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Kooperation

Neues Antibiotikum in Griffweite

Innovationskraft war das Schlüsselwort an einer hochrangig besetzten Veranstaltung auf dem Campus Irchel der Universität Zürich. Am Beispiel der Firma Polyphor, die in Zusammenarbeit mit der UZH ein Antibiotikum entdeckt hat, zeigte sich, wie Grundlagenforschung im Verbund mit Unternehmergeist Früchte trägt.
Stefan Stöcklin
Hoher Besuch auf dem Campus Irchel: Bundesrat Johann Schneider-Ammann, flankiert von Jean-Pierre Obrecht, CEO Polyphor (li) und Bernhard Schmid, Dekan MNF und Thomas Tschümperlin, Leiter Rektoratsdienst (re). (Bild: Markus Senn)

Der dunkle Theatersaal auf dem Campus Irchel war voll besetzt, als Bundesrat Johann Schneider-Ammann zum Auftakt der halbtägigen Veranstaltung am Dienstag morgen das Wort ergriff. Mit einer Prise Ironie bemerkte der Wirtschaftsminister, dass er hier sprechen dürfe – und nicht der Gesundheitsminister Alain Berset. Denn obwohl mit Antibiotika ein medizinisches Thema zur Debatte stehe, gehe es vor allem um eines: Um Innovation und den Forschungsstandort Schweiz. Und da sei er zuständig!

Mit wenigen Worten machte der Bundesrat deutlich, wie wichtig dafür die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungsinstitutionen und privaten Unternehmen ist. Denn aus diesen Public Private Partnerships (PPP) entstehen neue Produkte, Jobs und Wachstum – und darauf beruht der Wohlstand der Schweiz. Solche Kooperationen müssten gestärkt werden, damit die Schweiz langfristig ihren Spitzenplatz in Bezug auf die Innovationsfähigkeit behalten könne. «Innovationsförderung ist mein oberstes Ziel, sowohl kurz- wie langfristig», sagte Schneider-Ammann und sicherte sich vom fachkundigen Publikum kräftigen Applaus.

Pioniergeist am Institut für Chemie

Die folgenden Referenten aus UZH und Industrie thematisierten ein eindrückliches Beispiel einer erfolgreichen Innovation im Bereich der Antibiotika durch die Firma Polyphor. Das Unternehmen hat heute seinen Sitz in Allschwil (BL), entstand aber dank initiativen Forschern am Institut für Chemie der UZH. 1996 gründeten die Brüder Daniel und Jean-Pierre Obrecht die Firma zunächst mit dem Ziel, nutzbringende Dienstleistungen für die Pharmaforschung zu erbringen.

Zu Beginn arbeiteten die beiden Chemiker zusammen mit zwei Mitarbeitenden eng zusammen gepfercht am Institut für Chemie auf dem Campus Irchel. Drei Jahre später folgte ein erster Teilumzug nach Allschwil, 2006 siedelte die ganze Firma um, die heute 110 Mitarbeitende beschäftigt. Das Brüderpaar ist vom Pioniergeist beseelt. «Wir wünschten uns schon immer eine eigene Firma», sagte der aktuelle CEO und Ko-Gründer Jean-Pierre Obrecht.

Grundlagenforschung liefert Basis

Bedeutend für die Firma ist die Zusammenarbeit mit John Robinson, Professor für  Bioorganische Chemie und Mitglied des Direktoriums des Instituts für Chemie der Universität Zürich. Die Kooperation erwies sich als Glücksfall, wie Daniel Obrecht, heute CSO (Chief Scientific Officer) der Firma erläuterte. Robinson forscht mit seinem Team an sogenannten Makrozyklen, ringförmige Moleküle, die funktionelle Strukturen natürlicher Stoffe imitieren. Die synthetisch hergestellten Verbindungen sind quasi verkleinerte Proteine, behalten aber ihre biologischen Aktivitäten. Die Gebrüder Obrecht ihrerseits entwickelten eine technische Plattform, um solche Makrozyklen in Serie zu synthetisieren und chemisch abzuwandeln. Eine solche Bibliothek erlaubt es, medizinisch interessante Wirkstoffe herauszufischen und weiter zu entwickeln.

Innovativer Chemiker: John Robinson, Direktoriumsmitglied des Instituts für Chemie. (Bild: Markus Senn)

Im Jahr 2000 begannen die Chemiker von Polyphor mit der Suche nach möglichen Wirkstoffen gegen krankmachende Bakterien. «Neue Antibiotika sind dringend nötig, weil immer mehr Krankheitserreger gegen die vorhandenen Wirkstoffe resistent sind», erläuterte Andreas Widmer, Leiter der Abteilung Spitalhygiene am Universitätsspital Basel. Deshalb beschäftigten sich die Forscher von Polyphor mit speziellen Makrozyklen, die funktionelle Bereiche körpereigener Substanzen imitieren können, die beim Menschen Mikroorganismen abwehren. 2006 landeten sie einen Volltreffer.

