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Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät (TRF)

Vom Gilgamesch-Epos bis zum Transhumanismus

Die Theologische Fakultät bekommt einen neuen, erweiterten Namen, der auch die Religionswissenschaft einschliesst. Dekanin Dorothea Lüddeckens über den neuen Namen, thematische Vielfalt und wie sich die TRF an gesellschaftlichen Diskursen beteiligt.
Thomas Gull
Die thematische Vielfalt der TRF ist gross. Sie befasst sich mit Religion, Spiritualität und verwandten Weltanschauungen und Praktiken in Geschichte und Gegenwart. Im Bild: Doktorierende und Mitarbeitende des Theologischen Seminars und des UFSP Digital Religion(s) im Kreuzgang an der Kirchgasse 9. (Foto Caroline Krajcir)

Frau Lüddeckens, die Theologische Fakultät bekommt einen neuen, erweiterten Namen, sie heisst ab 1. Januar 2024 Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät (TRF). Wofür steht die neue Namensgebung?

Dorothea Lüddeckens: Sie drückt aus, wie sich die Fakultät innerhalb der vergangenen Jahrzehnte verändert hat. Die Religionswissenschaft hat sich in dieser Zeit innerhalb der Fakultät entwickelt. Heute bündelt die Fakultät religionsbezogene Forschung und Lehre in verschiedenen Studiengängen und in den beiden grossen Disziplinen Theologie und Religionswissenschaft mit ihren verschiedenen Fachbereichen.

Der erste Lehrstuhl für allgemeine Religionsgeschichte und Religionswissenschaft wurde bereits 1980 eingerichtet. 2006 wurde das Religionswissenschaftliche Seminar gegründet. Was war der Auslöser für die neue Namensgebung, die die Religionswissenschaft einschliesst?

Ausgelöst hat die neue Namensgebung die Evaluation des Religionswissenschaftlichen Seminars. Da wurde angeregt, über zwei Varianten nachzudenken: Die eine war, das Religionswissenschaftliche Seminar in die Philosophische Fakultät zu zügeln, die andere, dass die Religionswissenschaft auch im Namen der Fakultät sichtbar gemacht wird.

Weshalb war die Umsiedlung an die Philosophische Fakultät ein Thema?

An vielen Universitäten ist die Religionswissenschaft an der Philosophischen Fakultät untergebracht. Die Religionswissenschaft ist sehr interdisziplinär ausgerichtet, deshalb die Nähe zu anderen Fächern wie Islamwissenschaft, Indologie, Geschichte oder auch zur Soziologie oder Politologie. Gewisse Fachbereiche der Religionswissenschaft sind aus der Ethnologie entstanden oder den Philologien. Andererseits hat sich gerade in Zürich die Religionswissenschaft auch innerhalb der Theologie entwickelt, und wir arbeiten bis heute in vielem sehr gut zusammen. Es gibt gute Argumente für beide Lösungen.
 

Was unterscheidet Theologie und Religionswissenschaft – hat die Religionswissenschaft stärker soziale und gesellschaftliche Fragen im Blick?

Das kann man so überhaupt nicht sagen, gerade die Theologie hat eine starke sozialkritische Tradition. Viele Theolog:innen setzen sich intensiv mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander. Das gilt vielleicht insbesondere für die Systematische Theologie und die Praktische Theologie – und natürlich für die Theologische Ethik. Die Theologie ist in Zürich in sich schon sehr vielfältig; meine Kolleg:innen würden die Frage, was Theologie ist, sehr unterschiedlich beantworten, die Historiker:innen zum Beispiel anders als die Systematiker:innen. Aber man kann sicher sagen, dass sich die Theologie der christlich-jüdischen Tradition verpflichtet fühlt. Der Referenzrahmen der Religionswissenschaft ist hingegen explizit keine spezifische religiöse Tradition. Wenn Theolog:innen zum Beispiel kritisch darüber nachdenken, was es für die heutige Gesellschaft bedeutet, dass aus Sicht der christlich-jüdischen Tradition der Mensch Gottes Ebenbild ist, dann fragen Religionswissenschaftler:innen, inwiefern sich in unserer Gesellschaft religiöse und säkulare Menschenbilder finden und was das für Konsequenzen hat – ohne selbst einen religiösen Standpunkt zu haben. Zudem ist die Religionswissenschaft prinzipiell eine vergleichende Disziplin im Hinblick auf eine Vielzahl von Religionen und Weltanschauungen.

