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Investitionen und Nachhaltigkeit

Wenn die Hoffnung zu phantastisch wird

Thorsten Hens, Direktor des Instituts für schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich, warnt vor «grünen Investitionen», die das Blaue vom Himmel versprechen. Und Hans-Peter Burkhard, Direktor des Zentrums für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik der Universität Zürich, fordert verbindliche Kriterien der Nachhaltigkeit: «Damit schafft man mehr Transparenz.»
Adrian Ritter und Roland Gysin

UZH News: Thorsten Hens, in einem Interview mit der Weltwoche haben Sie gesagt, unsere Gesellschaft sei auf dem «Nachhaltigkeits-Trip». Und Sie haben davor gewarnt, dass bei «grünen Investitionen» die nächste Börsenblase droht. Wie meinen Sie das?

Thorsten Hens: Ich spreche von einem Trip, weil viele Anleger sehr unkritisch mit solchen Investitionen umgehen und sie nur deshalb tätigen, weil die entsprechenden Produkte das Label «nachhaltig» tragen. «Nachhaltigkeit» ist aber kein geschütztes Label. Jede Bank und jedes Unternehmen versteht etwas anderes darunter. Sogenannt nachhaltige Fonds enthalten oft Aktien von Unternehmen, die auch in herkömmlichen Fonds vertreten sind.

Die Banken verkaufen ein Thema, von dem sie wissen, dass die Kunden es kaufen werden. Ähnlich wie während der Internet-Euphorie und bei den komplexen Anlageprodukten, die zur jüngsten Finanzkrise geführt haben. Es herrscht keine Transparenz bei den Labels, und viele Anleger sind sich der Risiken nicht bewusst.

Solarzellen: «Wir brauchen den aufgeklärten, nachhaltigen Anleger.»

Welche Risiken sind das?

Hens: Man kann die Situation mit der Dotcom-Blase in den 1990er Jahren vergleichen. Viele Firmen versuchen innovative, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln, nur wenigen wird dies aber auch gelingen. Entsprechend riskant ist es, in diese Unternehmen zu investieren. Weil die Hoffnungen aber so gross sind, kommt es am Markt zu Übertreibungen, die Unternehmen werden zu teuer gehandelt.

Hans-Peter Burkhard: Es ist ja kein Zufall, dass derart spekulativ investiert wird. Die angesparten Vermögen haben weltweit massiv zugenommen, und der Markt wird von Kapital überschwemmt. Entsprechend ist der Druck gross, das Geld anzulegen.

Hens: Kollektiv betrachtet ist es sinnvoll, dass investiert wird. Spekulation bedeutet, dass auch in Technologien investiert wird, deren Erfolg unwahrscheinlich ist. Die Spekulation dient der Gesellschaft, nicht aber dem einzelnen Anleger.

Thorsten Hens: «Die Spekulation dient der Gesellschaft, nicht aber dem einzelnen Anleger.»

Ist das nicht bei jeder Innovation und in jedem Wirtschaftszweig so, dass Investitionen mit Risiken verbunden sind?

Hens: Doch, aber es entstanden auch immer wieder Blasen. Es gilt einfach, das Augenmass nicht zu verlieren. Das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis, also der Kurs einer Aktie im Verhältnis zum erwarteten Gewinn, sollte realistischerweise höchstens einen Wert von 15 bis 20 erreichen. Wenn dieser Wert über 40 hinausgeht, ist das ein Zeichen von spekulativer Übertreibung.

Die Aktien von Unternehmen wie «Suntech-Power», notiert an der New Yorker Börse, oder der deutschen «Solarworld AG», die auf der Suche sind nach neuartigen Solarzellen oder Batterien für Elektroautos, erreichten 2009 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von bis zu 90 (Suntech-Power: 90, Solarworld AG: 50). Das sind unseriöse Gewinnversprechungen. Tatsache ist nämlich, dass viele Aktien in diesem Sektor sogar Verluste machen, etwa diejenigen von «Evergreen Solar» oder «Solon».

Wer das Geld hat und sich der Risiken bewusst ist, soll spekulieren, das ist wie gesagt gesellschaftlich erwünscht. Aber Anleger sollten nicht ihre Pension dafür aufs Spiel setzen.

Herr Burkhard, sehen auch Sie eine neue Blase auf uns zukommen?

Burkhard: Grundsätzlich ist jede Investition mit Risiken verbunden. Bei Nachhaltigkeits-Portfolios werden drei Ansätze unterschieden. Bei der negativen Selektion werden gewisse Branchen wie Tabak oder Rüstung ausgeschlossen. Beim «best in class»-Ansatz besteht das Portfolio aus den fortschrittlichsten Unternehmen einer Branche. Bei beiden Ansätzen ist das Blasenrisiko minim.

Grösser ist es beim dritten Ansatz, der positiven Selektion. Dabei werden innovative Unternehmen ausgesucht, die besonders nachhaltige neue Produkte wie etwa Solarzellen entwickeln. Wir wissen aber, dass bei Start-ups nur 20 bis 50 Prozent der neu gegründeten Unternehmen überleben. Vom Investitionsvolumen her wäre eine Blase im Bereich der Nachhaltigkeit allerdings keine Katastrophe für die Wirtschaft. Die viel grössere Gefahr droht im Immobilienbereich.

In der Schweiz werden aktuell 153 sogenannt nachhaltige Fonds gehandelt, weltweit sind es rund 5000. Herr Hens, kann dieses Investitionsvolumen die Weltwirtschaft beeinträchtigen?

Hens: Schätzungsweise 2 Prozent der globalen Vermögenswerte sind in nachhaltigen Fonds angelegt, rund 75 Prozent aber in Immobilien. Daher besteht dort in der Tat eine viel grössere Gefahr für die Weltwirtschaft. Ich habe bereits vor fünf Jahren vor einer Immobilienblase gewarnt. Im Bereich der Nachhaltigkeit kann man mir vielleicht vorwerfen, ich warne etwas gar früh, weil das Volumen noch gering ist.

