um der leergefressenen Beute zu entkommen», sagt Huwiler. Solche Strategien oder auch andere Mechanismen, Werkzeuge und Waffen der Raubbakterien könnte man möglicherweise in Zukunft als neue Medikamente gegen Infektionskrankheiten nutzen.

Resistenzen gegen Raubbakterien?

Eine wichtige Frage ist, ob die Beutebakterien mit der Zeit auch gegen die Raubbakterien Resistenzen bilden, wie sie das gegen Antibiotika tun. Genau diese Frage untersucht Huwiler mit den aktuellen Experimenten ihres FAN-Projekts, zusammen mit dem Postdoktoranden Subham Mridha und Biomedizin-Professor Rolf Kümmerli. Studien an Tieren haben gezeigt, dass der Einsatz von B. bacteriovorus gegen krankmachende Bakterien gut verträglich ist. Huwiler will nun überprüfen, ob sich Resistenzen gegen den Bakterienangriff entwickeln, was bisher in der Literatur noch nicht ausreichend dokumentiert wurde. «Aus Sicht der Evolutionsbiologie erwartet man Resistenzen in einem Wettrennen zwischen dem Räuber und der Beute», sagt Huwiler dazu. Wichtig bei der Versuchsanordnung sei, der Beute die Chance zu geben, Resistenzen zu entwickeln.

«Lebende Antibiotika»

Bei ihren Experimenten hat Huwiler acht verschiedene Beutepopulationen von E. coli fünfzehnmal abwechslungsweise dem Raubbakterium ausgesetzt und dannach während einer Erholungsphase ohne Räuber wachsen lassen. Im nächsten Schritt wurden die Gene der Beutepopulation vor und nach dem Experiment sowie die Gene einer Beutekontrollgruppe, die keinen Räubern ausgesetzt wurde, sequenziert. Die dabei aufgetretenen Veränderungen und Resistenzbildungen werden zurzeit genauer untersucht. Die Versuche werden wertvolle Hinweise liefern, um die Räuber-Beute-Interaktion besser zu verstehen. Das ist wichtig, um Raubbakterien künftig als «lebende Antibiotika» einzusetzen oder sie als Schatztruhe für mögliche neue Medikamente zu nutzen.

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