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In Zürich hat sich die Religionswissenschaft auch innerhalb der Theologie entwickelt, und wir arbeiten bis heute sehr gut zusammen.

Dorothea Lüddeckens
Dekanin TRF (Foto Marc Latzel)

Welches sind die Forschungsinteressen an der Fakultät?

Sie sind sehr breit und umfassen alles, was Religion, Spiritualität und verwandte Weltanschauungen und Praktiken in Geschichte und Gegenwart betrifft. Typisch für unsere Fakultät ist die thematische Vielfalt. Sie reicht vom Gilgamesch-Epos bis KI und Transhumanismus; von der reformierten Kirche vor Ort bis zum Weltraum; wir beschäftigen uns mit der Weihnachtsgeschichte in den Evangelien, mit Gurus in Indien, religiösen Ritualen in China, charismatischen Kirchen in Ghana, dem Christentum in Osteuropa oder im französischen Rap; mit Geburtsritualen und dem Sterben. Diese Vielfalt ist die grosse Stärke unserer Fakultät – immer mit dem Anspruch, akademisch verantwortlich und kritisch zu forschen. Für mich als Dekanin ist es ein grosses Anliegen, diese grosse Vielfalt zu thematisieren und bewusster zu machen. Dazu dient auch der fakultäre Podcast «Erleuchtung garantiert».

Die Forschung ist sehr vielfältig. Welches sind die Schwerpunkte?

Absolut einzigartig ist bei uns der Forschungsschwerpunkt zur Deutschschweizer und insbesondere zur Zürcher Reformation, die international einflussreich wurde. In Zürich lagern über 12'000 Briefe des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger aus 53 Jahren, hier wird Alltags- und Mediengeschichte des 16. Jahrhunderts lebendig – da kann man übrigens bestens verfolgen, wie schon damals Fake News funktionierten!

Ein Schwerpunkt ist bei uns auch die Ethik mit dem Ethik-Zentrum. Körperliche Integrität und Identität – was heisst das theologisch und was kann Theologie hier zu den öffentlichen Diskursen beitragen? Das beginnt bei der politischen Ethik zum Klimadiskurs und endet noch nicht bei medizinethischen Fragen zur Organtransplantation oder Transidentität. Medizin und Gesundheit werden bei uns theologisch und religionswissenschaftlich bearbeitet, von der Reproduktionsmedizin über Alternativmedizin bis hin zur Spiritual Care und der Seelsorge bei dementen Menschen.

Dann gibt es ganz klassische theologische Forschungsschwerpunkte bei den Bibelwissenschaften, bezogen auf die Bücher des Alten und des Neuen Testaments, ihre Entstehung und Rezeptionsgeschichten. Mit im Blick ist da auch das jeweilige kulturelle und soziale Umfeld. Weltweit gesehen ist die Bibel bis heute das meistgekaufte Buch. Sie hat die hiesige Kultur massgeblich geprägt, deshalb bleibt sie aktuell, ob die Leute nun an ihren Inhalt glauben oder nicht.
 

Eine lange Tradition hat der Forschungsschwerpunkt der Hermeneutik und Religionsphilosophie. Die Auseinandersetzung mit der Theologie Karl Barths und Dietrich Bonhoeffers ist hier ein wichtiger Fokus, hinzu kommen interreligiöse Schrifthermeneutik und sehr existentielle Themen wie «Ehre» und «das Böse».

Wie arbeitet die TRF mit anderen Fakultäten zusammen?

