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Interdisziplinäre Lehre

«Lasst uns grosszügig sein!»

Schon heute verfügt die UZH über ein vielfältiges interdisziplinäres Studienangebot. Nun soll es noch attraktiver, perspektivenreicher und durchlässiger werden. Wie das gelingen kann, diskutiert Prorektorin Gabriele Siegert mit der Dekanin Katharina Michaelowa und dem Studiendekan Nick Netzer.
Interview: David Werner
  • Im Gespräch über interdisziplinäre Lehre: Katharina Michaelowa (Dekanin der Philosophischen Fakultät und Professorin für Politische Ökonomie und Entwicklungspolitik), Gabriele Siegert (Prorektorin Lehre und Studium der UZH) und Nick Netzer (Studiendekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und Professor für Mikroökonomik). (Bilder: Jos Schmid)
    Im Gespräch über interdisziplinäre Lehre: Katharina Michaelowa (Dekanin der Philosophischen Fakultät und Professorin für Politische Ökonomie und Entwicklungspolitik), Gabriele Siegert (Prorektorin Lehre und Studium der UZH) und Nick Netzer (Studiendekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und Professor für Mikroökonomik). (Bilder: Jos Schmid)
  • «Es braucht ein gemeinsames Engagement über die Fakultätsgrenzen hinweg», sagt Prorektorin Gabriele Siegert.
    «Es braucht ein gemeinsames Engagement über die Fakultätsgrenzen hinweg», sagt Prorektorin Gabriele Siegert.
  • Unterschiedliche fachliche Denkweisen zu verknüpfen erweitert den Horizont, macht intellektuell beweglicher, fördert die Kreativität und schult das kritische Denken», sagt Dekanin Katharina Michaelowa.
    Unterschiedliche fachliche Denkweisen zu verknüpfen erweitert den Horizont, macht intellektuell beweglicher, fördert die Kreativität und schult das kritische Denken», sagt Dekanin Katharina Michaelowa.
  • «Die Impulse kommen häufig aus der Forschung, in der interdisziplinäre Herangehensweisen selbstverständlicher sind als in der Lehre», sagt Studiendekan Nick Netzer.
    «Die Impulse kommen häufig aus der Forschung, in der interdisziplinäre Herangehensweisen selbstverständlicher sind als in der Lehre», sagt Studiendekan Nick Netzer.

Als Volluniversität mit dem breitesten und vielfältigsten Studienangebot der Schweiz hat die UZH beste Voraussetzungen, um interdisziplinäre und flexible Bildungswege zu ermöglichen. Dieses Potenzial will sie verstärkt nutzen. Nach der Gründung der schweizweit einzigartigen School for Transdisciplinary Studies im Jahr 2021 und dem Beitritt zur interdisziplinär ausgerichteten Hochschulallianz Una Europa im Jahr 2022 hat sie nun einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung unternommen: Die Universitätsleitung und die Fakultäten haben vereinbart, interdisziplinären Lehrveranstaltungen höhere Priorität einzuräumen, die Anrechnung entsprechender Lehr- und Studienleistungen zu vereinfachen und das fakultätsübergreifende Studium zu erleichtern. Damit verfügt die UZH über verbesserte Rahmenbedingungen für eine zukunftsorientierte Lehre, die es den Studierenden ermöglicht, die Vielfalt der Disziplinen flexibel zu nutzen und ihre individuellen Studienziele zu erreichen.

 

Frau Siegert, warum ist die Förderung interdisziplinärer Lehre für die UZH ein zentrales Anliegen?

Gabriele Siegert: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens steht unsere Gesellschaft vor komplexen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der digitalen Transformation. Solche Themen lassen sich nicht aus einer einzelnen disziplinären Perspektive lösen – sie erfordern einen mehrdimensionalen Zugang und damit interdisziplinäres Denken.
Ein anschauliches Beispiel ist die Corona-Krise: Hier ging es nicht nur um medizinische Fragen, sondern auch um gesellschaftliches Verhalten, politische Entscheidungen, wirtschaftliche Folgen und kulturelle Dynamiken. Unser Ziel ist es, solchen vielschichtigen Herausforderungen mit einem ebenso vielschichtigen Lehrangebot zu begegnen.
Zweitens wächst wissenschaftliches Wissen rasant – und verändert sich zugleich ständig. Umso wichtiger ist es, dass Studierende lernen, Zusammenhänge zu erkennen, unterschiedliche Perspektiven zu integrieren und flexibel zu denken.