Unter den Makrozyklen befand sich die Substanz POL7080, die selektiv das Wachstum von Pseudomonas-Bakterien stoppt. Diese Bakterienart gehört zur Gruppe der sogenannt Gram-negativen Keime und bereitet den Medizinern aufgrund von Resistenzen gegen gängige Antibiotika zunehmend Probleme. Sie verursachen häufig schwere Lungeninfektionen bei Patienten, die künstlich beatmet werden müssen. Diese Infektionen lassen sich kaum mehr behandeln, über ein Fünftel der Patienten stirbt. Wie Daniel Obrecht ausführte, haben umfangreiche Wirkungstests nachgewiesen, dass POL7080 die Vermehrung dieser infektiösen Keime effizient verhindert.  

Das Antibiotikum wirkt: Daniel Obrecht, Wissenschaftlicher Leiter (CSO) von Polyphor. (Bild: Markus Senn)

Big Pharma steigt ein

Die finanzielle Unterstützung der Kommission für Technologie und Innovation des Bundes (KTI) und die Zusammenarbeit mit John Robinson ermöglichte die weitere Entwicklung des Medikamenten-Kandidaten. Die Substanz hat sich in den bisherigen Tests und klinischen Studien derart bewährt, dass im Herbst 2013 das Grossunternehmen Roche eingestiegen ist. Die Basler Pharmafirma hat mit Polyphor eine Vereinbarung zur Entwicklung und weltweiten Vermarktung abgeschlossen. Wie Lesley van Jaarsveldt, Director Global Business Development Roche an der halbtägigen Veranstaltung ausführte, plane ihre Firma die aufwendigen klinischen Studien der Phase lll durchzuführen. Zurzeit befindet sich der Medikamenten-Kandidat in Phase ll. Geht alles gut, kommt das neue Antibiotika in den nächsten Jahren auf den Markt. «Wir rechnen jedoch mit einer Markteinführung nicht vor 2017», sagte Daniel Obrecht.

Klinische Studie Phase lll in Planung: Lesley von Jaarsveldt, Firma Roche. (Bild: Markus Senn)

Auch wenn die Markteinführung noch in der Zukunft liegt, ist den Forschenden mit dieser Entwicklung ist ein grosser Coup gelungen: «Die Substanz gehört zu einer neuen Wirkungsklasse von Antibiotika, die es in der Natur nicht gibt», erläuterte John Robinson. In den letzten 40 Jahren hat keine Pharmafirma ein gegen Gram-negative Bakterien gerichtetes Antibiotika zur Marktreife gebracht. Auf der Suche nach neuen Antibiotika wurden vor allem bekannte Stoffklassen abgewandelt, an der Entwicklung neuer Klassen scheiterten bisher alle Firmen, trotz kostspieligen Programmen.

Das macht die Substanz doppelt interessant, denn sie öffnet das Fenster in einen bisher unbekannten Wirkungsmechanismus gegen krankmachende und resistente Bakterien. Neben Pseudomonas existieren weitere infektiöse Keime wie Klebsiella oder Escherichia, die gegen gängige Antibiotika resistent geworden sind. Der Wirkungsmechanismus ist deshalb ein hot topic und wird intensiv erforscht. Auch John Robinson untersucht den erst teilweise bekannten Prozess bis hinunter zu atomaren Details.

Geteilte Eigentumsrechte

Die Zusammenarbeit zwischen UZH und Polyphor ist somit für beide Partner höchst interessant. Auf der einen Seiten kann die Universität neues Forschungsterrain erobern, auf der anderen Seite entwickelt die Firma einen dringend benötigten Wirkstoff gegen gefährliche Bakterien. Die enge Verflechtung der PPP wird an den Eigentumsrechten deutlich: «Insgesamt sind 14 Patente im gemeinsamen Besitz von UZH und Polyphor», erklärte Michael Altorfer, ab April CEO der Firma und Nachfolger von Jean-Pierre Obrecht. Polyphor hat exklusive Lizenzen zur Verwertung und beteiligt dafür die UZH an den daraus erwachsenden Einnahmen.  

Der aktuelle und künftige CEO von Polyphor: Jean-Pierre Obrecht (li) und Michael Altorfer (Bildmitte). Rechts CSO Daniel Obrecht. (Bild: Markus Senn)

Die Verbindung von Hochschule und Unternehmertum im Falle von Polyphor ist somit ein geglückter Fall einer Innovation, die Bundesrat Johann Schneider-Amman vermehrt fördern will. Dass die UZH ein Interesse daran hat, bekräftigte Berhard Schmid, Dekan der Mathematisch-naturwisssenschaftlichen Fakultät und Professor für Umweltwissenschaften: «Spin-offs sind im Interesse der UZH». Mit den geplanten Aus- und Neubauten rüstet sich der Campus Irchel auch in dieser Hinsicht für die Zukunft und schafft für diese Inkubator mehr Platz.

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