Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Allergieforschung

«Meh Dräck»

Allergien werden immer häufiger. Was sich tun lässt, damit sie nicht zur Epidemie der Zukunft werden, hat Georg Schäppi, Geschäftsleiter des Allergiezentrums Schweiz (aha!), im Rahmen der UZH-Veranstaltungsreihe «Wissen-schaf(f)t Wissen» erläutert.
Christina Giger
Eiweisse aus Pflanzenpollen, Tierspeichel oder Milbenkot können Allergien auslösen, wenn das Immunsystem zu wenig trainiert ist.

Immer mehr Leute müssen sich mit geröteten Augen und triefender Nase durch den Frühling quälen. Lebensmittelverpackungen warnen vermehrt vor möglichen Nuss-Verunreinigungen. Restaurants bieten standardmässig glutenfreie Speisen an. Allergien und Intoleranzen sind allgegenwärtig. Oder doch nicht? In Südamerika oder Afrika gibt es deutlich weniger Allergiker als hierzulande. Bauernkinder leiden viel seltener unter Allergien als Stadtkinder. In Ländern mit niedrigem Bruttosozialprodukt oder hoher Artenvielfalt haben Allergien kaum eine Chance. Wieso ist das so? Was können wir in unserer westlichen Welt aus diesen Beobachtungen lernen? Solche Fragen über Allergien und ihre Bekämpfung beantwortete der Biologe Georg Schäppi in seinem Vortrag in der Reihe «Wissen-schaf(f)t Wissen», die vom Zürcher Zentrum für Integrative Humanphysiologie (ZIHP) der Universität Zürich veranstaltet wird. 

Überreaktion des Immunsystems

Beim gesunden Menschen bekämpft das Immunsystem «böse» Elemente wie Viren, Bakterien, Parasiten. Körpereigene oder harmlose Stoffe jedoch toleriert es und reagiert nicht darauf. «Das Immunsystem eines Allergikers hingegen hat die Toleranz verlernt», erklärte Schäppi. Es registriert auch Dinge als fremd, die dem Körper eigentlich nicht schaden würden, und bekämpft sie.

Beim ersten Kontakt mit einem Allergieauslöser – auch Allergen genannt – reagiert der Körper, indem er Unmengen eines bestimmten Abwehrstoffes, des Antikörpers Immunglobulin E (IgE), produziert. Die Antikörper setzen sich reaktionsbereit auf spezielle Immunzellen, sogenannte Mastzellen. Diesen Prozess nennt man Sensibilisierung. Allergieauslöser können verschiedene Eiweisse aus Pollen, Tierspeichel, Milbenkot, Insektengiften, Lebensmitteln oder ähnlichem sein. Diese können über die Atemwege, die Haut oder den Verdauungstrakt in den Körper gelangen.

Beim zweiten Kontakt erkennen die IgE-Antikörper das Allergen wieder und lösen in der Mastzelle eine massive Reaktion aus: Die Mastzelle platzt und setzt Unmengen von Botenstoffen, darunter das bekannte Histamin, frei. Diese lösen über verschiedene Wege die typischen allergischen Reaktionen wie Hautrötung, Asthma, Heuschnupfen, Bindehautentzündung oder Magenbeschwerden aus. Im Extremfall kann es zu totalem Kreislaufversagen bis hin zum Tod kommen.

Allergieforscher Georg Schäppi: «Es gibt eine breite Palette von Gründen für die Zunahme von Allergien.»

Am besten verhindere man Symptome bestehender Allergien, indem man den Kontakt mit dem Allergen vermeide, riet Schäppi. Zur Ursachenbekämpfung gibt es die Hyposensibilisierung, auch  Desensibilisierung genannt, beispielsweise bei einer Pollen- oder Insektengiftallergie. Diese wurde über die letzten Jahre laufend optimiert und verspricht heute gute Erfolgschancen. Sei dies nicht möglich, helfen Medikamente gegen Histamin, kortisonhaltige Arzneimittel oder im Akutfall eine Adrenalinspritze. Hoffnung bringen neue Therapien wie die Allergieimpfung, bei denen man versucht, die Fehlreaktion des Immunsystems zu verhindern.

