Fake oder Fakt: Die neue Bilderflut der Vergangenheit

Wie verändert Künstliche Intelligenz (KI) unseren Blick auf die Geschichte? Diese Frage diskutierten der Historiker Felix K. Maier und der Kulturwissenschaftler Roland Meyer am 9. September 2025 beim «Talk im Turm». Die Moderation übernahmen Rita Ziegler und Roger Nickl von der UZH-Kommunikation.
Althistoriker Felix K. Maier hat mit seinem Team ein KI-Modell entwickelt, das ein lebendiges Bild der Antike ermöglichen soll. Die Plattform «Re-Experiencing History» basiert auf bestehenden KI-Modellen, wurde aber um ein Modul ergänzt, das die Bilder historisch akkurater macht, weil es auf Quellen und Forschungsliteratur zurückgreifen kann.
Nachspielen zwecks Erkennen
Bei «Re-Experiencing History» gehe es aber nicht primär darum, ob etwa eine Säule in der richtigen Farbe dargestellt sei, sagte Maier. Sondern vielmehr um das Nachspielen zwecks Erkennen. Beispielhaft zeigte der Althistoriker am «Talk im Turm» das Bild eines römischen Triumphators: purpurne Toga, Lorbeer, Goldadler – und ein knallrotes Gesicht. Letzteres sei kein Fehler der Druckerei, sondern historisch belegt: Mit der roten Tonfarbe wollte der Triumphator sich in die Nähe von Jupiter rücken, dessen Statue auf dem Kapitol ebenfalls rot war.
Die Arbeit an den Bildern, so Maier, zwinge Forschende und Studierende, vergessene Aspekte mitzudenken: Wer sorgte für die Sicherheit bei einem Triumphzug? Marschierten die Soldaten im Gleichschritt? Auch andere Sinneseindrücke kämen so ins Gespräch: Wie klang denn ein Triumphzug? Durch das Nachstellen entstünden neue Erkenntnisse, «ähnlich wie Hercule Poirot, der am Ende seine Fälle löste, indem er die Situation rekonstruierte».

Remix aus Hollywood und Games
Der Kulturwissenschaftler Roland Meyer brachte ein anderes KI-generiertes Bild mit: Es zeigt Elon Musk in einer pseudo-römischen Rüstung. Der Techmilliardär hatte es auf der eigenen Plattform X gepostet und inszeniert sich damit als antiker Herrscher. Das Bild sei auch typisch dafür, wie generative KI überhaupt mit Bildmaterial umgehe, sagte Meyer: Die KI-Modelle werden mit Milliarden von Bildern gefüttert und mit Schlagworten verknüpft. Unter dem Begriff «römischer Gladiator» finden sich beispielsweise Bilder aus wissenschaftlich fundierten Beständen, aber auch Historiengemälde und Bilder aus Hollywood-Blockbustern oder Computerspielen. Daraus entstehe, so Roland Meyer, «eine archäofuturistische Inszenierung». Wie der Bildwissenschaftler darlegte, spielt dieser Begriff für die radikale Rechte eine gewisse Rolle: Er steht für die Vorstellung der Zukunft als einer Rückkehr zu vermeintlich traditionellen Werten und Herrschaftsformen.
Inszenierungen damals und heute
Felix K. Maier meinte schmunzelnd, man sollte Elon Musk die Nutzung von «Re-Experiencing History» nahelegen – so würde der Milliardär vielleicht zu besseren Bildern kommen. Der Historiker schlug aber auch den Bogen zu seiner Habilitation, in der er untersuchte, wie sich Herrscher im vierten Jahrhundert nach Christus präsentierten, um bei möglichst grossen Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz zu stossen. Da habe sich gezeigt, dass jene, die sich als militärisch fähige Person inszenierten, stets grosse Autorität hatten.
Was ist wahr?
Verschwindet angesichts der KI-Bilderflut die Möglichkeit, Bilder für wahr zu halten? Beide Wissenschaftler betonten, dass auch Fotografien nie vollständig frei von Inszenierung gewesen seien. Neu sei die Skalierung: sehr viel mehr, sehr viel schneller produzierte, plausibel wirkende Bilder. Neben technischer Forensik brauche es deshalb vor allem Quellenkritik.
Roland Meyer beobachtet auf Social Media zwei gegensätzliche Umgangsweisen mit KI-Bildern: Einerseits verbreitete Bildskepsis, bei der die Nutzenden kleinste Details analysieren, um Manipulationen aufzudecken. Andererseits eine Haltung, der zufolge es «egal» sei, ob ein Bild echt ist, solange es emblematisch wirkt und eine emotionale Wahrheit vermittelt. Beide Sichtweisen existieren parallel und werden selektiv aktiviert – je nachdem, ob ein Bild die eigenen Erwartungen bestätigt oder widerspricht.
Geisteswissenschaften stärken
Zum Schluss wagte Felix K. Maier einen gedämpften Optimismus: KI werde Routinen entlasten, aber nicht die menschliche Entscheidung ablösen. Und er plädierte dafür, die Geisteswissenschaften in der Mittelschule nicht zu kurz kommen zu lassen: Denn genau sie lehren das Handwerk der Quellenkritik, das den Menschen hilft, Bilder einzuordnen.