Meine Befürchtung ist trotzdem, dass sich viele Anleger die Finger verbrennen und dann das Interesse an nachhaltigen Investitionen gänzlich verlieren werden. Damit ist niemandem gedient. Wir brauchen den aufgeklärten, nachhaltigen Anleger.

Ein weiteres Risiko besteht bei gewissen grünen Innovationen wie der Solarenergie, die stark durch staatliche Subventionen gestützt werden. Insofern ist es unklar, ob sie nachhaltig rentieren. Möglich ist auch, dass das Geschäft zusammenbricht, wenn die Subventionen wegfallen. Subventionen sollten höchstens als zeitlich klar begrenzte Anschubfinanzierung gewährt werden. Der Anleger muss wissen, wie lange der Staat ein Unternehmen subventionieren wird.

Hans-Peter Burkhard: «Gerade in der Wirtschaftswelt
dominiert noch immer das kurzfristige Denken.»

Burkhard: Nötig ist eine Anlageberatung, die eine realistische Risikobeurteilung umfasst. Wir untersuchen am Zentrum für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik, ob nachhaltige Anlagen höhere Renditen aufweisen. Bisherige Arbeiten zeigen, dass man nicht systematisch mit einer höheren Rendite rechnen kann. Das Gegenteil einer systematischen geringeren Rendite ist allerdings auch nicht der Fall.

Wer nachhaltig investiert, kann mit einer vergleichbaren Rendite rechnen. Idealerweise ist diese sogar mit einem tieferen Risiko verbunden, indem nachhaltige Unternehmen seltener Imageschäden erleiden oder wegen Umweltverschmutzung angeklagt werden.

Es scheinen somit längst nicht alle «nachhaltigen» Investitionen risikoreich zu sein?

Hens: Ja, die Blasengefahr besteht bei technologischen Innovationen, bei denen die damit verbundenen Hoffnungen zu phantastisch werden. Blasen entstehen nicht bei Unternehmen, die nachhaltig handeln, indem sie Kinderarbeit abschaffen oder ihren Angestellten faire Löhne zahlen. Solche Unternehmen werden nicht zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 100 gehandelt. In solche Unternehmen zu investieren, ist sehr erwünscht und kann sich auch wirtschaftlich lohnen.

Der Sportartikelhersteller Adidas beispielsweise kam vor einigen Jahren wegen Kinderarbeit in die Schlagzeilen, stellte darauf seine Produktion um und hat jetzt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten.

Burkhard: Insofern möchte ich auch der Ansicht widersprechen, unsere Gesellschaft sei auf einem «Nachhaltigkeits-Trip». Schön wär’s. Aber gerade in der Wirtschaftswelt dominiert noch immer das kurzfristige Denken. Der Quartalsabschluss ist wichtiger als der Jahresabschluss und dieser wichtiger als der Fünfjahresabschluss.

Hens: Da gebe ich Ihnen Recht, Unternehmen handeln selten von sich aus nachhaltig. Wir brauchen einen Wandel vom Shareholder- zum Stakeholder-Value. Shareholder denken kurzfristig, denn sie verkaufen ihre Aktien im Durchschnitt nach elf Monaten wieder. Entsprechend kümmert es sie nicht, was das Unternehmen in zehn Jahren macht.

Wie erkenne ich als Anleger, ob ein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet?

Burkhard: Das Problem ist, dass heute jeder Anbieter selber festlegt, was nachhaltig ist und was nicht. Das erschwert Vergleiche. Nötig wäre ein Rating, das einheitliche Kriterien der Nachhaltigkeit festlegt und damit mehr Transparenz im Markt schafft.

Solche Kriterien zu entwickeln, wäre eine spannende Aufgabe, für welche die Universität Zürich mit dem Institut für schweizerisches Bankwesen und dem Zentrum für nachhaltige Unternehmens- und Wirtschaftspolitik gute Voraussetzungen böte.

Hens: Das ist eine gute Idee. Wir müssen aber zuerst abklären, ob es keine rechtlichen Probleme gibt, wenn eine öffentliche Hochschule ein solches Rating entwickelt, Unternehmen beurteilt und eventuell auch verklagt werden kann, wenn ein Unternehmen etwa mit seiner Einstufung nicht einverstanden ist.

Welches könnten diese Kriterien der Nachhaltigkeit sein?

Hens: Klar ist, dass unsere heutige Wirtschaftsweise nicht mehr lange möglich ist. Wir müssen zu einer Kreislaufwirtschaft übergehen, also mit Ressourcen wirtschaften, die erneuerbar sind. Aus ökonomischer Sicht geht es darum, die externen Effekte wie die Verschmutzung der Umwelt endlich in den Preis eines Produktes einzubauen. Ein Unternehmen ist nachhaltig, wenn diese Kosten enthalten sind und trotzdem noch ein Gewinn realisierbar ist.

Burkhard: Neben der ökologischen Nachhaltigkeit ist die soziale Nachhaltigkeit einzubeziehen. Unternehmen sollten sich gegenüber der Gesellschaft, ihren Mitarbeitenden und Kunden anständig verhalten. Ich denke an die Menschenrechte, den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und faire Löhne.

Zur Nachhaltigkeit gehört aber auch die Wirtschaftlichkeit. Nur Unternehmen, die Gewinne erzielen, sind in der Lage, Investitionen für die Zukunft zu tätigen. Und nur ein wirklich nachhaltiges Unternehmen hat das Potenzial, auch künftig gute wirtschaftliche, soziale und ökologische Leistungen zu erbringen.