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«Trau keinem über 30»

Die Babyboom-Generation kommt ins Rentenalter. Wie sie leben und welche Ansprüche sie an die Gesellschaft haben, diesen Fragen widmete sich der 7. Gerontologietag an der Universität Zürich.
Adrian Ritter

Generationen begegnen sich. Der 7. Gerontologietag beschäftigte sich mit der Frage, wie das Alter der Babyboom-Generation aussehen wird.

«Trau keinem über 30», lautete ein Slogan in den bewegten Zeiten um das Jahr 1968. Es bestanden «extreme Kontraste zwischen den Generationen», blickte Prof. Brigitte Boothe vom Psychologischen Institut der Universität Zürich auf die damalige Situation in Deutschland zurück. Die «unschuldige, unbefleckte Jugend» hielt der älteren Generation die nationalsozialistische Arä vor Augen und fragte nach deren Mitschuld. Und wie gestaltet sich das Verhältnis der Generationen heute? «Die Alten sind jung», könnte das Motto lauten, so Boothe. Die Generationengrenzen vermischen sich, die Kontraste verlieren an Bedeutung.

Angst vor der «Gerontokratie»

Die «Alt-68er» sind dabei nur ein Teil der Babyboomer, jener geburtenstarken Jahrgänge nach dem zweiten Weltkrieg. Heute sind sie selber um die 60 Jahre alt. Welche Ansprüche haben sie an die Gesellschaft, welche Beiträge leisten sie in ihr?

Die Ideen der älteren Menschen stossen nicht unbedingt auf Interesse, beklagte Angeline Fankhauser, Alt-Nationalrätin und Co-Präsidentin der Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz (VASOS). Sie stellt vielmehr eine «Angst vor der Gerontokratie», der Herrschaft der Alten, fest.

«Seltsame Diskussionen» nimmt sie bisweilen in Politik und Medien wahr, indem etwa die Beschränkung der Stimmkraft älterer Menschen gefordert wird. «One man, one vote», hielt sie dem entgegen. Die älteren Menschen seien zwar beispielsweise in Seniorenorganisationen relativ gut organisiert, hätten aber in der Politik ohnehin wenig Gewicht.

Pointierte Referate mit unterschiedlichem politischem Hintergrund: Dr. Thomas Held, Direktor von Avenir Suisse und Angeline Fankhauser, Alt-Nationalrätin und Co-Präsidentin der Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz (VASOS).

Umverteilung wird zunehmen

Das könnte sich ändern, prognostizierte Dr. Thomas Held, Direktor von Avenir Suisse. Im Jahre 2010 werde die Hälfte der Stimmberechtigten über 50 Jahre alt sein, was an der Urne Konsequenzen haben werde, wenn es um die eigenen Renten oder sonstige von älteren Menschen bezogenen Leistungen gehe.

Die «Umverteilung von den Jungen zu den Alten» werde in den nächsten Jahrzehnten ohnehin massiv zunehmen, sagte Held mit Blick auf die Sozialwerke. Dieses Problem wäre zu einem erheblichen Teil lösbar, wenn das willkürliche Pensionsalter von 65 Jahren nach oben verschoben würde.

Sorgen um die wirtschaftliche Produktivität macht sich Held wegen der abnehmenden Innovationskraft unserer Gesellschaft. Es gelte, eine gewisse «Jugendlichkeit» im Sinne von Risikobereitschaft und Kreativität zu erhalten. Die Babyboom-Generation sei aber nicht bereit, sich Risiken auszusetzen, sondern wolle vo ihrem «Kapital» leben können.

Referierte über das Bild älterer Menschen in Werbung und Medien und über die Mediennutzung älterer Menschen: Prof. Heinz Bonfadelli vom Institut für Publizisikwissenschaft und Medienforschung.

Digitale Kluft zwischen den Generationen

Dieses «Kapital» hat die Werbung erstaunlicherweise erst ansatzweise entdeckt, berichtete Prof. Heinz Bonfadelli vom Institut für Publizisik- und Medienforschung an der Universität Zürich. Die Werbung sei nach wie vor auf Jugendliche fixiert oder zeige ältere Menschen eher mit ihren Defiziten denn mit ihren Ressourcen.

Eine wertvolle Ressource für ältere Menschen sieht Bonfadelli im Internet. Mit seinem breiten Informationsangebot wäre es besser geeignet als das eher auf Jugendliche ausgerichtete Fernsehen, die vielfältigen Informationsbedürfnisse älterer Menschen zu befriedigen.

Die älteren Menschen nutzen das Internet allerdings noch eher zögerlich, sei es, weil man den Nutzen nicht sieht, es sich nicht zutraut oder tatsächlich keine Erfahrung mit dem Computer hat. «Den Umgang mit dem Internet zu lernen, wäre allerdings eine geeignete Gelegenheit für junge Menschen, ihr Wissen an ältere Menschen weiterzugeben», so Bonfadelli.

Babyboomer verlangen Mitbestimmung

Sich kompetent fühlen und den Mut zur Mitsprache haben, ist auch in Sachen der Gesundheit von Bedeutung. PD Dr. med. Albert Wettstein, Chefarzt des Stadtärztlichen Dienstes Zürich, betonte das «Empowerment» – die Selbstbefähigung – älterer Menschen in Bezug auf den Umgang mit ihrer Gesundheit.

Selbstbestimmung üben und Entscheidungen nicht alleine dem Arzt überlassen, sei nach wie vor keine Selbstverständlichkeit, betonten mehrere Redner. Die Babyboomer werden verstärkt Mitsprache und Mitentscheidung bei der medizinischen Behandlung verlangen, ist Wettstein überzeugt. Wenn die Ärzteschaft dies nicht unterstütze, werde sie durch die akademisch geschulten Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten überholt werden, denn diese seien bereits in der Tradition des Empowerment sozialisiert worden.

Andreas Blessing (Universität Konstanz) darf als Preisträger des Vontobel-Preises für Altersforschung die Glückwünsche von Rektor Prof. Hans Weder entgegennehmen. Der zweite Preisträger, Dr. med. David J. Kurz (Universität Zürich) konnte an der Preisverleihung nicht anwesend sein.

Auszeichnungen für Altersforschung

Um die Gesundheit älterer Menschen ging es auch bei der Verleihung des diesjährigen Vontobel-Preises für Altersforschung. Der mit 30'000 Franken dotierte Preis ging zu gleichen Teilen an Dr. med. David J. Kurz vom Physiologischen Institut der Universität Zürich und an den Diplompsychologen Andreas Blessing von der Universität Konstanz.

David J. Kurz hat in seiner Arbeit die Hypothese stützen können, dass Mechanismen der biologischen Zell-Alterung (Telomermechanismus) an der Entstehung der degenerativen Aortenklappenverengung beteiligt sind. Die Vontobel-Stiftung ehrt ihn für die hervorragende Verbindung von gerontologischer Grundlagenforschung und klinischer Fragestellung.

Andreas Blessing hat in seiner Arbeit an der Memory Klinik Münsterlingen erforscht, inwiefern bei Demenz-Patienten emotionales Lernen möglich ist. Seine Ergebnisse können zur Weiterentwicklung von Therapien beitragen, indem sie zeigen, dass bei dementen Menschen zwar verbale Inhalte schlecht gespeichert werden, das emotionale Gedächtnis aber unbewusst vieles registriert und die Betroffenen auch emotionale Reaktionen erlernen können.