Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Altertumswissenschaften

Aktuelle Antike

Mit einem brillanten Vortrag des Ägyptologen Jan Assmann startete diese Woche die öffentliche Ringvorlesung zum Thema «Migration im Spiegel der Antike». Zugleich wurde das 2018 gegründete ZAZH – Zentrum für Altertumswissenschaften Zürich eröffnet.
David Werner
Auszug aus Ägypten: Moses spaltet mit seinem Stab die Wellen des Roten Meeres. Miniatur aus dem «Hortus Deliciarum» der Herrad von Landsberg, um 1180. (Bild: Wikimedia)

 

Das Publikum kam in Scharen, und der für die Eröffnung des Zentrums für Altertumswissenschaften Zürich vorgesehene Hörsaal erwies sich rasch als viel zu klein. Kurzfristig wurde umdisponiert, und so zogen mehrere hundert Besucherinnen und Besucher von der Rämistrasse 69 ins Hauptgebäude der UZH um. Das war kein unpassender Auftakt zu einer Ringvorlesung, die dem Thema «Migration» gewidmet ist.

Der international bekannte und renommierte Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann beschäftigte sich in seinem Eröffnungsvortrag mit einer der ältesten und zugleich wirkmächtigsten Geschichten der Menschheit, dem biblischen Exodus. Sie handelt davon, wie Gott das Volk Israel aus Ägypten führt und aus der Sklaverei befreit. Zugleich setzt sie eine folgenreiche geistige Revolution in Szene: die Begründung des Monotheismus.

Respekt statt Rache

Assmann verfolgte die Spuren der biblischen Exodus-Erzählung zurück bis ins Alte Ägypten und nach vorne bis in unsere Gegenwart mit ihren Migrationsdebatten und Identitätskonflikten.

Die Erzählung vom Auszug ins gelobte Land, so der Ägyptologe, sei über weite Strecken die Darstellung eines Kulturkonflikts zwischen Ägypten und dem Volk Israel. «Das Grossartige an der Tora ist, dass sie diesen Konflikt nicht in Triumph und Rache, sondern in einen beispiellosen Lernprozess münden lässt», sagte er. Die Tora definiere Israel als eine sich erinnernde und daher empathische Gesellschaft. «Aus der Erfahrung der Verknechtung in Ägypten leitet sie das Gebot ab, Fremden und Schwachen mit Respekt zu begegnen.»

Nie erreichtes Ende

Assmann verglich den Mythos vom Auszug aus Ägypten mit anderen geschichtlich prägenden Erzählungen, zum Beispiel mit dem Gründungsnarrativ der EU, das von der Versöhnung einstiger Todfeinde handelt.

Was die biblische Erzählung vom Exodus so wirkmächtig mache, sagte er, sei die Spannung zwischen der Erwartung, die sie wecke, und der nie ganz realisierten Einlösung dieser Erwartung. Die Erzähllogik vom Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft fordere eigentlich eine endgültige Ankunft – aber dazu komme es in der Bibel nie. «Die Pointe der Tora», so Assmann, «ist das nie erreichte Ende. Immer wieder gilt es aus- und einzuziehen.» 

 

Der Ägyptologe Jan Assmann (Universität Konstanz) und der Gräzist Christoph Riedweg (UZH) bei der Eröffnung des Zentrums für Altertumswissenschaften Zürich. (Bild: David Werner)

Flucht übers Meer

Die wundersame Flucht des Volkes Israel durchs Rote Meer bildet einen der dramatischen Höhepunkte der Exodus-Erzählung. Mose, so wird erzählt, teilte mit seinem Stab die Wellen des Meeres und ermöglichte so seinem Volk, den Soldaten des Pharao zu entkommen.

Heute versuchen Flüchtende aus Afrika und dem Nahen Osten übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Europa selbst ist sich uneins, wie es sich dazu verhalten soll. Die europäische Identität steht neu zur Debatte, und fast zwangsläufig wird dabei auf geschichtliche Erfahrungen zurückgegriffen. Die Antike «als Wiege der abendländischen Kultur» spielt dabei immer wieder eine Rolle. Der warnende Hinweis auf den Untergang des Römischen Reichs unter dem Ansturm der Barbaren sei schnell – oft zu schnell – zur Hand, sagte Gräzistik-Professor Christoph Riedweg. Er stellte zu Beginn der Veranstaltung das neue Zentrum für Altertumswissenschaften Zürich vor.

Antike als Spiegel

Riedweg sprach von einer geradezu «unheimlichen Aktualität der Antike». Als unser «nächstes Fremdes» diene die Antike in einer Zeit massiver Umbrüche als wichtiger Orientierungspunkt. Damit wachse aber die Gefahr einer Instrumentalisierung der Geschichte.

Ein wichtiges Ziel des Kompetenzzentrums sei es deshalb, die öffentliche Debatte aus wissenschaftlicher Warte zu begleiten. «Durch das Abwägen von Ähnlichkeiten und Differenzen lässt sich im Spiegel der Antike Orientierungswissen für die Gegenwart gewinnen», sagte Riedweg. 

Meilenstein in der Geschichte der UZH

Vize-Rektorin Gabriele Siegert hob an der Eröffnungsfeier die bedeutende Rolle der Altertumswissenschaften für die UZH hervor. Sie verwies dabei unter anderem auf den Altphilologen Johann Caspar von Orelli, einem der geistigen Väter der UZH. Die Gründung des neuen Kompetenzzentrums für Altertumswissenschaften sei ein «Meilenstein» in der Geschichte der UZH und werde dazu beitragen, dass die zahlreichen daran beteiligten Disziplinen – darunter Geschichte, Altphilologie, Theologie, Rechtswissenschaft, Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Indogermanische Sprachwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Asien- und Orientwissenschaften – ihr Potential noch besser entfalten können, sagte sie.

Das ZAZH wird die Aktivitäten in Forschung und Lehre zum Altertum über die Fakultätsgrenzen hinweg institutionell zu bündeln und die Stellung der UZH als Forschungs-Hub für das mediterrane Altertum international stärken. Ein erstes sichtbares Ergebnis der Zusammenarbeit ist die öffentliche Ringvorlesung zur Migration im Spiegel der Antike.

Andreas Victor Walser, Assistenzprofessor für Geschichte der Alten Kulturen, stellte das Programm der Ringvorlesungvor. Den Kerngedanken der Veranstaltung formulierte er wie folgt: «Wir wollen die Antike in ihrer Eigenart genau betrachten – und erst dann Parallelen zur Gegenwart ziehen.»