«Ich möchte Begeisterung wecken»
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Ein Dienstag am Irchel. Die Pause hat gerade begonnen, doch statt zur Kaffeemaschine strömen viele Studierende nach vorne zum Dozenten. Sie stellen Fragen oder begutachten die Pflanzen, die auf dem Pult ausgebreitet sind. Florian Altermatt stört das nicht, im Gegenteil: «Das Interesse der Studierenden ist eine grosse Motivation für mich», sagt er. Eine Studentin habe ihm erzählt, dass der Frühling durch seine Vorlesung für sie grüner geworden sei, da sie nun mehr Pflanzen erkenne. «Genau das will ich mit meiner Lehre erreichen: Dass die Studierenden die Umwelt mit neuen Augen sehen und die Zusammenhänge in ihren Lebensräumen wahrnehmen.»
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Ich möchte mit meiner Lehre erreichen, dass die Studierenden die Umwelt mit neuen Augen sehen und die Zusammenhänge in ihren Lebensräumen wahrnehmen.
Schon mit zwölf Jahren wusste Florian Altermatt, dass er Biologe werden will. Heute ist er Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Zürich und leitet eine Forschungsgruppe an der UZH und der Eawag. An der UZH ist er ausserdem Programmdirektor des Bachelorstudienprogramms Biodiversität, das aktuelle Konzepte der Ökologie, Evolutions- und Verhaltensbiologie sowie der Umweltwissenschaften kombiniert. «Lange Zeit wurde die Wissenschaft immer spezialisierter. Seit rund zwanzig Jahren öffnet sie sich wieder. Das liegt mir sehr», sagt Altermatt. Er freut sich, wenn Studierende der Politikwissenschaft oder der Betriebswirtschaft seine Vorlesungen besuchen: «Sie tragen das Wissen später in verschiedene gesellschaftliche Bereiche – angesichts der Biodiversitätskrise ist das essenziell.» Er erlebt die Studierenden aus nicht-naturwissenschaftlichen Fächern als sehr interessiert, was ihnen auch helfe, allfällige Wissenslücken in Chemie oder Physik aufzuarbeiten.
Zurück zu den Wurzeln
Die interdisziplinäre Idee der Biodiversitätswissenschaft sei nicht neu, so Altermatt, auch wenn der Begriff erst später entstanden ist. «Schon Mitte des 19. Jahrhunderts dachten Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vernetzt. Geologie, Chemie, Biologie, menschliche Nutzung – wie das alles zusammenspielt, fasziniert mich.» Angesichts der heutigen Herausforderungen sei es besonders wichtig, dass der Dialog zwischen verschiedenen Fächern gepflegt werde, weil man nur so den komplexen Problemen gerecht werden könne. Er habe in der Vorbereitung des Studienprogramms selbst vom Austausch mit Dozierenden aus anderen Fächern profitiert, weil ihn deren Perspektiven auf neue Ideen brachten, sagt der begeisterte Naturforscher. «Und die logistischen Herausforderungen eines Studienprogramms, an dem verschiedene Institute beteiligt waren, liessen sich gut lösen.»
Natur im Hörsaal
Im Grundstudium unterrichtet Altermatt das zentrale Modul «Biodiversität und Lebensräume der Schweiz». In diesem Modul geht es um ein ganzheitliches Verständnis der Organismen und ihrer Interaktionen mit der Umwelt, aber auch der Beeinflussung durch den Menschen. Dazu gehören auch umfangreiche Kenntnisse der Arten und Lebensräume.
Dabei fordert Altermatt viel von seinen Studierenden. Manche schlucken erst einmal leer, wenn sie hören, dass sie für die Prüfung in seiner Grundvorlesung 500 Arten kennen müssen. «Die Arten sind das Vokabular unseres Fachs. Die muss man einfach kennen, damit man auch die ökologischen Zusammenhänge versteht», sagt der Biologe. Viele Studierende seien stolz auf sich, wenn sie es am Ende geschafft haben. «Ich möchte Begeisterung wecken, die Studierenden dabei unterstützen, Spitzenleistungen zu erbringen. Ich möchte ihre Selbstbefähigung fördern.» Ein Student habe ihm erzählt, dass er zwar 500 Pokémon-Figuren kenne, aber nur eine Handvoll Bäume. Jetzt sei er froh, dass er im Studium sein Wissen über die verschiedenen Arten erweitern könne.
Lehre macht glücklich
Dass er den Lehrpreis 2025 erhält, freut Altermatt sichtlich: «Es ist eine der schönsten Auszeichnungen, die ich mir vorstellen kann.» Seinen Lehrstil beschreibt er als «klassisch», mit Frontalunterricht, der ergänzt wird durch Exkursionen, Lernvideos und Apps. Für ihn ist die Lehre keine lästige Pflicht, sondern ein integraler Bestandteil seines Berufs: «Gute Lehre und gute Forschung gehören zusammen. Ich möchte nicht nur das eine oder das andere machen.»
Vor jeder Vorlesung sucht er Pflanzen und holt Präparate, um die Natur in den Hörsaal zu bringen. Nervös ist er beim Dozieren nicht – aber hochkonzentriert. «Ich gehe glücklich aus jeder Vorlesung, bin danach abends aber auch müde.»
Bleibende Erinnerungen
Neben den Vorlesungen organisiert Altermatt mit seinem Team auch Feldkurse und Praktika. Er möchte, dass die Studierenden die Natur bewusst wahrnehmen. Eine der Übungen: Vögel auf dem Zürichsee zählen, beispielsweise beim Utoquai. «Wir finden jeweils eine überraschende Zahl an Vogelarten», erklärt Altermatt.
Einwöchige Feldkurse, etwa nach Elm, haben neben der Wissensvermittlung noch eine andere Funktion: «Ich möchte, dass die Studierenden sich vernetzen. Solche Kontakte sind auch später im Berufsleben wichtig.» Und sie liefern einprägsame Momente. So setzte sich Altermatt einmal auf eine Grün-Erle, um deren Biegsamkeit zu demonstrieren. Davon hätten die Studierenden noch lange gesprochen.
Plädoyer für interdisziplinäre Wissenschaft
Für Altermatt ist Lehre breit gefasst – auch Medienarbeit wie ein Fernsehinterview zählt dazu. «Es geht darum, den Menschen zu vermitteln, warum Biodiversität so wichtig ist», sagt er.
So ist seine Lehre auch ein Plädoyer für eine Wissenschaft, die interdisziplinär denkt, gesellschaftlich wirksam ist und den Blick aufs Ganze öffnet – ganz im Sinne von Alexander von Humboldt, den Altermatt gerne zitiert. Lehre ist für ihn wie eine Expedition. Und er selbst? Ein leidenschaftlicher Expeditionsleiter.