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Talk im Turm

«Nicht alles im Griff, aber vieles»

Von Boomphasen und Flauten in der Pharmaforschung handelte der zwanzigste «Talk im Turm». Gäste waren der Psychologe Boris Quednow und der Pharmakologe Michael Arand. Sehen Sie hier die Video-Aufzeichnung des Podiumsgesprächs im Restaurant Uniturm.
David Werner
Diskussion über die Rolle des Zufalls in der Arzneimittelforschung: Pharmakopsychologe Boris Quednow und Pharmakologe Michael Arand im «Talk im Turm». (Video: MELS)

Die Zahl der unheilbaren Krankheiten schrumpft, die Lebenserwartung steigt. Pillen und Pülverchen zur Linderung von Leiden aller Art sind nahezu flächendeckend verfügbar. Der stetige Fortschritt der Medizin erscheint uns heute fast so selbstverständlich wie die grün leuchtenden Apothekenschilder im Strassenbild unserer Städte. «Wir haben nicht alles im Griff, aber vieles» – so drückte es Pharmakologe Michael Arand auf dem Podium aus.

Planbar sind die grossen Entdeckungen und Durchbrüche aber nicht. Der Fortschritt verläuft nicht linear. Sicher ist nur, dass die Arzneimittelforschung immer aufwändiger und teurer wird. Zehn bis zwölf Jahre dauert die Entwicklung eines Medikaments. Von den zahlreichen Wirkstoffkandidaten im präklinischen Stadium erreicht nur ein Bruchteil die Marktreife. Wie hoch die Entwicklungskosten im Durschnitt sind, ist umstritten. Nach einer vielzitierten Schätzung liegen sie bei 800 Millionen US-Dollar.

Akademische Forschung immer wichtiger

Was die Innovationskraft der Pharmaforschung fördert und was sie hemmt, war das Hauptthema im zwanzigsten Talk im Turm. Moderiert wurde er von Thomas Gull und Roger Nickl, den Redaktoren des UZH Magazins. Gast auf dem Podium war neben dem Pharmakologie-Professor Michael Arand der Psychologe Boris Quednow, der an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich die Wirkung psychoaktiver Drogen erforscht.

Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte der Pharmaforschung zeigte, wie grundlegend sich die methodische Ausrichtung verändert hat: «Früher beobachtete man die Wirkung von Stoffen rein phänomenologisch, ohne durchschauen zu können, wie sie zustande kommt», sagte Quednow.

Heute dagegen entwickelt man Medikamente auf der Grundlage von Analysen biologischer und chemischer Funktionszusammenhänge. Die akademische Forschung nimmt deshalb im Prozess der Arzneimittelentwicklung heute eine viel wichtigere Rolle ein als früher. Ihr Potenzial ist laut Michael Arand noch längst nicht ausgeschöpft. Der Pharmakologe engagiert sich dafür, dass aus Erkenntnissen der Forschung möglichst rasch zugelassene Heilmittel werden. Um Forscherinnen und Forscher am Medizinstandort Zürich bei der Entwicklung von Arzneimittelvorstufen zu unterstützen, hat er zusammen mit Kolleginnen und Kollegen an der ETH und dem Universitätsspital das Drug Discovery Network Zurich gegründet.

Lehren aus dem Contergan-Skandal

Einschneidende Veränderungen in der Pharmaforschung brachte nicht nur der Wissenszuwachs der Life Sciences, sondern auch die zunehmende Regulierung der Forschungs- und Entwicklungsprozesse.

Der Contergan-Skandal Ende der 1950er Jahre hatte einer schockierten Öffentlichkeit drastisch vor Augen geführt, wie wichtig es für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten ist, den Innovationsprozess in geregelte Bahnen zu lenken. «Heute treten bei der Einführung neuer Medikamente in 99 Prozent der Fälle keine unvorhergesehenen Nebenwirkungen mehr auf», sagte Michael Arand.

Meister Zufall spielt mit

Die umfassenden präklinischen Sicherheitsvorkehrungen haben allerdings auch Nachteile: Sie machen die Entwicklung neuer Medikamente aufwändiger, und sie engen den Spiel- und Experimentierraum der Forschenden ein. Was dies bedeutet, veranschaulichte Boris Quednow am Beispiel des Psychopharmaka-Bereichs, wo grundlegende Entdeckungen seit längerer Zeit rar sind. In den 50er-, 60er- und 70er-Jahren sah das noch anders aus, damals jagte eine Innovation die nächste. Grundlage für den Boom war eine Reihe meist zufälliger Entdeckungen – so etwa im Fall der Neuroleptika, welche die Behandlung von psychotischen Störungen revolutionierten.  

Meister Zufall, darin waren sich Boris Quednow und Michael Arand einig, spielt bei wissenschaftlichen Entdeckungen einen wichtigen Part. Man sollte ihm genügend Raum geben.