Welche langfristigen Zielvorstellungen verfolgt die UZH mit der Stärkung interdisziplinärer und fakultätsübergreifender Studienangebote?

Siegert: Ein solides fachliches Fundament bleibt unverzichtbar – die historisch gewachsenen Disziplinen werden auch künftig den Kern unseres Lehrangebots bilden. Gleichzeitig soll es für alle Studierenden einfacher und selbstverständlicher werden, sich mit unterschiedlichen fachlichen Perspektiven auseinanderzusetzen und überfachliche Kompetenzen zu entwickeln.
Der Umfang interdisziplinärer Anteile muss dabei nicht in jedem Studienprogramm gleich gross sein – er kann variieren. Wichtig ist, dass Studierende aller Fächer und Fakultäten die Möglichkeit haben, interdisziplinäre Elemente in ihr Studium zu integrieren.

Siegert

Wichtig ist, dass Studierende aller Fächer und Fakultäten die Möglichkeit haben, interdisziplinäre Elemente in ihr Studium zu integrieren.

Gabriele Siegert
Vize-Rektorin und Prorektorin Lehre und Studium

Worin besteht für die Studierenden der Nutzen eines interdisziplinären Studiums?

Siegert: Unsere Studierenden werden später in Berufen arbeiten, die es heute teilweise noch gar nicht gibt. Der Arbeitsmarkt verändert sich rasant – und mit ihm die Anforderungen. Deshalb müssen wir den Studierenden ermöglichen, Kompetenzen wie Flexibilität und Problemlösungsfähigkeit zu entwickeln. Interdisziplinarität fördert genau diese Fähigkeiten.

Katharina Michaelowa: Unterschiedliche fachliche Denkweisen zu verknüpfen erweitert den Horizont, macht einen intellektuell beweglicher, fördert die Kreativität und schult das kritische Denken. Es verlangt, sich auf neue Fragestellungen einzulassen und mit ungewohnten Sichtweisen umzugehen.

Nick Netzer: Wer lernt, mit anderen fachlichen Perspektiven umzugehen, beginnt auch, die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Man erkennt die Grenzen und impliziten Annahmen der eigenen Disziplin – und gewinnt so ein vertieftes Verständnis für das eigene Fach.

Wie stark werden interdisziplinäre Angebote von Studierenden nachgefragt?

Netzer: Das Interesse an Interdisziplinarität ist spürbar – und wird durch Angebote wie die School for Transdisciplinary Studies oder die Digital Society Initiative noch verstärkt. Wichtig ist, dass wir interdisziplinäre Formate für Studierende fakultätsübergreifend sichtbar machen.

Michaelowa: Das Interesse hängt stark vom individuellen Profil der Studierenden ab. Nicht alle wollen ein vollständig interdisziplinär aufgebautes Master- oder Bachelorprogramm absolvieren. Umso wichtiger ist es, dass wir eine grosse Vielfalt an Formaten und Kombinationen anbieten – kleinere und grössere, eng oder lose verknüpfte Angebote. So werden wir den unterschiedlichen Bedürfnissen am besten gerecht.

Wie gross ist das Spektrum interdisziplinärer Angebote an der UZH heute?

Siegert: Das Spektrum ist gross, es reicht von praxisnahen Future-Skills-Kursen über öffentliche Ringvorlesungen bis hin zu interdisziplinären Studienprogrammen wie Biodiversität, Evolutionäre Sprachwissenschaften oder dem DSI Minor Digital Skills.

Netzer: Auch innerhalb der traditionellen Fachdisziplinen vermitteln Dozierende interdisziplinäre Ansätze. Die Impulse dazu kommen häufig aus der Forschung, in der interdisziplinäre Herangehensweisen selbstverständlicher sind als in der Lehre. 

