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Saatgutbank Zürich

Saatgut-Tresor für mehr Biodiversität

Forschende an der UZH frieren Saatgut von lokal gefährdeten Pflanzen ein, um künftigen Ökosystemen mehr Vielfalt zu ermöglichen.
Patrizia Widmer
Wir waren mit Gregory Jäggli und Simon Gysi unterwegs, während sie auf Saatgut-Jagd gingen, die kostbaren Samen säuberten und einfroren.

Saatgut von gefährdeten Arten sammeln, trocknen, einfrieren und wieder ansäen – die Saatgutbank Zürich verfolgt ein simples Prinzip. Samen gefährdeter Arten werden konserviert, um einige Jahre später wieder ausgesät zu werden und so für mehr lokale Vielfalt zu sorgen.

In der Schweiz schwindet die Artenvielfalt seit mehr als einem Jahrhundert. Pflanzliche Lebensgemeinschaften verschwinden – durch die Zerstörung und Zerstückelung von Lebensräumen, die Umweltverschmutzung, invasive Arten und den Klimawandel.

Die Naturschutzorganisation Pro Natura schreibt auf ihrer Website: «Ohne Biodiversität, kein Leben. Tun wir was, bevor es zu spät ist.» Genau das nimmt sich das Team der Saatgutbank Zürich zu Herzen. Dieses besteht aus dem Projektleiter Gregory Jäggli, dem wissenschaftlichen Leiter Michael Kessler und einer Gruppe von Freiwilligen. Im Video zeigen der Biologe Jäggli und sein freiwilliger Mitarbeiter Simon Gysi, wie der Saatgut-Tresor funktioniert.

Ein universitäres Projekt mit nationaler Bedeutung

Die Saatgutbank Zürich ist ein Naturschutzprojekt des Instituts für Systematische und Evolutionäre Botanik der Universität Zürich. Am Institut gleich beim botanischen Garten werden seit 2021 Samen von gefährdeten einheimischen Pflanzen in Tiefkühlschränken aufbewahrt. Später soll das wertvolle Saatgut für Wiederansiedlungen, die Verstärkung bestehender Populationen und die Forschung genutzt werden. Das Ziel der Saatgutbank ist, möglichst alle Gefässpflanzen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten zu sammeln und so die Biodiversität und die genetische Vielfalt zu bewahren.

Die Jagd nach geeignetem Saatgut

Welche Arten Jäggli einfriert, entscheidet er hauptsächlich aufgrund ihrer Gefährdung. Bevor er und seine Freiwilligen ins Feld ausrücken, muss der Projektleiter recherchieren, wo die Spezies zu finden ist. Danach gehen Freiwillige beim vermeintlichen Standort der gefährdeten Pflanze vorbei, um zu sondieren, ob es die Art dort wirklich gibt und wie gross die Population ist – am besten, wenn die Pflanze blüht, dann kann man sie leicht erkennen.

Sobald die Samen reif sind, legen die Sammler*innen los. Den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, ist allerdings gar nicht so einfach, da es kaum Literatur dazu gibt, wann die Samen einzelner Pflanzenarten reif sind. Würden die Freiwilligen unreife Samen sammeln, würden diese kaputt gehen. Besuchen sie die Pflanzenpopulation hingegen zu spät, sind alle Samen schon abgefallen. Deswegen müssen die Sammler*innen die Fundorte meist mehrmals besuchen, um die Samen im optimalen Reifezustand zu sammeln.

Die Kunst der Saatgutkonservierung

Jäggli erzählt schmunzelnd, dass es manchmal Schwierigkeiten gibt Populationen bei der Samenernte wiederzufinden: «Wenn es eine schöne Blume gibt, dann findet man eine Art leicht. Wenn dann aber nur noch ein paar vertrocknete Stängel da sind, kann es schwierig sein, sie wiederzufinden.» Auch wenn Landwirt*innen unerwartet eine Wiese mähten, könne das den Sammler*innen einen Strich durch die Rechnung machen.

