Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Michael Chodorkowski an der UZH

Den Freunden des Kremls alles, den anderen das Gesetz

Michail Chodorkowski wählte die Universität Zürich für seinen ersten öffentlichen Auftritt in der Schweiz. In seinem Vortrag kritisierte er die russische Gerichtsbarkeit und insbesondere den russischen Präsidenten. Wladimir Putin vernichte das freie Unternehmertum im eigenen Land, sagte er. 
Marita Fuchs

Kategorien

Kritisierte das russische Rechtssystem: Michail Chodorkowski an der Universität Zürich.

Freitagabend im Lichthof der UZH: Für viele, die den Vortrag von Michail Chodorkowski über die Wirtschaftsfreiheit und die Rolle der Gerichte in Russland hören wollten, bedeutete das zunächst einmal Schlangestehen. Bereits vor 18 Uhr war der grösste Hörsaal gefüllt, in fünf weitere Hörsäle wurde die Veranstaltung übertragen. Chodorkowski war der Einladung des Europa-Instituts gefolgt, sein Vortrag in russischer Sprache wurde simultan ins Deutsche übersetzt.

Der frühere Unternehmer Chodorkowski wurde mit russischem Öl zum Milliardär. Er war Chef des Yukos-Konzerns. Ab 2003 sass er wegen angeblichen Steuerbetrugs für zehn Jahre in russischen Gefängnissen. An Weihnachten letzten Jahres wurde er aufgrund einer Amnestie freigelassen.

Rektor Michael Hengartner begrüsste Michail Chodorkowski, der seit seiner Freilassung mit seiner Familie in der Schweiz lebt, und gratulierte ihm zu seinem 51. Geburtstag, den ersten Geburtstag, den der russische Exilant in der Schweiz verbracht hat. Hengartner würdigte Chodorkowski als Bekämpfer der Korruption in Russland und lobte das Buch, das der ehemalige Häftling kürzlich über seine Mitgefangenen geschrieben hat, als aufrüttelnde Darstellung des Schicksals russischer Gefangener.

In seinem Vortrag, den Chodorkowski speziell an die Studierenden richtete, ging der ehemalige Ölmagnat hart mit dem Regime seines Landes ins Gericht. Putin halte es mit dem Rechtsstaat wie der ehemalige spanische Diktator Franco, sagte Chodorkowski. «Meinen Freunden alles, den anderen das Gesetz.»

Für das Volk Brot und Spiele

Anhand einiger Beispiele belegte der ehemalige Konzern-Chef, dass das russische Rechtssystem fortdauernd geändert werde, wie etwa bei einem Gesetz zur Versammlungsfreiheit, das vom Einreichen bis zur Veröffentlichung nur in einem Monat verabschiedet worden sei. Diese Gesetze würden verabschiedet, ohne vorher Sachkundige zu befragen und ohne die beteiligten Parteien zu konsultieren. Weitere Beispiele: Das Strafgesetzbuch sei in letzter Zeit 62 Mal geändert worden, das Gesetz über die Stellung der Richter 10 Mal. Überhaupt seien die Richter in Wirklichkeit Beamte, die den Willen der Personen aus dem engsten Umkreis Putins ausführten. Und auch die Gesetze selbst dienten den Bedürfnissen der obersten Schicht der Gesellschaft.

Doch wie kommt es, dass trotz all der Korruption Putin in der russischen Bevölkerung so beliebt ist? Diese Frage stellte im Anschluss an den Vortrag der Journalist Erich Gysling, in einer Gesprächsrunde mit Chodorkowski. Das sei eine typische Erscheinung autoritär regierter Länder, meinte der Russe. «Gebt dem Volk Brot und Spiele, oder ein paar Kriege am Rande des Landes, dann ist es zufrieden». Er verglich die Putin-Begeisterung im russischen Volk mit dem Stockholm-Syndrom, bei dem sich die Opfer mit den Geiselnehmern identifizieren.

Für die Zukunft Russlands zeichnete der frühere Oligarch Chodorkowski ein düsteres Bild: Putin zerschlage das freie Unternehmertum. Auf Dauer werde die Wirtschaftskraft des Landes massiv leiden. Chodorkowski hatte sich vor seiner Haft gegen Korruption eingesetzt, Einfluss auf die russische Politik ausgeübt, Oppositionsparteien finanziert und die Regierung öffentlich der Korruption beschuldigt. Dafür wurde er inhaftiert. Auf die Frage Gyslings, ob Chodorkowski, wenn er gewusst hätte, dass er zehn Jahre Haft zu erleiden hätte, sich heute genauso entscheiden würde, antwortete er: Für zwei oder vier Jahre würde er wieder ins Gefängnis gehen, aber zehn Jahre seien eine schrecklich lange Zeit gewesen. «Ich weiss nicht, ob ich dazu den Mut hätte.»

Weiterführende Informationen