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«Ein riesiger Kraftaufwand – doch es lohnt sich»

Was braucht es, um mit einer Mobilitäts-, Seh- oder Hörbehinderung studieren zu können? Drei Betroffene berichten in der Workshopserie «Barrierefreie UZH» über ihre Erfahrungen an der Universität.
Melanie Nyfeler
 Herbert Bichsel im Rollstuhl, der Gehörlose Cyril Haudenschild und die Sehbehinderte Nicole Sourt Sánchez von Sensability führen eindrücklich durch den Workshop.
Herbert Bichsel im Rollstuhl, der Gehörlose Cyril Haudenschild und die Sehbehinderte Nicole Sourt Sánchez von Sensability führen eindrücklich durch den Workshop. (Bild: Melanie Nyfeler)

Nicole Sourt Sánchez stellt gleich zu Anfang klar: Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft ist ein Menschenrecht. Und das steht allen betroffenen Personen gemäss Uno-Behindertenrechtskonvention zu – in der Schweiz sind es immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung. 

Sourt Sánchez ist Co-Geschäftsleiterin von Sensability und hat den Sensibilisierungs­kurs für Mitarbeitende und Studierende an der Universität Zürich organisiert. Von Geburt an stark seheingeschränkt, weiss sie, wovon sie spricht. Bis vor zwei Jahren hat sie selbst noch Erziehungs­wissenschaften an den Universitäten Zürich und Bern studiert und abgeschlossen. Eigentlich war das ihre zweite Wahl, denn ihr Wunsch­studium Chiropraktik konnte sie trotz guter Noten nicht belegen. Der Grund: Der Numerus Clausus ist für Menschen mit Behinderungen nicht barrierefrei machbar. Da nützte auch eine entsprechende Nachfrage bei den organisierenden Organen nichts. 

Sich mit Sehbehinderungen in Gebäuden zurechtfinden

Das grösste Problem während des Studiums sei gewesen, sich in den Gebäuden zurechtzufinden, sagt die Inklusionsexpertin. Wenn die Veranstaltungsorte der Seminare noch kurz vor Beginn geändert wurden, konnte sie den Weg dorthin nicht vorgängig trainieren und musste die Dozierenden bitten, ihr die genaue Raum­bezeichnung direkt mitzuteilten. Auch die Unterrichts­unterlagen habe sie immer etwa ein bis zwei Monate vorher bei den Dozierenden anfordern müssen: «Da habe ich so lange genervt, bis ich sie hatte.»

Bei Prüfungen erhielt sie durch den Nachteilsausgleich mehr Zeit. Kritisch wurde es aber, wenn es Statistiken zu interpretieren galt: «Der Screenreader kann keine unbeschrifteten Grafiken lesen. Eine einfache Datentabelle mit gleichem Inhalt hätte mir sehr geholfen – aber nicht erst in der Prüfung. Ich brauche Zeit zum Üben», erinnert sich Sourt Sánchez. Hindernisse habe sie meist direkt mit dem Institut besprochen und sei dabei auf viel Goodwill gestossen. «Seit meinem Abschluss hat sich viel getan in Sachen Barrierefreiheit», anerkennt Sourt Sánchez, die heute selbst als UZH-Dozentin arbeitet.

Einer der ersten Studierenden mit Rollstuhl

Herbert Bichsel, der im Rollstuhl sitzt und seine Hände nicht optimal gebrauchen kann, hat während seines Studiums an der Universität Fribourg selbst viele Hindernisse aufgedeckt. Diese wurden dann nach und nach behoben. Der heutige Co-Präsident von Sensability absolvierte ein Spezialprogramm, das ein Studium der Philosophie und Religionswissenschaft auch ohne Matura ermöglichte. «Menschen mit Behinderungen haben oft keinen normalen Bildungsweg und sind auf solche Angebote angewiesen», sagt Bichsel. 

Beim Haupteingang gab es für den angehenden Philosophie-Studenten bereits erste Probleme: Vom Rollstuhl aus konnte er die Tür nicht öffnen – seither geschieht dies automatisch. Auch seine Rückmeldungen zur Erreichbarkeit der Bücher in der Bibliothek, der Mikrowelle in der Mensa oder des Badge-Lesegeräts wurden vom dortigen Dekanat pragmatisch korrigiert. Und da er seine Hände nicht zum Schreiben nutzen konnte, durfte er alle Prüfungen in der doppelten Zeit mündlich ablegen.

«Das Philosophie-Studium habe ich in 10 Jahren bewältigt. Es war ein riesiger Aufwand und ich war froh, dass ich einen Ruheraum zugesprochen bekam. Aber es hat sich gelohnt», bilanziert Bichsel. Der Mobilitäts-Experte plädiert eindringlich dafür, die Betroffenen immer frühzeitig einzubeziehen, wenn die Barrierefreiheit verbessert werden soll: «Es nützt uns nichts, wenn gut gemeinte Massnahmen an unseren Bedürfnissen vorbeizielen.» 

Deutlich kommunizieren mit Gehörlosen

Cyril Haudenschild erklärt in Gebärdensprache, daben sitzt Nicole Sourt Sànchez.
Cyril Haudenschild erklärt in Gebärdensprache.

Der Gehörlose Cyril Hauden­schild kann seine Stim­me nicht nutzen und kom­muniziert in Ge­bärden­sprache. Er arbeitet als Pro­gram­mie­rer und engagiert sich für die Sensi­bili­sierung der Öffentlichkeit. Er kann zwar Lip­pen lesen, versteht aber nur zwi­schen 30 und 35 Prozent des Ge­sag­ten – den Rest muss er sich müh­sam zusammen­reimen. Daher braucht er oft eine Dol­metscherin, die ihm Satz für Satz in Gebärden­sprache übersetzt. So auch im Workshop. 

In Gebärdensprache zeigt Haudenschild auf, worauf es bei der Kommunikation mit Hörbehinderungen ankommt: Immer den Blickkontakt halten, langsam und deutlich in normaler Lautstärke sprechen sowie kurze Sätze auf Hochdeutsch bilden. Zudem sind eine gute Beleuchtung, aktive Mimik und Gestik sowie das Zeigen auf Gegen­stände oder das Aufschreiben äussert hilfreich. Dabei muss ein Abstand von mindestens 60 Zentimetern gewahrt sein, damit Gehörlose von den Lippen ablesen können. Wer das Finger­alphabet beherrscht, kann sich noch besser verständigen.

Obwohl in der Schweiz 1,3 Millionen Menschen mit Schwerhörigkeit leben – darunter viele ältere Personen –, ist die Gebärdensprache nicht offiziell anerkannt und Kosten­gutsprachen für Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht immer einfach zu bekommen. «Sich im Alltag zurechtzufinden, ist sehr kräft­ezehrend und mitunter frustrierend. Man muss sich durchbeissen», erklärt Haudenschild. Daher seien auch an den Universitäten nicht viele Gehörlose zu finden. 

Zugänglichkeit kontinuierlich verbessern

Eines ist nach diesem Workshop klar: Wer mit Mobilitäts-, Seh- oder Hörbehin­de­rungen lebt, braucht viel Durchhalte­willen, muss ständig für sich einstehen und auch an der Universität immer wieder Hürden überwinden, die ihm oder ihr von anderen – teils unbewusst – in den Weg gelegt werden. Daher ist es Aufgabe der Universitäts­angestellten, die Zugänglichkeit zu Gebäuden, Infrastrukturen sowie Lehr- und Forschungsbereichen kontinuierlich zu verbessern.