Michaelowa: Die Fächervielfalt der UZH ist schweizweit einmalig. Es lohnt sich unbedingt, wenn wir dieses riesige Potenzial den Studierenden durch interdisziplinäre Studienangebote noch besser zugänglich machen.

In den letzten Jahren hat die UZH wichtige Schritte unternommen, um interdisziplinäre Lehre gezielt zu stärken. Was ist der Stand der Entwicklung?

Siegert: 2021 gründeten wir die School for Transdisciplinary Studies, seit 2022 engagieren wir uns im Rahmen von Una Europa zum Beispiel für die Entwicklung gemeinsamer interdisziplinärer Joint-Bachelor-Programme, von denen sowohl die UZH-Studierenden als auch jene der Partneruniversitäten profitieren können. Ausserdem unterstützen wir im Rahmen der Universitäre Lehrförderung (ULF) neue interdisziplinäre Angebote.
Ein weiterer Schritt folgte letztes Jahr: Die Universitätsleitung und die Fakultäten haben vereinbart, interdisziplinären Lehrveranstaltungen höhere Priorität einzuräumen und die Anrechnung fakultätsexterner Leistungen zu erleichtern. 

Katharina Michaelowa

Das interdisziplinäre Angebot der UZH ist gross, aber noch nicht zugänglich genug.

Katharina Michaelowa
Dekanin der Philosophischen Fakultät

Wie beurteilen Sie diese Vereinbarung als Dekanin der Philosophischen Fakultät, Frau Michaelowa? 

Michaelowa: Ich begrüsse sie sehr. Sie schafft Klarheit und setzt die Anreize für Dozierende, sich für interdisziplinäre Lehre zu engagieren. Bisher war manchen Dozierenden unklar, ob und wie interdisziplinäre Lehre angerechnet wird – das hat gute Ideen manchmal ausgebremst. Umso wichtiger ist das Signal, dass interdisziplinäres Engagement ausdrücklich erwünscht ist. Ich würde aber ergänzend dazu noch für weitergehende Regelungen plädieren.

In welcher Hinsicht?

Michaelowa: Meiner Meinung nach brauchen wir verbindlichere universitätsweite Regeln für den Aufbau von Studienprogrammen und Modulen. Das interdisziplinäre Angebot der UZH ist gross, aber noch nicht zugänglich genug. Viele Studierende können zum Beispiel bestimmte überfachliche Angebote, die für sie interessant wären, nicht besuchen, weil sie in ihrem Studienprogramm zu wenig Wahlmöglichkeiten haben.

Siegert: Das ist ein wichtiger Punkt. In manchen Studienprogrammen ist der Pflichtteil so umfangreich, dass nur sehr wenig Spielraum für interdisziplinäre Perspektiven bleibt – zum Beispiel in der Humanmedizin, Veterinärmedizin oder Rechtswissenschaft. Dabei sind auch in diesen Fächern überfachliche Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, gesellschaftliches Verständnis oder ethische Reflexion wichtig. 

Gibt es weitere Hürden?

Siegert: Eine weitere Hürde besteht darin, dass Major- und Minor-Programme nicht in allen Fakultäten dieselben Grössenverhältnisse aufweisen. Ein Bachelorstudiengang umfasst 180 ECTS. Wenn ein Major 150 ECTS umfasst, bleibt Platz für einen 30-ECTS-Minor. In einigen Fakultäten werden jedoch vor allem 120er-Majors und 60er-Minors angeboten. Das führt dazu, dass sich bestimmte Kombinationen strukturell nicht realisieren lassen – obwohl sie inhaltlich sinnvoll wären. 

Michaelowa: Genau um solche strukturellen Hindernisse abzubauen, wären aus meiner Sicht verbindlichere Regelungen auf gesamtuniversitärer Ebene hilfreich. 

Herr Netzer, wie zielführend sind die genannten Vereinbarungen aus Ihrer Sicht als Studiendekan?