Westliche Lebensweise fördert Allergien

Das Risiko, an einer Allergie zu erkranken, kann vererbt werden. Meist spielt jedoch auch die Umwelt eine sehr grosse Rolle. Reizgase, die Abgase von Verkehr und Industrie, belasten die Luft der Industrieländer. Atmet man zu viel dieser Gase ein, werden die Schleimhäute vorgereizt und reagieren empfindlicher auf mögliche Allergene. Der Klimawandel bewirkt zudem, dass Pflanzen länger blühen oder neu einwandern und mehr Pollen in der Luft sind, was Heuschnupfen fördert. Ferner trägt auch eine ungesunde Ernährungsweise mit Hamburger, Pommes frites und ähnlichem ihren Teil zur Allergieentwicklung bei.

Leider kommt auch der hygienische Lebensstil der westlichen Industrienationen den Allergien zugute. Unser Immunsystem wird nicht mehr so häufig herausgefordert wie früher. «Vor hundert Jahren schleppte noch praktisch jeder einen Bandwurm oder ähnliches mit sich herum», erklärte Schäppi. Dies sei zwar nicht wünschenswert, aber es habe die Leute vor Allergien geschützt. Die IgE-Antikörper sind nämlich ursprünglich dazu da, Parasiten abzuwehren. «Heute haben wir die Parasiten ausgerottet, und unsere IgE-Antikörper haben nichts Besseres zu tun, als überzureagieren», bemerkte Schäppi.

Ausserdem bewirke die heutige dichte Bauweise, kombiniert mit schlechtem Lüftungsverhalten, dass Häuser heutzutage viel zu wenig belüftet würden. Die Folgen seien, dass sich Hausstaubmilben, deren Kot auch ein häufiges Allergen ist, im Kopfkissen und Duvet und Schimmelpilze an Wänden stärker vermehren.

Verschiedene Faktoren wie Stress, Drogen oder Medikamente können zudem verstärkend auf eine Allergie wirken oder sie sogar erst auslösen. Es sei daher wenig erstaunlich, dass in einer Welt mit zunehmendem gesellschaftlichem Druck immer mehr Leute an Allergien leiden, gab Schäppi zu denken. Bemerkenswert sei auch, dass immer öfter Menschen in höherem Alter noch Allergiker werden. Durch die moderne Medizin bleibe das Immunsystem älterer Leute heute länger fit genug, um eine Allergie zu entwickeln.

«Sich mal von einer Kuh ablecken lassen»

Wie können wir also verhindern, dass Allergien immer mehr Einzug in unser Leben halten? Das Wichtigste sei, dass unser Immunsystem öfter mal gefordert wird, damit es lerne, harmlose Stoffe von gefährlichen zu unterscheiden. «Gönnen Sie Ihren Kindern ‹Meh Dräck›, lassen Sie sie viel draussen spielen», riet Schäppi. Der Umgang mit Stalltieren, wie er für Bauernkinder selbstverständlich ist, schade keineswegs. Im Gegenteil, er fokussiere das Immunsystem. «Also lassen Sie sich ruhig mal von einer Kuh ablecken», riet Schäppi schmunzelnd.

Ebenso sollte man täglich ans Lüften der Bettwäsche denken. Ausserdem ist auch mit der Zunahme der Kaiserschnitte in der Schweiz eine Zunahme des Allergierisikos zu beobachten. Eine natürliche Geburt sei daher wenn möglich erstrebenswert. Das Kind wird dabei quasi geimpft, wenn es mit den Mikroben im Geburtskanal in Berührung kommt. Auch Muttermilch und eine ausgewogene Ernährung gelten als wichtiger erster Schutz vor Allergien. «Es wird viel geforscht, um Allergien besser zu verstehen, aber warten Sie nicht darauf, bis der Forscher den Geniestreich macht, tun Sie selber etwas!», appellierte Schäppi an das Publikum.