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Evolutionsbiologie

«Pfauenfedern und rote Bäuche»

Bei Tierweibchen gilt: Schön ist, was genetisch passt. Sie suchen Partner, die einen evolutionsbiologischen Vorteil versprechen. Bei uns Menschen ist das ähnlich, sagt die Biologin Barbara Tschirren. Die SNF-Förderprofessorin erforscht unter anderem die Evolution von Fortpflanzungsstrategien.
Interview: Roger Nickl

Glücklicher Pfau: Pfauenweibchen bevorzugen Männchen mit besonders schönen Schwanzfedern. (Bild: wikipedia)

Frau Tschirren, Sie interessieren sich dafür, weshalb bestimmte Tiere und Menschen für andere besonders schön und attraktiv sind.  Was ist Schönheit, wenn man durch die Brille der Evolutionsbiologin blickt?

Barbara Tschirren: Die Evolutionsbiologie beschäftigt sich mit Fragen der Partnerwahl und der Fortpflanzung. Wir gehen davon aus, dass nichts und niemand einfach schön ist. Erst die Vorliebe, die Präferenz für ein bestimmtes Merkmal, macht jemanden schön und deshalb attraktiv.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Das klassische Beispiel sind die Schwanzfedern des Pfaus. Pfauenweibchen bevorzugen Männchen mit besonders schönen und langen Schwanzfedern. Bei Stichlingen wiederum, kleinen Fischen, bevorzugen Weibchen Männchen mit roten Bäuchen. Nun erscheinen diese attraktiven Merkmale relativ zufällig. Als Evolutionsbiologen wollen wir verstehen, welche Vorteile mit einer solchen Wahl verbunden sind und was ein bestimmtes Merkmal signalisiert.

Weshalb sind denn gewisse Merkmale wie eben die langen Schwanzfedern des Pfaus so attraktiv?

Attraktive Merkmale sind besonders schwer zu produzieren. Nicht nur bei den Pfauen, sondern auch bei den Rauchschwalben werden Männchen mit besonders langen Schwanzfedern bevorzugt. Nun konnte man zeigen, dass die attraktiven Rauchschwalbenmännchen wegen ihres Federschmucks weniger gut fliegen können. Sie haben ein Handicap, können aber trotzdem lange Strecken zurücklegen.

Sie können sich den Luxus der Schönheit leisten und dennoch das normale Leben einer Rauchschwalbe führen?

Ja, weil sie eben fit sind, können sie in den überfüssigen Luxus eines schönen Merkmals investieren und trotzdem voll funktionieren. Das signalisiert, dass das Männchen gesund ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von den Kosten, die mit einem Merkmal verbunden sind. Ein Individuum, das weniger fit ist, kann sich diese Kosten nicht leisten. Es muss zuerst die überlebenswichtigen Funktionen befriedigen.

Die attraktiven Männchen signalisieren, dass sie gesund und gut genährt sind – heisst das auch, dass sie gute Ernährer, gute Väter sind?

Das ist genau der Punkt. Sie sind gesund, und sie wissen, wo die wertvolle Nahrung zu finden ist. Solche Männchen sind auch gute Väter. Ein Weibchen kann von einem solchen Männchen viel Unterstützung bei der Jungenaufzucht erwarten. Das spielt natürlich nur bei Tierarten eine Rolle, bei denen die Männchen zur Jungenaufzucht beitragen. Bei vielen Vogel- und anderen Tierarten ist dies nicht der Fall. Bei den Birkhühnern etwa kümmert sich das Männchen überhaupt nicht um den Nachwuchs. Die Männchen präsentieren sich in einer Balzarena, und die Weibchen wählen sich ihren Partner. Dann paaren sie sich und das wars. Man hat sich deshalb gefragt, wieso die Birkhühnerweibchen überhaupt wählen. Denn sie bekommen von den Männchen nur genetische Informationen und sonst nichts. Der Grund dafür sind die «guten Gene». Das heisst, die Partnerwahl wird von der Qualität der Gene beeinflusst.

Das heisst, es gibt im Tierreich soziale und genetische Faktoren, die bestimmte Individuen attraktiver machen als anderen?

Genau. Interessant ist, dass Weibchen im sozialen Bereich alle das Gleiche wollen. Sie suchen den guten Ernährer. Wenn es dagegen um die «guten» Gene geht, gibt es individuelle Unterschiede, was Weibchen schön und attraktiv finden.

Gibt es also auch bei Tierdamen ein individuelles Schönheitsempfinden?

Ja, Mäuse etwa verfügen nicht über besonders schöne Ornamente, die sie zur Schau stellen können, wie etwa die Vögel. Dafür ist der Geruch sehr wichtig bei der Partnerwahl.

Wir haben darüber gesprochen, wie Attraktivität und Schönheit in der Tierwelt spielen. Kann man daraus Schlüsse auf uns Menschen ziehen?

