Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

 

Neandertaler aus dem Überraschungsei

151 Jahre nach der Entdeckung des Neandertalers stellt die neue Ausstellung im Museum der Anthropologie diese Menschenart ins Zentrum. Dabei entpuppt sich das auf einem wissenschaftlichen Irrtum beruhende Bild vom Keulen schwingenden, buckligen Wilden als «Palaeopoesie», die durch Comics, Romane und selbst Kinder-Überraschungseier vermarktet wurde.
Marita Fuchs

Vor 151 Jahren bargen Arbeiter in einem Steinbruch im Neandertal bei Düsseldorf fossilierte Skelettteile, ohne zu wissen, was sie da in Händen hielten. Der Elberfelder Lehrer Johann Carl Fuhlrott erkannte, dass die Überreste einem Menschen zuzuordnen waren, der sich vom zeitgenössischen Menschen unterschied. Seine korrekte Deutung wurde jedoch von Gelehrten seiner Zeit, unter anderem dem deutschen Pathologen Rudolf Virchow, angezweifelt. Virchow diagnostizierte eine rachitische Verformung des Skeletts. Das führte zu einer falschen, und zwar buckligen Rekonstruktion des Neandertalers.

Revidiert das Bild des dümmlichen, äffischen, Keulen schwingenden Neandertalers, der Konservator des Museums der Anthropologie, Dr. Peter Schmid.

Von wegen Barbaren

Die Vorstellung vom Neandertaler (Homo neanderthalensis) als buckligem Halbwilden korrigiert die soeben eröffnete Ausstellung «151 Jahre Neandertaler» im Anthropologischen Museum der Universität Zürich. Der Neandertaler habe demnach Werkzeuge benutzt und vielleicht sogar eine komplexe Lautsprache beherrscht. Und vor allem sei er nicht gebückt gelaufen. Das Skelett aus dem Neandertal war, wie sich herausgestellt hat, das eines alten, zahnlosen Greises, dessen Wirbelsäule altersbedingt verformt war.

Auf Postkarten, im Comic und als Spielfigürchen – der zottelige Wilde fasziniert.

Gerade aber die Darstellungen als zotteliger, gebückter, mit Lendenschutz und Keule versehener Wilder haben die Menschen fasziniert und wurden vermarktet. In der Ausstellung findet sich in einem Kiosk mit Comics, Postkarten und Plastikfigürchen aus Kinder-Überraschungseiern immer wieder die gleiche stereotype Darstellung.

Auf nummerierten Stellwänden ist das Phänomen Neandertaler aufgearbeitet. Wer weiss schon, dass Neandertaler gute Handwerker waren und zum Beispiel eine neue Technik erfanden: Sie verfeinerten ihre Werkzeuge immer mehr, indem sie ganz bestimmte Stücke des Feuersteinknollens abschlugen. Offenbar bestatteten sie auch ihre Toten. Belege für rituelle Bestattungen oder Zeremonien gibt es jedoch nicht.

Gut übersichtlich und mit leuchtenden Karten zeigen Schautafeln Vorkommen und Alltag der Neandertaler.

151 Jahre nach der Entdeckung

Wie Konservator Peter Schmid in seiner Eröffnungsansprache sagte, möchte die Ausstellung vor allem Laien fundiertes Wissen über den Neandertaler vermitteln und gleichzeitig Vorurteile und Bilder vom «barbarischen Halbmenschen» bewusst machen. Eine Vielzahl von Funden sowie neue Arbeitsmethoden hätten die Ansichten über den Neandertaler verändert. Dass man nicht das 150. Jahr der Entdeckung des Neandertalers für die Ausstellung gewählt habe, sondern das 151. Jahr, liege schlichtweg daran, dass sowohl er als auch die Studierenden, die bei der Ausstellung mitgewirkt haben, im Jahr 2006 keine Zeit gehabt hätten.

Paläoanthropologie als High-Tech-Gewerbe

Erbgutanalysen zeigen, dass die Neandertaler nicht Vorfahren des heutigen Menschen, sondern bestenfalls seine entfernten Verwandten waren. Die Paläoanthropologen arbeiten heute nicht mehr mit Zirkel und Pinzette, sondern durchleuchten die Überreste der Vormenschen in hoch auflösenden Computertomographen und mit DNA-Analysen. Um auch diesen Teil der Forschung zu vermitteln, können die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung Filme zum Thema anschauen. Und wer gerne tüftelt, kann einen Schädel an aufgestellten Computern virtuell rekonstruieren.

Anschaulich verdrahtet: Beim Öffnen der Schublade, wird auf der Karte der Fundort des Exponats eingeblendet.

Finales Drama

Die Zeit vor etwa 40'000 Jahren ist für die Besiedlungsgeschichte von Europa besonders interessant. Damals, am Beginn der letzten Eiszeit, tauchten die ersten Vertreter des Homo sapiens in Europa auf, das seit mehr als hunderttausend Jahren ausschliesslich vom Neandertaler besiedelt gewesen war. Bereits 15'000 Jahre, also 500 Generationen später waren die Neandertaler ausgestorben. Was damals geschah, bleibt weiterhin ein Rätsel.

Weiterführende Informationen