Mit anderen Fakultäten sehr verbunden ist zum Beispiel der Universitäre Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s)». Die Digitalisierung hat natürlich nicht vor Religion und Spiritualität Halt gemacht und bietet spannende und gesellschaftlich relevante Forschungsfelder für Theologie, Religionswissenschaft und andere Disziplinen. Welchen Einfluss gewinnen christliche Sinnfluencer:innen? Funktioniert digitale Spiritual Care, und wie wird im Internet getrauert? An welchen (religiösen) Netzwerken und Gemeinschaften orientieren sich jugendliche Flüchtlinge und Asylsuchende in der Schweiz – tun sie dies online oder offline?

Welche Rolle spielen heute Theologie und Religionswissenschaft im öffentlichen Diskurs?

Ein Schwerpunkt bei uns liegt in der Erforschung der religiösen oder auch spirituellen Gegenwartskultur in der Schweiz. Sowohl Professor:innen der Religionswissenschaft als auch der Theologie forschen dazu. Die praktische Theologie beteiligt sich natürlich auch an kirchlichen Diskursen, auch die gehören zur Öffentlichkeit, und die Reflexion der Zukunft von Kirchengemeinden ist zum Beispiel ein brennendes Thema. In der Religionswissenschaft geht es z.B. um Verschwörungstheorien, um religiösen Extremismus, um Fragen, wie unsere diverse Gesellschaft mit religiösen Minderheiten umgeht, wie in einer säkularen Gesellschaft Religionspolitik gemacht wird – alles Themen, die Teil des öffentlichen Diskurses sind.

Und dann nehmen wir natürlich Einfluss über die Lehre, die Studierende für bestimmte Themen sensibilisiert und ihnen das methodische Handwerk vermittelt, um selbstständig und kritisch darüber nachzudenken. Das ist wichtig, für künftige Pfarrer:innen ebenso wie für künftige Journalist:innen, Integrationsbeauftragte, Lehrpersonen, Mediator:innen, Politiker:innen oder was auch immer später aus ihnen werden wird.

Die TRF unterhält zwei Gastprofessuren, die «Sigi Feigel Gastprofessur für Jüdische Studien» und die Gastprofessur für «Islamische Theologie und Bildung». Wie wichtig sind die beiden Gastprofessuren für das Angebot der Fakultät?

Sie sind Teil der Vielfalt von Themen und Perspektiven, die wir an der Fakultät anstreben. Sie erweitern das Spektrum für das Kollegium und für die Studierenden. Das halte ich besonders zum jetzigen Zeitpunkt für sehr relevant. Unsere Gastprofessorin Saida Misadri hat beispielsweise in ihren Lehrveranstaltungen befreundete jüdische Kolleg:innen eingeladen und so ein Gespräch miteinander und nicht nur übereinander ermöglicht. Das hat einen enormen Wert, finde ich. Denn Gespräche zwischen verschiedenen Religionen auf akademischem Niveau gibt es nicht so oft. Von den Studierenden wird das sehr geschätzt, wie auch die Lehre in diesem Semester von Rabbiner Ahrens, der über eine «Jüdische Theologie des Christentums» lehrt und sich im Podcast zu christlichem Antisemitismus äussert, und Naomi Lubrich, die Studierende an jüdische Kultur heranführt und die Saida Mirsadri und mich im Januar in das von ihr geleitete Jüdische Museum in Basel eingeladen hat.
 

Macht man sich auch politische Überlegungen, gerade angesichts der jüngsten geopolitischen Ereignisse?

Sicherlich sind wir alle im Moment noch stärker sensibilisiert. Doch selbstverständlich haben wir auch bisher niemanden auf eine Gastprofessur geholt, der beispielsweise mit antisemitischen Äusserungen aufgefallen wäre, genauso wie wir auch sonst niemanden wählen würden, der sich mit rechts- oder linksradikalen Äusserungen hervortut. Im Moment ist allerdings noch offen, ob die Gastprofessuren weiterlaufen, für beide brauchen wir zunächst einmal die finanziellen Mittel für die nächsten Jahre.