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13. Zürcher Gerontologietag

Ist die Medizin altersfeindlich?

Die diesjährige Tagung des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich, die vergangene Woche stattfand, befasste sich mit dem brisanten Thema «Soziale Ungleichheiten im Alter». UZH News war beim Vortrag von Gerontologe Thomas Münzer dabei, der der Frage nachging, wie viel das Lebensende kosten darf. Er plädierte für eine altersgerechte Medizin.
Marita Fuchs
Hans Rudolf Schelling (links) moderierte den 13. Zürcher Gerontologietag. Neben ihm Referent Thomas Münzer: «Ein alter Mensch besteht nicht nur aus einer defekten Herzklappe.» 

Grundsätzlich besteht bei der medizinischen Versorgung aller Menschen in der Schweiz das Gleichheitsprinzip. Und doch tut sich in der gesellschaftlichen Diskussion eine Schere auf: Einerseits ist man stolz auf die Erhöhung der Lebenserwartung und andererseits werden die steigenden Gesundheitskosten scharf kritisiert.

Die Behandlung alter Menschen gerät dabei besonders in den Fokus. «Es kursiert das Vorurteil, alte Leute seien zu teuer», sagte Thomas Münzer, Leiter der Geriatrischen Klinik in St. Gallen auf der Tagung des Zentrums für Gerontologie vor zahlreich erschienenem Publikum. Daher würden alte Menschen zum Ziel von Sparmassnahmen im Gesundheitswesen. Es drohe die Unterversorgung.

Zugang zu medizinischer Versorgung für alle gleich

Immer wieder wird von der Zwei-Klassen-Medizin gesprochen. «Doch der sozio-ökonomische Status spielt bei der Behandlung alter Patientinnen und Patienten kaum eine Rolle», so Münzer. Dies belegen neue Studien, die die soziale und finanzielle Situation alter Menschen und deren Zugang zu medizinischer Versorgung untersuchten.

Anders steht es bei der Finanzierung spezieller Leistungen durch die Zusatzversicherungen. Sie verleite bei älteren Personen zu teuren und undifferenzierten Überbehandlungen, sagte Münzer. Er erläuterte dies an einem Beispiel: Eine vermögende 82-jährige Frau wohnt alleine mit zwei Katzen in ihrem grossen Einfamilienhaus, ohne Familie, von ihrer Umwelt isoliert. Sie ist privatversichert.

Zusatzversicherte in den Mühlen der Medizin

Im Juni 2012 hatte sie einen Sturz mit Schenkelhalsfraktur und Handfraktur. Man stellte Unregelmässigkeiten an ihren Herzklappen fest und operiert sie am Herzen, andere zusätzliche Operationen, etwa am Auge, folgten. Im Juli 2012 wurde sie in die Geriatrie verlegt, weil man inzwischen bemerkt hatte, dass die Patientin stark dement wr. Vermögend wie sie ist, kann sie nun im Spital warten, bis ein Platz in ihrem  Wunschpflegeheim frei wird.

Die Frage sei, so Münzer, welchen Vorteil die Patientin durch die vielen Operationen gehabt habe: Die Herzklappe funktioniert, die Hüfte ist ‚geflickt’, es bleiben das kognitive Defizit, die Mobilitätsstörung, Ernährungsprobleme, Beistandschaft und Heimaufenthalt. Zu beobachten sei, dass Zusatzversicherte eine aufwendige Medizin – sprich: mehr Behandlungen – erhalten, was nicht unbedingt immer die bessere Lösung sei.

Zusammenfassend, so Münzer, spiele soziale Gerechtigkeit eine untergeordnete Rolle bei der medizinischen Versorgung im Alter. Hingegen besteht dringender Bedarf an einer auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnittenen Medizin.

Sein Vorschlag: Behandelnde Ärzte, etwa die Kardiochirurgen, sollten sich vor Operationen mit einem Geriater beraten und zusammen mit diesem überlegen, was notwendig und sinnvoll ist. Auf diese Weise könnte die Geriatrie helfen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. «Ein alter Mensch besteht nicht nur aus einer defekten Herzklappe», sagte Münzer.