Wenn das Gaspedal klemmt
Der Andrang war gross an diesem Montagabend im Restaurant UniTurm der Universität Zürich. Der «Talk im Turm» – eine Podiumsreihe, die Wissenschaft nahbar und aktuell präsentiert – hat längst eine treue Anhängerschaft unter UZH-Alumni und interessierten Gästen. Diesmal ging es um ein Thema, das kaum jemanden kaltlässt: Stress – und die Frage, wie man mit ihm umgeht, ohne sich aufzureiben.
Die Moderatoren Roger Nickl und Thomas Gull, Redaktoren des UZH Magazins, hatten zwei Gäste eingeladen, die das Thema aus unterschiedlichen, aber komplementären Blickwinkeln erforschen: Birgit Kleim, Professorin für Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie, und Christian Ruff, Professor für Neuroökonomie und Entscheidungsforschung. Beide erforschen an der UZH Stress und Resilienz – und sie sind auch privat ein Team. «Kinder und Familie sind zwar manchmal Stress pur», scherzte Ruff, «aber auch ein ideales Resilienz-Training.»
Ständig auf Hochtouren
Stress gehört zum Leben, so viel ist klar. Doch was passiert eigentlich, wenn wir gestresst sind? Aus wissenschaftlicher Sicht, erklärte Ruff, sei Stress eine Anpassungsleistung von Körper und Psyche an aktuelle Anforderungen. «Er ist quasi das Gaspedal unseres Systems.» Kurzfristig hilft er uns, Leistungen zu erbringen – man spricht dann von Eustress, also von positivem Stress. Problematisch wird es erst, wenn das Gaspedal klemmt, wenn der Körper ständig auf Hochtouren läuft und nicht mehr herunterfährt. Dann wird Stress chronisch.
Die Zahlen zeigen, wie verbreitet das Problem ist: Laut dem diesjährigen Sanitas Health Forecast fühlen sich rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung häufig oder sehr häufig gestresst, bei Jugendlichen liegt der Anteil sogar noch höher.
Der Körper im Alarmzustand
Unter Stress schaltet der Körper in den Alarmmodus: Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, die Pupillen weiten sich, das Stresshormon Cortisol wird ausgeschüttet. Fehlen die Erholungsphasen, kann dieser Zustand krank machen – Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Erschöpfungssyndrome sind mögliche Folgen. «Menschen, die dauerhaft unter Druck stehen, verlieren oft den Blick für das Schöne im Leben», sagte Ruff. «Sie funktionieren – aber sie spüren sich selbst nicht mehr.»
Interessant ist, dass sich Stress nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv messen lässt – etwa über die Pupillengrösse. «Denn über die Veränderungen der Pupillen, die mehr oder weniger gross sein können, lässt sich von aussen erkennen, wie stark das Erregungssystem in unserem Hirn aktiviert ist», erklärte Kleim. Diese Erkenntnis aus dem Labor eröffnet nicht nur Einblicke in die Stressresilienz einer Person, noch bevor eine Krise überhaupt eintritt, sondern auch neue Perspektiven für praktische Anwendungen.
So nutzen die Forschenden die Pupillenreaktion für ein innovatives Neurofeedback-Training, bei dem Teilnehmende lernen, ihr eigenes Stress-Erregungssystem gezielt zu regulieren und so das Gleichgewicht zwischen Aktivierung und Ruhe selbst zu steuern. «Das stärkt die Selbstwirksamkeit und kann langfristig die Widerstandskraft gegenüber Stress verbessern», sagte Kleim.
Was uns stark macht
Doch warum kommen manche Menschen mit Stress besser zurecht als andere? Hier kommt das Stichwort Resilienz ins Spiel – die psychische Widerstandskraft, die uns hilft, Krisen zu überstehen, ohne daran zu zerbrechen. «Es gibt kein Resilienz-Gen», betonte Kleim. «Entscheidend ist eine gewisse Flexibilität – also die Fähigkeit, sich wechselnden Anforderungen anzupassen.» Resiliente Menschen verfügen über ein breites Repertoire an Bewältigungsstrategien. Sie können je nach Situation umschalten, sich zurücknehmen oder aktiv werden.
Auch das Gehirn spielt dabei mit: Ein flexibles Regulationssystem, das Stressreaktionen ein- und wieder ausschalten kann, begünstigt Resilienz. Training und Biofeedback-Verfahren – etwa jene, die auf der Pupillenreaktion basieren – können diese Anpassungsfähigkeit fördern. Solche Methoden werden bereits im Leistungssport oder in stressreichen Berufen wie der Medizin eingesetzt.
Vom Umfeld getragen
Resilienz ist jedoch keine rein individuelle Eigenschaft. Sie wächst auch aus Beziehungen und sozialem Rückhalt. Freundschaften, Familie, Kolleginnen und Kollegen – sie alle können helfen, Belastungen abzufedern. «Selbst ein Glas Wein am Wochenende in geselliger Runde kann, im richtigen Mass, zur Resilienz beitragen», sagte Ruff mit einem Augenzwinkern. Entscheidend sei, dass solche Rituale helfen, Abstand zu gewinnen.
Therapeutisch, erklärte Kleim, gehe es vor allem darum, Flexibilität zu fördern – im Denken und im Handeln. Neue Perspektiven einzunehmen, alternative Deutungen zuzulassen oder einfach mal etwas Neues auszuprobieren, könne erstaunlich entlastend wirken. «Das stärkt die psychische Beweglichkeit – und damit auch die Widerstandskraft.»
Am Ende des Abends nahmen die Besucherinnen und Besucher eine einfache, aber tröstliche Botschaft mit: Stress ist unvermeidlich – aber er muss uns nicht beherrschen. Wer auf ausreichend Schlaf, Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte achtet, legt das Fundament für Resilienz. Und wer lernt, die eigenen Warnsignale zu erkennen, kann rechtzeitig gegensteuern. Oder, wie Kleim es formulierte: «Resilienz ist kein Zustand – sie ist ein Prozess. Wir können sie jeden Tag ein Stück trainieren.»