Netzer: Die Vereinbarungen verbessern die Rahmenbedingungen spürbar. Sie sind ein klares Commitment für Interdisizplinarität, bringen Wertschätzung für die Dozierenden zum Ausdruck und bieten eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung fächerübergreifender Lehre. 
Es gibt aber noch viel zu tun. Auf Fakultätsebene müssen wir bei jedem neuen Angebot genau klären, ob und wie es in den Wahl- oder Wahlpflichtbereich der Studienprogramme integriert werden kann. Auch fakultätsübergreifende Aspekte müssen in jedem Einzelfall berücksichtigt werden, dazu bedarf es Absprachen unter den Studiendekanen sowie in der Kommission Lehre und Studium. Um die interdisziplinäre Lehre zu stärken, braucht es neben gemeinsamen Regeln auch Vertrauen zwischen den Fakultäten.

Michaelowa: Dem schliesse ich mich an. Wir müssen Lehre an der UZH stärker als gemeinsame Aufgabe verstehen. Um interdisziplinären Austausch zu fördern, sollten wir Leistungen von Studierenden und Dozierenden auch dann anerkennen, wenn sie ausserhalb des eigenen Instituts oder der eigenen Fakultät erbracht wurden. An der Philosophischen Fakultät haben wir dafür einen neuen Lehrbelastungsindikator eingeführt, der instituts- und fakultätsübergreifend einsetzbar ist. So lässt sich die Ressourcenzuteilung mit Blick auf interdisziplinäre Lehre fairer gestalten.

Nick Netzer

Um die interdisziplinäre Lehre zu stärken, braucht es neben gemeinsamen Regeln auch Vertrauen zwischen den Fakultäten.

Nick Netzer
Studiendekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät

Was können Fakultäten ausserdem tun, um die interdisziplinäre Lehrangebot zu stärken?

Netzer: Die Fakultäten arbeiten derzeit auf mehreren Ebenen daran, die interdisziplinäre und fakultätsübergreifende Lehre zu fördern. Dazu gehören neue Minor-Angebote und sogenannte Liberal-Arts-Optionen.
Gleichzeitig analysieren wir, wie sich eine stärkere Durchlässigkeit konkret auswirken würde: Welche Angebote würden Studierende nutzen? Würden die Ströme einseitig verlaufen oder sich ausgleichen? Und was würde das für Betreuungsverhältnisse, Lehrbelastung und Ressourcenzuteilung bedeuten? Um vorausschauend planen zu können, müssen wir diese Fragen gewissenhaft klären. 

Wie geht es nun weiter, Frau Siegert? 

Siegert: Die Dozierenden an der UZH stellen bereits heute beeindruckende interdisziplinäre Lehrangebote auf die Beine. Davon sollen möglichst viele Studierende  profitieren können. Die Vereinbarungen, die wir dazu letztes Jahr getroffen haben, gilt es jetzt umzusetzen: Es geht darum, die Planung und Durchführung interdisziplinäre Lehrangebote zu vereinfachen, ihre strukturelle Einbettung zu verbessern und die Anrechenbarkeit sicherzustellen.
Wichtig ist dabei zum Beispiel das sogenannte Crosslisting, das heisst: Fakultätsübergreifende Angebote sollten für alle adressierten Studierenden beim Buchen ihrer Module gut sichtbar sein. Ausserdem müssen wir bei der Planung neuer Angebote die Interessen und die Nachfrage der Studierenden genau beobachten. Nur so können wir rechtzeitig die nötigen Ressourcen einplanen.
Auf längere Sicht prüfen wir auch, wie man die Strukturen der Studienprogramme besser aufeinander abstimmen könnte, damit sie durchlässiger werden. Es braucht also viele kleine Schritte – die uns aber in der Summe deutlich voranbringen werden.

Was sollten Fakultäten und Institute aus Ihrer Sicht besonders beherzigen, um die interdisziplinäre Lehre an der UZH zu stärken?

Siegert: Wenn wir interdisziplinäre Lehre an der UZH weiter stärken wollen, braucht es ein gemeinsames Engagement – über Fakultätsgrenzen hinweg. Mein Appell lautet: Lasst uns grosszügig sein bei der Anrechnung von Leistungen, die an anderen Fakultäten erbracht werden. Und lassen wir in den Studienprogrammen ausreichend Raum für möglichst durchlässige Wahl- und Wahlpflichtbereiche – damit möglichst viele Studierende fächerübergreifende Angebote nutzen können.