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500 Jahre Wissensstandort Zürich

«Akademische Unabhängigkeit ist wichtig»

Die UZH erinnert mit einem reichhaltigen Programm an ihre Wurzeln in der Reformationszeit. Rektor Michael Schaepman warf in einem öffentlichen Vortrag einen Blick in die Zukunft der UZH und betonte dabei den gesellschaftlichen Wert unabhängiger Grundlagenforschung.
Brigitte Blöchlinger
«Wir dürfen spannende Diskussionen führen.» UZH-Rektor Michael Schaepman setzte mit seinem Vortrag den Schlusspunkt der Ringvorlesung «Von Zwingli bis Einstein – 500 Jahre Wissenschaft in Zürich». (Foto Brigitte Blöchlinger)

Als die Universität Zürich 1833 gegründet wurde, musste sie nicht bei null anfangen. Sie konnte auf dem geistigen Erbe früherer Bildungseinrichtungen aufbauen.

Als «Urzelle» der universitären Lehre und Forschung gilt die «Prophezey» des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli und seiner Mitstreiter vor 500 Jahren. Die Reformatoren trafen sich ab 1525 regelmässig an der Kirchgasse 9 in Zürich und legten zusammen die Bibel aus. Sie übersetzten, diskutierten und interpretierten die Bücher des Alten Testaments in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache; und schon damals hielten sie öffentliche «Vorlesungen» ab, die sich ans «Volk» richteten.

Zum Jubiläum ein Ausblick

Das 500-Jahr-Jubiläum der Prophezey feiert die UZH mit einem reichhaltigen, übers ganze Jahr verteilten Veranstaltungsprogramm (siehe Kasten). Eines der Highlights war die interdisziplinäre Ringvorlesung «Von Zwingli zu Einstein – 500 Jahre Wissenschaft in Zürich». Den Abschlussvortrag am letzten Donnerstag hielt UZH-Rektor Michael Schaepman.

Einsteins geniale Eigenwilligkeit

Bevor sich Schaepman den grossen Herausforderungen der Zukunft zuwandte, fragte er die Anwesenden nach dem berühmtesten Doktoranden der UZH: Albert Einstein kannten natürlich alle. Doch die zweite Frage, für welche der sechs wissenschaftlichen Arbeiten des Jahres 1905, seinem annus mirabilis, Einstein den Nobelpreis erhalten habe, löste grosses Rätselraten aus. Es war die Studie zum photoelektrischen Effekt.

Einstein selbst ärgerte sich über diesen Entscheid des Nobelpreiskomitees, er stufte seine Arbeit zur Relativitätstheorie als viel wichtiger ein. An der Verleihung hielt er daher seine Rede nicht wie üblich zum Preisthema, sondern zur Relativitätstheorie. Mit diesem cleveren Schachzug konnte er seine Überzeugung gegenüber der Nobelpreis-Institution durchsetzen.

Abhängigkeit von Rahmenbedingungen

Die Anekdote zu Einsteins Beharrlichkeit führte Schaepman zur allgemeineren Frage, welche Rahmenbedingungen für die Wissenschaft und für die Zukunft der UZH die besten sind.

Als erstes ging er auf die Ziele des Bundesrats zur Tertiären Bildung bis 2027 ein und wies auf diskussionswürdige Punkte hin. Bestrebungen, vermehrt in die angewandte Forschung zu investieren, müssten kritisch hinterfragt werden, so Schaepman. Universitäten hätten die Aufgabe, ihre Absolvent:innen vielfältig zu bilden und sie zu befähigen, selbständig zu denken und komplexe Sachverhalte kritisch zu analysieren. Die UZH tue das bereits mit grossem Erfolg: knapp 96 Prozent der UZH-Abgänger:innen finden nach ihrem Abschluss rasch eine Arbeit.

Unabhängigkeit als Stärke

Für die Universität stellt der Kanton Zürich pro Jahr rund 750 Millionen Franken zur Verfügung. Über Forschungs- und Lehrinhalte entscheiden an der UZH die Fakultäten und Institute. «Diese Regelung ist mir auch bei der Weiterentwicklung der Forschungsbereiche sehr wichtig», betonte Schaepman. Allfällige neue Forschungsrichtungen würden bottom up diskutiert, während die Universitätsleitung für optimale Rahmenbedingungen zuständig sei. Diese Aufgabenteilung sei aussergewöhnlich, sagte der Rektor. Den meisten anderen Universitäten im Ausland würden teilweise Vorgaben gemacht, was sie zu forschen haben. «Die selbstverantwortliche Weiterentwicklung der Forschung ist eine unserer grössten Stärken», sagte Schaepman.

Universitäre Forschungsschwerpunkte

Ausgewählte interdisziplinäre Forschungsthemen werden von der UZH gezielt unterstützt. Der grösste Teil davon, 40 Millionen Franken jährlich, fliesst in die Universitären Forschungsschwerpunkte (UFSP). Die Themen für neue UFSP werden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgeschlagen. «Diese akademische Unabhängigkeit ist extrem wichtig, und wir tragen ihr sehr viel Sorge», sagte der Rektor.

Rektor Michael Schaepman

Die selbstverantwortliche Weiterentwicklung der Forschung ist eine unserer grössten Stärken.

Michael Schaepman
Rektor der UZH

Die Universitätsleitung fördere neben der individuellen Exzellenz auch die institutionelle Exzellenz und eine moderne Führungskultur. Eine gute Governance stärke die Autonomie der UZH gegenüber Regulierungsbestrebungen und inhaltlichen Vorgaben von aussen, führte der Rektor aus.

Vom Nutzen der Grundlagenforschung

Die Grundlagenforschung sei essenziell für den gesellschaftlichen Fortschritt, sagte Schaepman – dies gelte es gegenüber der Öffentlichkeit noch besser zu erklären. Das Internet und Large Language Models etwa verdankten sich vornehmlich universitärer Grundlagenforschung. Als weiteres Beispiel nannte er die Medizin, die durch jahrzehntelange Investitionen in die Grundlagenforschung enorme Fortschritte in der Behandlung von Krankheiten erzielen konnte.

Auch auf die Verantwortung der Universitäten als Treiberinnen gesellschaftlicher Entwicklungstrends wies Schaepman hin. «Wir müssen permanent abwägen, ob unsere Aktivitäten noch die richtigen sind. Welche Änderungsgeschwindigkeit wollen wir und welche Forschungsbereiche wollen wir neu erschliessen?»

Die Diskussionen laufen: der Rektor (rechts) im Gespräch mit Professoren am Apéro nach der Ringvorlesung. (Foto Brigitte Blöchlinger)

Die UZH müsse sich überlegen, in welchen Bereichen sie unterdotiert sei, wo sie zu träge reagiere und wo sie eventuell auch zu rasch auf Trends aufspringe. «Im Moment gibt es mehr neue Trends, als wir Stellen schaffen können», sagte Schaepman.

Nach wie vor gute Aussichten

Im internationalen Vergleich seien die Rahmenbedingungen für Hochschulen in der Schweiz immer noch «rosig», bilanzierte Schaepman am Ende seines Vortrags. Die Zukunft des Wissenschaftsstandorts Zürich sei spannend zu gestalten, weil Bereiche entwickelt werden könnten, die heute noch nicht prominent wahrgenommen werden. So biete zum Beispiel die Kreativwirtschaft neben Bereichen wie Cleantech, Life Sciences, Weltraumökonomie und Gesundheit viel Potenzial für eine verstärkte Zusammenarbeit.