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Biomedizinische Weltraumforschung

Gefährliche Leichtigkeit des Seins

In der Schwerelosigkeit spielt unser Immunsystem verrückt. Der Mediziner und Zellbiologe Oliver Ullrich untersucht, weshalb und ob Immunzellen sich anpassen könnten. Dafür geht er auch in die Luft.
Susanne Haller-Brem
Forschen ohne Schwerkraft: Oliver Ullrich während eines Parabelflugs mit einem Airbus A300 ZERO G.

Seit den ersten Apollo-Missionen in den 1970er- Jahren ist bekannt, dass Astronauten bei längeren Aufenthalten im All verstärkt unter Atemwegserkrankungen, Harnwegsinfektionen, Hautpilzen, schwer heilenden Wunden und aufflammenden Viruserkrankungen im Nervensystem leiden.

Offenbar ist die Immunabwehr im Weltraum geschwächt. Auch der Knochenstoffwechsel funktioniert in der Schwerelosigkeit nicht mehr richtig. Dies wurde der breiten Öffentlichkeit jedoch kaum bewusst, denn Krankheiten vertragen sich schlecht mit dem Image von durchtrainierten Helden.

Inzwischen ist die bemannte Raumfahrt in eine neue Ära getreten. Künftig werden Astronauten nicht mehr nur wenige Wochen, sondern Monate und Jahre in der Schwerelosigkeit leben und arbeiten. «Doch erdferne Missionen wie zum Beispiel ein Flug auf den Mars sind kaum denkbar, ohne dass wir wissen, ob und wie sich menschliche Immunzellen an die Schwerelosigkeit im All anpassen können», sagt Oliver Ullrich, Professor am Anatomischen Institut der Universität Zürich und Honorarprofessor für Weltraumbiotechnologie in Magdeburg.

Fatale Folgen für das Gehirn

Oliver Ullrich schätzt, dass bei Langzeitflügen im All die grösste Gefahr für das Gehirn besteht. Denn hier ist eine fein regulierte und kontrollierte Immunüberwachung lebenswichtig. Normalerweise haben wir in unserem Nervensystem eine Reihe von Viren, die vom Immunsystem gut unter Kontrolle gehalten werden. In der Schwerelosigkeit erwachen diese Viren aufgrund des gestörten Immunsystems zu neuer Aktivität, was schnell lebensbedrohliche Folgen haben kann.

«Technologisch sind wir im Zeitalter der Raumfahrt, die biomedizinische Weltraumforschung steckt aber eher noch in der Steinzeit», bemerkt Ullrich lachend. Damit sich das möglichst schnell ändert, nutzt der 41-Jährige das ganze Repertoire an Forschungsmöglichkeiten. Modelle von Flugzeugen, Forschungsraketen und der Internationalen Raumstation (ISS) in seinem Büro sowie Fotos von Crews in blauen Overalls und von eindrücklichen Raketenstarts machen klar, dass diese Forschung unter aussergewöhnlichen Bedingungen stattfindet.

Im freien Fall

Forschung in Schwerelosigkeit und unter Weltraumbedingungen ist nur beschränkt möglich, aufwendig und enorm teuer. Dank so genannten Parabelflügen mit einem Airbus A300 ZERO G können Ullrich und sein Team relativ regelmässig in der Schwerelosigkeit experimentieren.

Solche Flüge sind die einzige Alternative zu teuren Experimenten auf Forschungsraketen oder auf der ISS, für die es wegen der beschränkten Kapazitäten jahrelange Vorbereitungszeiten braucht. Durch wiederholte Flugmanöver mit extremen Steig- und Sturzflügen wird bei jeder Parabel jeweils für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt. «Während dieser Zeit können wir an Bord in unserem fliegenden Zellkulturlabor untersuchen, wie die Immunzellen auf die Schwerelosigkeit reagieren», erzählt Oliver Ullrich.

40 Sekunden Schwerelosigkeit: Parabelflüge mit einem Tiger-Kampfjet der Schweizer Luftwaffe machen dies möglich.

Forschen mit dem Tiger

Schnelle und wiederholbare Versuchsabläufe, wie sie in der biomedizinischen Forschung üblich sind, lassen sich auch mit dem A300 ZERO G nicht realisieren. Um dem abzuhelfen, haben die Universität Zürich und die Schweizer Luftwaffe vor zwei Jahren ein weltweit einzigartiges Forschungsvorhaben in der Raumfahrtmedizin gestartet.

Im Rahmen regulärer militärischer Übungsflüge wird mit einem Tiger-Kampfjet ein Parabelflug geflogen und so rund 40 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt. Während des Parabelflugs führt eine im Tiger installierte Versuchsapparatur Experimente mit menschlichen Immunzellen vollautomatisch durch.

Aus den Parabelflug-Experimenten wissen die Zürcher Forscher und Forscherinnen, dass die verschiedenen Zelltypen des Immunsystems ganz unterschiedlich auf den Wegfall der Schwerkraft reagieren. T-Lymphozyten zum Beispiel verlieren ihre Aktivität in der Schwerelosigkeit fast vollständig, während Makrophagen – die Fresszellen des Immunsystems, die Eindringlinge unschädlich machen – ohne Anlass überreagieren. Auch ändert sich in der Schwerelosigkeit die Aktivität bestimmter Gene. All diese Reaktionen beginnen innerhalb weniger Sekunden.

Medikamente möglich?

Ob die Veränderungen in den Immunzellen nur kurzfristig sind oder länger andauern, werden die Auswertungen der im letzten Jahr durchgeführten Versuche an Bord der Forschungsraketenmission «Texus-49» des DRL und der chinesisch-deutschen Weltraummission «Shenzhou-8» zeigen.

Diese Daten aus fünf Minuten respektive rund zwei Wochen Schwerelosigkeit sind eine wichtige Basis für Experimente, die in den nächsten fünf Jahren auf der ISS unter Leitung von Oliver Ullrich durchgeführt werden. Das internationale Forschungsvorhaben wurde letztes Jahr in einem strengen Verfahren ausgewählt.

Fünf hochkarätige Forscherteams aus der Schweiz, den USA, Russland und Deutschland werden untersuchen, ob und wie sich menschliche Zellen an veränderte Schwerkraftbedingungen anpassen können. Erforscht wird auch, ob diese Anpassung mit Medikamenten verbessert oder vielleicht überhaupt erst ermöglicht werden kann. Laut Ullrich haben Eingriffe mit Medikamenten nur dann eine Chance, wenn es gelingt, den molekularen «Auslöser» der Schwerkraftwahrnehmung in der Zelle zu finden.

Jenseits der Erde überleben

Wenn die Forscher und Forscherinnen nun untersuchen, ob menschliche Zellen nur in der Schwerkraft funktionieren können oder allenfalls in der Lage sind, sich an veränderte Schwerkraftbedingungen anzupassen, geht es auch um grundlegende Fragen des Lebens. Mit diesen Erkenntnissen lässt sich erst abschätzen, ob der Mensch überhaupt je in der Lage sein wird, für längere Zeit ausserhalb seines Heimatplaneten zu überleben. «Raumfahrt wird aber immer ein Risiko bleiben und viel Mut erfordern», ist Ullrich überzeugt. Wahrscheinlich macht genau das auch einen Teil der Faszination aus.