Für alle Organismen gelten grundsätzlich dieselben evolutiven Regeln. Da gehören wir Menschen natürlich mit dazu. Beispielsweise gibt es Studien, die zeigen, dass uns wie bei den Mäusen bestimmte Körpergerüche mehr oder weniger anziehen. In den 1990er-Jahren schnüffelten Studierende an der Universität Bern an T- Shirts, um ihre Geruchspräferenzen kundzutun. Da gibt es riesige individuelle Unterschiede, was als angenehm empfunden wird.

Was hat die Studie gezeigt?

Die Forscher zeigten, dass unser Geruchsempfinden wie bei den Mäusen vom Immunssystem beeinflusst ist. Es gibt also Belege dafür, dass das gleiche Prinzip wie bei den Mäusen auch bei den Menschen eine Rolle spielt.

Gibt es weitere Präferenzen, die die Partnerwahl bei uns Menschen beeinflussen?

In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass es kulturunabhängig eine Präferenz für Körpergrösse gibt. Oft müssen in Studien Frauen sagen, wie attraktiv bestimmte Männer für sie sind. Was diese Studien zeigen: Grössere Männer sind attraktiver.

An Ihrem Institut wurde die Attraktivität von Radrennfahrern auf Frauen untersucht. Den Frauen wurden Gesichter von ihnen unbekannten Velofahrern gezeigt, und sie mussten die für sie attraktivsten Männer wählen. Was sich zeigte: Am attraktivsten waren die Männer, die auch als Radrennfahrer die besten Leistungen erbrachten. Was kann man daraus schliessen?

Spannend war, dass die Frauen nur aufgrund der Gesichter wählen mussten. Sie wussten nichts über die Qualitäten und über Ruhm und Ehre dieser Radfahrer. Interessant war nun, dass viele Frauen dieselben Männer als attraktiv einstuften. Das kann man natürlich trivial finden. Aber diese Tatsache ist doch schon sehr erstaunlich.

Welche Merkmale wurden besonders geschätzt?

Welches Gesichsmerkmal für die Wahl entscheidend war, wissen wir noch nicht. Dennoch haben die Frauen die leistungsfähigsten Männer als besonders attraktiv taxiert – auch wenn sie nur das Gesicht und eben nicht die Waden der Radfahrer begutachtet haben. Das zeigt, dass auch bei uns unbewusst biologische Mechanismen ablaufen und unser Schönheitsempfinden und unsere Wahrnehmung beeinflussen.

Ist die gute Ausdauer ein bevorzugtes Merkmal aus der Frühgeschichte der Menschheit, das sich heute noch in der Vorliebe von Frauen für besonders leistungsfähige Radfahrer spiegelt?

Ja, das ist vermutlich eine Präferenz aus unserer evolutiven Vergangenheit.

Wir müssen also davon ausgehen, dass uns unsere evolutionsgeschichtliche Vergangenheit heute noch beeinflusst?

Ich gehe davon aus, dass die Vorteile einer guten Ausdauer heute sehr viel geringer sind als noch vor ein paar tausend Jahren. Damals gab es eine viel stärkere Selektion für eine solche Präferenz. Dennoch gibt es diese Präferenz auch heute noch; sie ist ein Überbleibsel aus der Vergangenheit.

Die erfolgreichen Radrennfahrer in Ihrer Studie sind quasi die schönen Pfauen in der Natur – können die Frauen damit auch erwarten, dass sie gute Väter abgeben?

Wenn man davon ausgeht, dass die Ausdauer wichtig war, um an Nahrung zu kommen, ist das natürlich ein sehr wichtiger Beitrag zur Familie.

Attraktivität hängt bei uns auch etwa von der Bildung oder vom Sozialstatus ab. Da hören die Vergleiche mit der Tierwelt wohl auf?

Der Sozialstatus spielt in der Tierwelt durchaus eine Rolle. Die australischen Laubenvögel bauen aus Zweigen und Gräsern kunstvolle Lauben, die sie dekorieren. Interessanterweise ist die Farbe Blau in der Natur sehr selten. Die Laubenvögelmännchen machen sich nun aber auf, diese raren blauen Dinge zu suchen, mit denen sie ihre Lauben schmücken. Sie werben also nicht mit einem attraktiven Aussehen um die Gunst der Weibchen, sondern indem sie eine besonders schöne Laube bauen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem erweiterten Phänotyp, von einem ausgelagerten Merkmal.

Wo sehen Sie da Parallelen zur Menschenwelt?

Unsere Statussymbole sind eigentlich nichts anderes. Auch ein grosses Auto kann man als erweiterten Phänotyp verstehen. Es steht für reiche Ressourcen, die auch wichtig sind. Natürlich spielt aber die Kultur beim Menschen eine riesige Rolle.