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UZH News

Interdisziplinäre Tagung

Vertrauen verstehen

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt an der UZH widmete sich in den vergangenen drei Jahren den vielfältigen Aspekten von «Vertrauen». An der Abschlusstagung diskutierten Forschende aus Ökonomie, Geschichte und Theologie ihre Resultate. UZH News war beim Podiumsgespräch zum Thema «Vertrauen in der Ökonomie» dabei.
Adrian Ritter
Im Rahmen des Forschungsprojekts «Vertrauen verstehen» fand auch ein Fotowettbewerb statt. Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren waren aufgerufen, Bilder zum Thema Vertrauen einzusenden. Um die fünf besten Beiträge zu sehen, öffnen Sie die Bildergalerie.

Nach 200 Millisekunden ist der Fall klar. Solange dauert es, bis wir beim Anblick eines Menschen entscheiden, ob wir ihm vertrauen oder nicht. Das Team um UZH-Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr konnte aufgrund von Laborexperimenten sogar das vertrauenswürdigste Gesicht designen.

Sich auf diesen ersten Eindruck zu verlassen, sei allerdings nicht empfehlenswert, betonte Fehr am vergangenen Donnerstag an der Abschlusstagung des interdisziplinären Forschungsprojektes «Vertrauen verstehen». Ein Zusammenhang zwischen Physiognomie und Vertrauenswürdigkeit lasse sich empirisch nicht nachweisen.

Kreditgeschichte prüfen

Wie entscheiden Menschen dann, wem sie vertrauen? «Emotionen spielen zweifellos mit», sagte Michael Fiebig, Fondsmanager im Bereich Mikrofinanzierung, der als Praktiker am Podium teilnahm: «Die Kreditsachbearbeiter unseres Fonds verlassen sich auch auf ihr Gefühl, wenn sie die Kreditwürdigkeit der Kunden einschätzen.»

Im Kreditwesen stellen sich Vertrauensfragen besonders offensichtlich. Entsprechend galt dem Schuldenmachen im Forschungsprojekt ein spezieller Fokus. Historisch hätten sich bestimmte Routinen ausgebildet, um die Vertrauenswürdigkeit zu prüfen, sagte Jakob Tanner, Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der UZH. In der Bankenwelt gehöre dazu, die «Kreditgeschichte» eines Kunden genau zu prüfen.

In Phasen der Prosperität geschieht dies nicht immer ausreichend, wie etwa die Krise auf dem US-Hypothekenmarkt zeigt. Beispiele für zu grosses Vertrauen finden sich auch in früheren Epochen, wie Tanner am Konkurs der Leihkasse Uster 1891 aufzeigte. Hunderte von Gewerbetreibenden, Handwerkern und auch Dienstboten verloren damals ihre Ersparnisse, nachdem die Bank mit Eisenbahnaktien spekuliert hatte.

Asymmetrische Information

Doch auch eine lupenreiche «Kreditgeschichte» sei keine hundertprozentige Garantie, so Ernst Fehr. Wenn ein Kreditnehmer zehn Jahre lang seine Schulden bezahlt habe, heisse das nicht zwingend, dass er es auch in Zukunft tun werde.

Dem liegt eine asymmetrische Verteilung der Information zugrunde: Der Kreditgeber kann nie sicher sein, ob der Kreditnehmer willens und fähig sein wird, seine Schulden zurückzuzahlen. Der Kreditnehmer dagegen kann immerhin abschätzen, ob er willens sein wird.

Weil die Zukunft nicht vorhersehbar ist, ist eine Ökonomie ohne Vertrauen unvorstellbar: Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr.

Unsichere Zukunft

Weil die Zukunft nicht vorhersehbar ist, so waren sich die Podiumsteilnehmer einig, ist eine Ökonomie und eine Welt ohne Vertrauen unvorstellbar. Für Ernst Fehr gibt es dabei drei Quellen von Vertrauenswürdigkeit.

Dazu gehört erstens der Staat mit seinen Gesetzen und Sanktionsmöglichkeiten. Er sorgt dafür, dass Verträge zwischen Privaten und damit etwa auch Schuldforderungen durchsetzbar sind. Der Staat erhöht dadurch die Bereitschaft zum Tausch und steigert nicht zuletzt auch die Grösse der Kreditmärkte.

Erhöht wird die Bereitschaft zum ökonomischen Tausch zweitens durch Reputationsanreize: Wer einen Tauschpartner betrügt, verliert seinen guten Ruf und schmälert seine Chancen auf zukünftige Geschäfte.

Als dritte Quelle von Vertrauenswürdigkeit sieht Fehr die individuelle Moral der Menschen. Sie sorgt im besten Fall dafür, dass diese ihre Versprechen einhalten, was das Vertrauen anderer Menschen in sie erhöht.

Vertrauen absichern

Sowohl Fehr wie Tanner betonten die Notwendigkeit, Vertrauen über gesellschaftliche Institutionen abzusichern. Das «Regelvertrauen» erleichtere es, als Gesellschaft die Zukunft zu gestalten, so Tanner.

Ernst Fehr, dessen Team im Rahmen des Forschungsprojekts die neurobiologischen, kognitiven und emotionalen Grundlagen des Vertrauen untersuchte, stellte klar: «Es geht nicht darum, die Biologie des Menschen zu ändern, um das Vertrauen zu stärken. Man muss die Anreize und gesellschaftlichen Institutionen verändern.»

Für Fehr gehören dazu etwa höhere Eigenkapitalvorschriften sowie Einsichts- und Kontrollrechte der Finanzmarktbehörden. Zudem müsse die Möglichkeit bestehen, eine Bank Konkurs gehen zu lassen, ohne dass dadurch der gesamtwirtschaftliche Kreislauf nachhaltig gestört werde.

«Es gab viele historische Situationen, in denen Misstrauen wichtig war, um eine Rückkehr zu Normen zu ermöglichen»: Wirtschaftshistoriker Jakob Tanner.

Zwiespältige Diagnose

Bezüglich der gegenwärtigen Situation der Weltwirtschaft und des Wirtschaftsstandortes Schweiz präsentiere sich die Diagnose zwiespältig, so Tanner. Einerseits rissen die Berichte über Skandale in der Schweizer Bankenwelt nicht ab. Andererseits geniesse die Schweiz gemäss der Umfrage einer Grossbank weltweit nach wie vor grosses Vertrauen, gelte gar als «Urgestein des Vertrauens». Um von diesem Vertrauensbonus zu profitieren, präsentierten sich heute global tätige Schweizer Unternehmen im Gegensatz zu den 1990er Jahre wieder stärker als schweizerisch, beobachtet Tanner.

Organisiertes Misstrauen

Vertrauen sei für das Zusammenleben der Menschen sehr wichtig, es habe sich aber nicht immer als die richtige Haltung erwiesen, so der Wirtschaftshistoriker weiter. Immer wieder gab es etwa soziale Bewegungen, die dazu aufriefen, den Reichen und Mächtigen zu misstrauen. «Es gab viele historische Situationen, in denen Misstrauen wichtig war, um gesellschaftliche Normen wie soziale Gerechtigkeit einzufordern und damit auch neue Grundlagen für Vertrauensbeziehungen zu schaffen», so Tanner. 

Manchmal sei Vertrauen, manchmal Misstrauen angebracht. Vertrauen sei somit nicht uneingeschränkt positiv zu werten, sondern müsse im jeweiligen gesellschaftlichen und zeitlichen Kontext betrachtet werden. Fazit: Die Herausforderung, zu entscheiden, was angebracht ist, bleibt uns Menschen erhalten.