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Schizophrene Symptome verbreiteter als vermutet

Schizophrenie-typische Symptome sind in der Allgemeinbevölkerung weitaus häufiger als bisher vermutet. Selbst wenn nur einzelne Schizophrenie-Symptome vorliegen, diese jedoch über mehrere Jahre anhalten, so kann dies erhebliche berufliche und private Probleme für die Betroffenen nach sich ziehen. unipublic hat Prof. Wulf Rössler, Klinikdirektor an der Psychiatrischen Universitätsklinik, zur Studie befragt.
Interview Brigitte Blöchlinger

Fast 40% der 20-Jährigen berichteten in der Studie, dass sie gelegentlich das Gefühl hätten, dass man ihre Gedanken kontrollieren könne; fast ein Viertel gab an, dass sie von Zeit zu Zeit Gedanken hätten, die nicht ihre eigenen Gedanken seien; über 40% hatten das Gefühl, von anderen beobachtet zu werden. 9% der Bevölkerung erlebten mehrere dieser Symptome gleichzeitig über viele Jahre hinweg, ohne dass bei ihnen eine voll ausgeprägte Schizophrenie hätte diagnostiziert werden können.

Ihr Leben blieb von diesen Vorformen der Schizophrenie jedoch nicht unberührt: viele Personen mit anhaltenden Symptomen wiesen erhebliche Probleme am Arbeitsplatz und in persönlichen Beziehungen auf. So war bei ihnen zum Beispiel das Risiko, Probleme mit dem Partner zu haben oder vom Partner verlassen zu werden, doppelt so gross wie in der Allgemeinbevölkerung.

Die Studie wurde mit rund 600 Personen durchgeführt, die in einem Zeitraum von zwanig Jahren regelmässig befragt wurden. Für die Forscher um Prof. Wulf Rössler machen die Studienergebnisse klar, dass Schizophrenie kein exotisches Krankheitsbild, sondern in abgeschwächten Formen in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet ist. Das voll ausgeprägte Bild der Schizophrenie stelle nur die Spitze des Eisbergs dieses Krankheitsspektrums dar.

Professor Wulf Rössler, schizophrene Symptome sind in der Bevölkerung häufiger, als bisher vermutet, haben Sie mit Ihrer Forschungsgruppe an der Psychiatrischen Universitätsklinik in einer als Langzeitstudie angelegten Befragung herausgefunden. Welche schizophrenen Symptome sind damit genau gemeint?

Es sind das zum einen die Kernsymptome der Schizophrenie, die alle mehr oder weniger mit der eigenen Identität zu tun haben. In unserer Fachsprache sind das die so genannten Ich-Störungen. Die Betroffenen sind sich nicht sicher, was ihre eigenen Gedanken sind, was die Gedanken anderer sind, oder sie haben das Gefühl, dass andere ihre Gedanken lesen können.

In einem weiteren Sinne sind das auch akustische Halluzinationen, also die Betroffenen hören Stimmen, die aber in ihrem eigenen Kopf entstanden sind. Diese Kernsymptome sind natürlich in der Allgemeinbevölkerung nicht in gleicher Intensität und auch nicht so andauernd vorhanden, wie dies Menschen mit manifesten schizophrenen Erkrankungen erleben. Daneben gibt es aber auch Vorformen dieser Symptome, die relativ häufig in der Bevölkerung vorhanden sind.

«Cannabis fördert die Ausschüttung des Gehirnbotenstoffs Dopamin, der zentral an der Auslösung von Psychosen beteiligt ist», sagt Prof. Wulf Rössler, Klinikdirektor an der Psychiatrischen Universitätsklinik.

Gemäss Ihrer Studie zeigen rund 40% der Befragten einzelne Symptome, die Sie als Vorformen der Schizophrenie bezeichnen – beispielsweise das Gefühl der Befragten, dass sie von anderen beobachtet würden. Sind diese Menschen bereits psychisch krank beziehungsweise wo liegt die Schwelle zur voll ausgeprägten Schizophrenie?

Menschliches Verhalten, also auch gestörtes Verhalten, lässt sich nur schwer in Schubladen einordnen. Wenn wir von Vorformen sprechen, geht es um ein Spektrum bestimmter Verhaltens- und Erlebnisweisen, die von schizotypen, also schizophrenie-ähnlichen Symptomen bis hin zur Schizophrenie mit den beschriebenen Kernsymptomen reichen.

Menschen mit schizotypen Störungen, die den einen Pol dieses Spektrums bilden, weisen besonders Defizite im mitmenschlichen Kontakt auf. Sie sind nur eingeschränkt fähig, enge Beziehungen einzugehen, und erweisen sich als besonders misstrauisch anderen Menschen gegenüber. Ob diese Menschen bereits psychisch krank sind, lässt sich schwer sagen. Viele dieser Menschen führen ein relativ unauffälliges Leben und sind auch nicht wegen ihrer Störung in Behandlung.