Klappt alles, sammeln die die Helfer*innen pro Spezies möglichst 10'000 bis 20'000 Samen. Um die natürliche Vermehrung der Pflanzen nicht zu gefährden, nehmen sie maximal ein Fünftel der verfügbaren Samen mit und bringen sie zu Jäggli in die Saatgutbank. Dort werden die Samen zuerst von anderen Pflanzenteilen gesäubert, die beim Einfrieren stören würden. Zum Beispiel beim Löwenzahn: Jäggli muss jedes einzelne Schirmchen aus der Probe entfernen. Bei manchen Arten hilft ihm dabei eine Maschine. Bei anderen ist es mühselige Handarbeit.

Danach werden die Samen auf einen Wassergehalt von etwa 5% getrocknet. So altern sie langsamer und können besser eingefroren werden. In feuchten Samen würden sich nämlich Eiskristalle bilden, die die Samen zerstören würden. Danach wird das Saatgut bei -20°C eingefroren. Das Einfrieren hält die Samen für Jahrzehnte bis Jahrhunderte am Leben. Doch nicht alle Pflanzen kann man so einlagern: Etwa 95% der Schweizer Pflanzenarten haben austrocknungsresistente Samen. Die anderen 5% sterben ab, wenn man sie austrocknet.

Schutz gegen Katastrophen

Um sicherzustellen, dass die neu angelieferten Samen keimfähig sind, werden sie von Jäggli getestet. Später kontrolliert der Biologe das gefrorene Saatgut immer wieder, um schnell reagieren zu können, falls die Keimfähigkeit nachlassen sollte. Die Keimexperimente liefern Erkenntnisse darüber, unter welchen Bedingungen die unterschiedlichen Pflanzenarten am besten keimen – das sind wertvolle Informationen, die die Chancen einer erfolgreichen Wiederansiedlung erhöhen können.

Um die Sicherheit der Samen über längere Zeit zu garantieren, versiegelt Jäggli das Saatgut in doppelten Glasbehältern mit Feuchtigkeitsindikatoren: Silica-Kügelchen in den Gläsern würden ihre Farbe wechseln, wenn sie feucht würden. Zudem sind die Tiefkühler mit einem Alarmsystem verbunden, um auf schwankende Temperaturen sofort reagieren zu können. Und selbst wenn all diese Sicherheitsmassnahmen versagen würden: Als Sicherheitskopie schickt Jäggli von jeder Pflanzenart Samen zur Saatgutbank Genf.

Grosse Pläne für die Zukunft

Um eine möglichst grosse genetische Vielfalt zu konservieren, möchte der Projektleiter in Zukunft Pflanzensamen aus mindestens fünf verschiedenen Populationen aus der ganzen Schweiz sammeln und einfrieren, weil sich Pflanzenarten je nach Standort genetisch unterscheiden. Dazu möchte er mit Helfer*innen aus der ganzen Schweiz zusammenarbeiten.

Konkret startet schon im nächsten Jahr ein schweizweites Projekt: Für das Bundesamt für Landwirtschaft werden professionelle Sammler*innen aus der ganzen Schweiz Samen von wilden Verwandten unserer heutigen Nutzpflanzen ernten. Viele dieser einheimischen Wildpflanzen stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Ziel ist es, widerstandsfähige Gene dieser Wildpflanzen in unsere Kulturpflanzen einzukreuzen – Gene, welche die Pflanzen resistenter gegenüber Krankheiten und Dürren machen könnten.

Momentan liegt der Fokus der Saatgutbank Zürich auf dem Sammeln und Einfrieren von Pflanzensamen. Künftig, wenn der Archivbestand gross genug sein wird und der Personalbestand aufgestockt werden konnte, soll dann mit Wiederansiedlungsprojekten gestartet werden – in Zusammenarbeit mit Öko-Büros und den Kantonen.