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Goldene Brücke für die Wissenschaft

Studium, Journalismus, ehrenamtliches Engagement unter einen Hut bringt Tausendsassa Servan Grüninger. «Vermitteln statt predigen» lautet sein Credo.
Thomas Gull

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Portraitfoto von Servan Grüninger
«Anpacken, Machen und Dranbleiben»: So bringt Servan Grüninger seine vielfältigen Tätigkeiten und Verpflichtungen unter einen Hut.

 

Da sitzt er mir also gegenüber, Servan Luciano Grüninger – adrett gekleidet, mit Schnurrbart und gepflegter Glatze. Wir treffen uns im Restaurant Atrio im Hauptbahnhof Zürich. Grüninger ist auf der Durchreise: Er kommt aus dem Tessin, wo er eine Sommerakademie der Schweizerischen Studienstiftung zum Thema Big Data leitet, und ist auf dem Weg nach Thun, um beim «Wunsch-Schloss» vor Unternehmerinnen und Politikern seine Idee einer «Expertenkonkordanz» vorzustellen. 

Bei einer Pizza unterhalten wir uns über sein vielfältiges Tun – der 26-Jährige jongliert mit Studium, Journalismus und ehrenamtlichem Engagement, dass einem schwindlig wird: Nach dem Master in Biostatistik an der UZH ist er dabei, sein -zweites Masterstudium in Computerwissenschaften an der EPFL Lausanne abzuschliessen; er ist Präsident von Science Alumni der UZH und Vorstandsmitglied von UZH Alumni; daneben schreibt er freischaffend für die NZZ und die «NZZ am Sonntag» und ist Gründer und Präsident von Reatch, der «Grassroots-Ideenschmiede für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft». Ach ja, und er politisiert auch noch in der CVP. Nach seinem Umzug nach Biel mit seiner Verlobten aber nur noch als «einfaches Mitglied».

Anpacken und Dranbleiben

Bei so viel wirbligem Aktivismus stellt sich die Frage: Wie bringt er das alles unter einen Hut? Grüningers Antwort: «Ein bisschen Planung, aber hauptsächlich läuft’s auf Anpacken, Machen und Dranbleiben hinaus.» Der junge Wissenschaftler ist ein Tausendsassa, getragen, so scheint es, von einem starken Glauben in die eigenen Fähigkeiten und die Machbarkeit der Dinge. Der die Ärmel hochkrempelt und sich an die Arbeit macht, wie jetzt gerade, als die Pizza serviert wird. Zum Essen kommt er kaum, zu viel gibt es zu erzählen. In seinem Lebenslauf bezeichnet sich Grüninger kurz und bündig als «Bourgeois im Auftreten, Geek im Herzen, Wissenschaftler durch und durch, aber mit einer Schwäche für Feyerabend». Gänzlich unprätentiös also die Selbstdarstellung, wobei das Wort «Geek» vieldeutig schillert: Ist er ein «Streber», ein «Fachidiot» oder ein «Langweiler», wie das Wörterbuch vorschlägt? «Für mich ist ein Geek jemand, der ein übertriebenes Interesse für ein Nischenthema besitzt – und damit allen auf die Nerven geht», sagt Grüninger.

Schwäche für Feyerabend

Und was bedeutet die Schwäche für den streitbaren österreichischen Wissenschaftsphilosophen Paul Feyerabend, der als Verfechter des «wissenschaftstheoretischen Anarchismus» gilt? Das sei einerseits eine ironische Provokation an all jene, die Feyerabend nie gelesen haben, aber ständig sein ironisch gemeintes «Anything goes» aus dem Hut zauberten, erklärt Grüninger, andererseits halte er Feyerabends wissenschaftsphilosophischen Arbeiten für «hoch spannend». 

Grüningers schillernde Selbstbeschreibung kreist um die geerdete Aussage «Wissenschaftler durch und durch». Die Wissenschaft ist die Basis für Grüningers Denken und Handeln. Darauf basiert auch die Grassroots-Ideenschmiede Reatch, die er 2014 gemeinsam mit zehn Gleichgesinnten gegründet hat. Reatch soll zwischen Wissenschaft und Gesellschaft vermitteln. «Wir wollen goldene Brücken bauen für die Wissenschaft», erklärt Grüninger. Reatch sieht sich dabei aber nicht als Lobbyorganisation, sondern als Plattform, die wissenschaftliche Fakten und Werthaltungen thematisiert. «Wir wollen nicht predigen, sondern unterschiedliche Positionen aufzeigen.» Welche Themen von Reatch aufgegriffen werden, entscheiden die Mitglieder. Jeder und jede kann ein Thema einbringen und dieses auch betreuen, wenn er oder sie über das entsprechende Rüstzeug verfügt. 

Griff in den Kaninchenbau

Aufbereitet werden die Themen in verschiedenen Formaten – Reatch unterhält einen Blog; Reatch organisiert unter dem Titel «Reatching into the Rabbithole» Workshops, bei denen Szenarien für neue Entwicklungen in der Wissenschaft diskutiert werden wie etwa maschinelles Lernen; am Stammtisch «FakTisch» wird faktenbasiert diskutiert; an Podien und Referaten kommen kontroverse Themen wie Tierversuche oder Gentechnik aufs Tapet; und Reatch erarbeitet Grundlagenwissen, das der Politik zu Verfügung gestellt werden soll. Vor drei Jahren gegründet, «fliegt» Reatch mittlerweile, mit mehr als 170 Mitgliedern und Regiogruppen in Bern, Zürich und Basel. Eine professionelle Geschäftsleitung soll bald den ehrenamtlichen Vorstand entlasten. Servan Grüninger will als Präsident «noch ein paar Jahre dabeibleiben». 

Und die eigene Karriere – Wissenschaft oder anderswo? Zuerst muss er den zweiten Master abschliessen. Danach vielleicht einen PhD auf dem Gebiet der Datenanalyse oder Epidemiologie oder Wissenschaftstheorie. Wer so vielseitig ist, dem stehen viele Wege offen. Allenfalls auch ausserhalb der Akademie, etwa als Risikomodellierer bei Versicherungen oder im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Klar ist für Grüninger: Nur etwas zu machen ist zu wenig interessant und herausfordernd. «Es macht mich zum besseren Wissenschaftler, wenn ich noch etwas anderes tue, als jeden Tag während zehn Stunden rein akademische Fragen zu wälzen.»

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