Überhaupt, wenn es nicht gerade um Akuterkrankungen geht, ist für uns weniger wichtig, ob jemand in eine diagnostische Schublade oder in die Schublade «psychisch krank» passt. Viel wichtiger ist dann, ob dieses innere Erleben die Menschen daran hindert, ein Leben entsprechend ihren Vorstellungen zu führen. Und tatsächlich ist es so, dass eben nicht nur Menschen mit anhaltenden Kernsymptomen an dem einen Pol, sondern auch Menschen mit anhaltenden schizotypen Symptomen am anderen Pol erhebliche Probleme in ihrem Lebensvollzug aufweisen.

Sind die von Ihnen festgestellten Schizophrenie-Symptome, die 9% der Bevölkerung über mehrere Jahre hinweg aufweisen, zwingend Vorformen von Schizophrenie oder können sie nicht auch andere Ursachen haben?

Wie bereits gesagt, gibt es ein Spektrum von schizotypen bis zu schizophrenen Symptomen. Die schizotypen Symptome können, müssen aber nicht zwingend in eine Schizophrenie einmünden. Die einzelnen Störungsbilder innerhalb dieses Spektrums stehen jeweils für sich.

Als Risikofaktor nennen Sie in Ihrer Studie unter anderem den häufigen Cannabis-Gebrauch im jungen Erwachsenenalter. Ihr Ergebnis stütze die Hypothese, dass Cannabis-Konsum die Entwicklung von Psychosen begünstige – ein alarmierender Befund. Wie lässt sich dieser Zusammenhang belegen?

Die Tatsache, dass Cannabis Psychose-fördernd sein kann, ist nicht neu. Cannabis wirkt dopaminerg, das heisst, es fördert die Ausschüttung des Gehirnbotenstoffs Dopamin, der zentral an der Auslösung von Psychosen beteiligt ist. Die bisherige Diskussion drehte sich immer darum, ob Cannabis schizophrene Psychosen auslösen könne oder nicht. Neu und die Diskussion wirklich bereichernd ist der Umstand, dass Cannabis offensichtlich auch langfristig abgeschwächte Symptome auslösen kann.

Es besteht jetzt zwar kein Grund, Cannabis zu verteufeln, weil es vermutlich neben dem Cannabisgebrauch auch eine gewisse persönliche Disposition zur Auslösung dieser Störungsbilder braucht. Allerdings sollte auch die Verharmlosung von Cannabis ein Ende haben. Es geht ja nicht «nur» um irgendwelche psychiatrischen Störungsbilder, sondern mit diesen Störungsbildern sind erhebliche persönliche Konsequenzen für das weitere Leben der Betroffenen verbunden – und zwar schon ohne dass das Vollbild der Schizophrenie vorliegen muss.

Als weitere Risikofaktoren nennen Sie ungünstige Lebens- und Umweltbedingungen in der Kindheit und Jugend wie chronische Krankheit der Eltern, häufige Streitigkeiten, harte Bestrafung oder Vernachlässigung durch die Eltern. Wie muss man sich den Zusammenhang zwischen diesen psychosozialen Risikofaktoren und der Krankheit Schizophrenie vorstellen?

Vor mehreren Jahrzehnten war es die «schizophrenogene» Mutter, die mit ihrer gestörten Art der Kommunikation angeblich die «Ursache» der Schizophrenie war. Dieses theoretische und die Angehörigen stigmatisierende Konstrukt hat sich empirisch nie belegen lassen – mit der Folge, dass die Erforschung psychosozialer Ursachen der Schizophrenie lange diskreditiert war.

Heute gibt es ein neu erwachtes Forschungsinteresse an schwierigen Lebensumständen, die die Schizophrenie begünstigen. Zum Beispiel weisen Migranten ein erhöhtes Schizophrenierisiko auf. Neu ist jetzt unser Forschungsergebnis, dass auch schwierige familiäre Umstände lang anhaltende schizophrenie-ähnliche Symptome fördern können. Ganz verwunderlich ist dies allerdings nicht. All das, was ich zuvor gesagt habe, weist darauf hin, dass diese Störungsbilder etwas mit einer gestörten sozialen Wahrnehmung zu tun haben.

Es wäre doch ganz erstaunlich und eher enttäuschend, wenn wir als Eltern keinen Einfluss darauf hätten, wie unsere Kinder die Welt wahrnehmen. Allerdings ist auch klar, dass dies nur ein Einflussfaktor unter mehreren ist. In der Psychiatrie gibt es eigentlich keine monokausalen Erklärungen. Das gilt auch hier.