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Aufforderung zur Kreativität

Die aktive, «konkreative» Beteiligung an der Kreation eines Werkes durch Kinder stand im Mittelpunkt eines Workshops Ende Mai. Die vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Seminar organisierte Veranstaltung beleuchtete die verschiedenen Aspekte dieses neuen Ansatzes.
Gerda Wurzenberger

Keith Haring: Nina's book of little things! Munich, New York 1994

«Mach mit!», unter diesem Titel forderte das Forschungsteam des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien (Judith Mathez, Mela Kocher und Verena Rutschmann) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Seminar der Universität Zürich (namentlich Michael Böhler) eine Reihe von Fachleuten aus dem deutschsprachigen Raum auf, sich an einem Workshop der Frage der «Konkreativität» im grossen Umfeld der Kinder- und Jugendmedien zu widmen. Zur Diskussion stand ein Begriff, der in der Literaturwissenschaft bisher noch kaum Anwendung fand, und der für die Arbeit am Forschungsprojekt «Interaktive Kinder- und Jugendmedien» als literaturwissenschaftliche Kategorie etabliert werden soll.

Von der Praxis herleiten

Interessant erschienen den Initiantinnen neben theoretischen Auseinandersetzungen auch praktische Anwendungsbereiche, bei denen das (kindliche) Publikum an der Kreation eines Werkes mindestens zu einem Teil aktiv beteiligt ist, also «konkreativ» wird: nämlich meist pädagogisch motivierte Erzähl- und/oder Schreibanlässe für Kinder. Entsprechend eröffnete der aus dem Fernsehen bekannte Improvisationszeichner Ted Scapa den Workshop. Es folgten eine Reihe von Praxisberichten, in denen es um gestisch-mündliches Erzählen (Johannes Merkel), um Theaterpädagogik (Mira Sack), um Mitmach-Leseförderungsaktionen einer Kinder- und Jugendbibliothek (Susanne Krüger), um Schreibgruppen und -seminare für Kinder und Erwachsene (Katrin Girgensohn) und um sogenannte «Live Action Rollenspiele» (Arnold H. Bucher) ging.

Friedrich Karl Waechter: Opa Huckes Mitmach-Kabinett. Weinheim, Basel 1976.

Inwiefern Jugendliche gemeinsam kreativ sind, wenn sie sich an Online-«Tagebuchclubs» bzw. Fanseiten von TV-Serien im Internet beteiligen, dieser Frage gingen Imke Benken (Universität Siegen) und Achim Barsch (Universität Frankfurt) nach. Dazu lieferten Ingrid Tomkowiak und Waltraut Bellwald von der Universität Zürich die historische Schweizer Ergänzung: Sie stellten die Bilderbuch-Figur «Globi» als Auslöser für eine enorme kreative Produktion bei Kindern vor. Andrea Bertschi-Kaufmann, Co-Leiterin des Schweizer Nationalfondsprojekts «Lernen im Kontext neuer Medien», beschäftigte sich mit der Frage, welche Schreibprozesse Computerspiele im Rahmen von Lesetagebüchern bei Kindern auslösen – nämlich häufig solche, die Spielanleitungen stärker ähneln als (Nach-) Erzählungen.

CD-Rom und Internet

Damit war der Link zu den neuen Medien gleich mehrfach hergestellt. Ergänzende Details aus dem Alltag des auf Kinder-CD-ROMs spezialisierten deutschen Tivola-Verlags bot dann Stephan Kolloff. Er zeigte unter anderem die Grenzen der Vermarktbarkeit von Spielen auf, die den Anwendern viel «kreative» Freiheit lassen. Martin Auer, österreichischer (Kinderbuch-) Autor und erfahrener Schreibwerkstätten-Leiter, wusste schliesslich von Schwierigkeiten zu berichten, die auftreten, wenn konkreative Erfahrungen aus Schreibwerkstätten aufs Internet übertragen werden.

Was aber ist denn «Konkreativität» genau? Georg Christoph Tholen, Medienwissenschaftler an der Universität Basel, bot in seinen theoretischen Ausführungen eine Definition von interaktiver Kunst als mögliche Hilfe: «Ein interaktives Kunstwerk müsste aus einem Regelsystem bestehen, das nur das Gerüst für die Handlungen des Akteurs und noch keine Inhalte a priori festlegt.» Wie sich im Laufe des Workshops immer deutlicher zeigte, scheinen Menschen (ob Kinder oder Erwachsene) vor allem dann gemeinsam kreativ zu werden, wenn sie eine klare Aufforderung und Anleitung zum Handeln haben. Und eine vertrauenswürdige Person, die ihnen diese Anleitung bietet, die ihnen die Angst, die Scheu nimmt und das Produzierte in geordnete Bahnen – also «Regelsysteme» lenkt.

Screenshot aus der Online-Mitschreibgeschichte «
Abenteuer im Weltraum 2».

Folglich ist das Internet, so wie es heute be- und genutzt wird, nicht die ideale Form für konkreative Prozesse. Diese Erkenntnis ist eines der Resultate des Workshops, der für Judith Mathez und Mela Kocher auch noch eine Reihe von weiteren Klärungen gebracht hat. Darunter die Bestätigung, mit dem Begriff «Konkreativität» richtig zu liegen, wurde er doch von den eingeladenen Referentinnen und Referenten zwar nicht ganz einheitlich, aber doch völlig selbstverständlich angewandt und hat zur neuen Sicht auf die verschiedenen Künste angeregt. Die Aufforderung zum Nachdenken über Konkreativität hat seine konkreative Wirkung voll entfaltet