«Ich habe mir viele Strategien zugelegt»
«Ich studiere Kunstgeschichte und Theologie. Neben dem Studium bin ich in der Jugendarbeit bei zwei reformierten Kirchgemeinden tätig und möchte später gerne eine Weiterbildung in Sozialdiakonie machen.
Ich lebe mit einer Hörbeeinträchtigung und einem ADHS. Das wirkt sich im Studium auf verschiedene Weise aus: Ich lese von den Lippen ab, weil das für mich weniger ermüdend ist als das Zuhören. Das ist aber erschwert, wenn das Gegenüber im Gegenlicht steht. Wenn wir in einem Seminar einen Film ohne Untertitel schauen, ist es für mich schwierig, ihn zu verstehen.
Energielevel ist nicht jeden Tag gleich
Das ADHS merke ich im Studium zum Beispiel daran, dass mein Energielevel sehr schwankt. Manchmal kann ich die Arbeit einer Woche in einem halben Tag erledigen, am anderen Tag geht gar nichts. Und ich kann nicht voraussagen, wann es läuft und wann nicht. Wenn jemand im Raum dauernd mit dem Kugelschreiber klickt oder wenn bei geöffnetem Fenster Geräusche von draussen hereinkommen, lenkt mich das zudem sehr schnell ab.
Notizen machen während der Vorlesung ist aus mehreren Gründen schwierig: Ich bin ja mit Lippenlesen beschäftigt, und meine Aufmerksamkeit schwankt. Deshalb ist es für mich extrem hilfreich, wenn es Video-Aufnahmen von den Vorlesungen gibt, also Podcasts. Diese kann ich zuhause in Ruhe anschauen. Hilfreich sind für mich auch schriftliche Unterlagen.
Ich habe mir im Lauf der Zeit viele Strategien zugelegt, wie ich mit diesen Herausforderungen umgehen kann, damit ich ein Studium und die kirchliche Jugendarbeit bewältigen kann.
Sensibilität stärken
Während zweieinhalb Jahren war ich Co-Präsidentin des VSUZH, die erste Person mit einer Behinderung in dieser Funktion – zumindest die erste, die ihre Behinderung öffentlich gemacht hat. Es war klar, dass «Studium mit Behinderung» mein Kernthema ist und ich mich dort stark engagiere. Wir setzen uns für einen barrierefreien Zugang zu Räumen und Lehrmitteln ein sowie für eine bessere Awareness für unsere Anliegen bei Studierenden und Mitarbeitenden. Denn ich vermisse manchmal die nötige Sensibilität gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen, habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Leute sehr hilfsbereit sind, wenn sie wissen, was ich habe und womit sie mich unterstützen können. Manche Mitstudierende reservieren mir zum Beispiel einen Platz, bei dem ich die Dozierenden gut sehen kann, oder teilen ihre Notizen mit mir.
Barrieren abbauen
Ich finde es gut, dass die UZH mit dem Projekt «UZH Accessible» Barrieren abbauen und einen Kulturwandel einleiten will. Denn dass Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten Zugang zu Bildung haben, ist eine rechtliche Vorgabe – die UZH ist dazu verpflichtet.
Einen Nachteilsausgleich zu beantragen ist mir einfach zu mühsam, deshalb habe ich das nie gemacht. Ich kann mich auch so durchschlagen. Ich begrüsse es sehr, dass die UZH nun das Beantragen von Nachteilsausgleichen einfacher und effizienter machen will, das ist wichtig für all jene, die darauf angewiesen sind.
Mir liegt auch das Thema unsichtbare Beeinträchtigungen am Herzen. Ich habe mich auch schon selbst dabei ertappt, dass ich mich über Menschen ohne sichtbare Behinderung genervt habe, die den Lift nehmen und ihn somit für Leute mit Behinderung blockieren. Aber ich sehe ja von aussen nicht, ob die Person vielleicht chronische Schmerzen hat. Mehr Mitdenken und Eigeninitiative tun uns allen gut.»