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Studium und Lehre

«Auf die innere Stimme hören»

Was macht ein gutes Studium aus? Darüber diskutieren UZH-Dozierende und Studierende am Tag der Lehre am 1. November. Zur Einstimmung darauf erklärt Lehrpreisträger Marc Thommen im Interview, wie er den Dialog im Unterricht fördert und warum Neugier und Begeisterung die besten Wegweiser durchs Studium sind.
Interview: David Werner

Rechtsprofessor Marc Thommen im Video-Porträt zu seiner Auszeichnung mit dem Lehrpreis 2024.

Herr Thommen, Studierende müssen viele Entscheidungen treffen im Lauf ihres Studiums. Woran sollen sie sich dabei halten?
Marc Thommen: Ich bin überzeugt, dass Studierende am meisten von ihrem Studium profitieren, wenn sie auf ihre innere Stimme hören und sich von ihrer Faszination und ihrer Neugier leiten lassen.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Dozent?
Ich versuche in meinen Vorlesungen und Seminaren, die Begeisterung für die kritische und produktive Auseinandersetzung mit dem Stoff zu wecken.

Wie gehen Sie dabei vor?
Ich zeige den Studierenden, was es bedeutet, Dingen auf den Grund zu gehen und sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ich beziehe die Studierenden in die Diskussion ein, verwickle sie in einen Dialog.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Vor einigen Jahren hat das Bundesgericht entschieden, dass Nacktwandern eine Straftat sei. Man kann das einfach hinnehmen und auswendig lernen. Spannend wird es aber erst, wenn man weiterdenkt und diskutiert, ob das auch anders oder vernünftiger hätte gelöst werden können und ob ein Verstoss gegen Sitte und Anstand überhaupt eine Straftat sein kann. Das Hinterfragen einzuüben ist mir wichtig. Dazu muss ich den Studierenden Raum geben, um sich in den Lehrveranstaltungen zu äussern.

Wie haben Sie selbst studiert? Haben Sie damals Ihre Interessen auch in den Vordergrund gestellt?
Als Studienanfänger schien mir eine berufliche Zukunft als Wirtschaftsanwalt, Unternehmensberater oder Aktienrechts-Spezialist vorgezeichnet. Nach einiger Zeit merkte ich, dass mich Bereiche des Rechts faszinieren, von denen ich zuvor keinen Schimmer gehabt hatte – Rechtsphilosophie und Strafrecht zum Beispiel. Zunächst schwankte ich, ob ich mich auf diese Themen einlassen oder pragmatisch auf meine Berufspläne hinarbeiten sollte. Die inspirierenden Vorlesungen meines Strafrechtsprofessors gaben schliesslich den Ausschlag, dass ich mich von meinen Interessen und meiner Faszination leiten liess.
 

Erfahrungen, die Studierende in einzelnen Lehrveranstaltungen machen, prägen ihre Haltung gegenüber dem gesamten Studium.

Marc Thommen

Der diesjährige «Tag der Lehre» an der UZH steht unter dem Motto «Shaping Student Journeys». Wie unterstützen Sie als Dozent Studierende dabei, das Beste aus Ihrer Studienzeit zu machen?
Individuell kann ich nur jene Studierenden beraten, die schon in einer fortgeschrittenen Phase sind und bei mir grössere Arbeiten schreiben. Erst- und Zweitsemestrige begegnen mir vor allem in Einführungsvorlesungen mit vier- bis sechshundert Teilnehmenden. So viele Studierende kann ich nicht einzeln bei der Hand nehmen und durchs Studium führen. Ich will ihnen auch nicht wie von der Kanzel herab predigen, wie sie studieren sollen. Aber ich glaube, dass die Art und Weise, wie wir Dozierenden unsere Lehrveranstaltungen durchführen, einen Einfluss darauf hat, wie Studierende ihr Studium angehen.

Wie meinen Sie das genau?
Erfahrungen, die Studierende in einzelnen Lehrveranstaltungen machen, prägen ihre Haltung gegenüber dem gesamten Studium. Monologischer Unterricht drängt Studierende in eine passive Rolle. Wer dagegen einmal positive Erfahrungen mit der aktiven Beteiligung an einer Vorlesung gemacht hat, wird sich ermuntert fühlen, sich auch in andere Vorlesungen oder Übungen aktiv einzubringen. Schliesslich können solche positiven Erfahrungen dazu beitragen, dass Studierende generell mit mehr Selbstvertrauen durchs Studium gehen und Gestaltungsspielräume eigenverantwortlich nutzen.

Sie möchten also nicht nur Wissen möglichst attraktiv und eingängig vermitteln?
Das selbstverständlich auch. Aber Lehrveranstaltungen sind nicht nur dazu da, Wissen in die Köpfe der Studierenden zu verfrachten.

Welche Kompetenzen fördern Sie mit ihren dialogischen Vorlesungen?
Dialogisch gestaltete Vorlesungen fördern eigenständiges, kritischen Denken und kommunikative Fähigkeiten. Im Zeitalter der digitalen Transformation muss man in der Lage sein, Dinge in grössere Zusammenhänge einzuordnen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu reflektieren. Reproduktive Fähigkeiten wie das Speichern und Wiedergeben von Wissen verlieren dagegen an Bedeutung. KI-Bots können heute Aufgaben wie zum Beispiel das Entwerfen eines Mietvertrags oder das Verfassen eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl schneller und besser erledigen als Menschen. Von gut ausgebildeten juristischen Fachleuten wird man erwarten, dass sie Sachverhalte kritisch analysieren, begründete Urteile fällen, klar argumentieren und kreative Lösungen aushandeln können.

Freude an der Sache ist die Grundlage für intrinsische Motivation.

Marc Thommen

Das erste Jahr im Jus-Studium gilt als besonders anspruchsvoll. Wie unterstützen Sie Studierende in der Startphase?
Ich versuche, in den Einführungsvorlesungen eine positive Stimmung zu erzeugen und so das Durchhaltevermögen der Studierenden in dieser stressreichen Phase zu stärken. Ich zeige ihnen, wie aufregend es ist und wieviel Spass es machen kann, sich in schwierige Fragen zu vertiefen. Viele Herausforderungen lassen sich einfacher meistern, wenn man sie mit Lockerheit und Humor angeht. Freude an der Sache ist die Grundlage für intrinsische Motivation.

Inwiefern haben Sie als Dozent eine Vorbildrolle?
Studierende haben ein untrügliches Gespür dafür, ob Dozierende wirklich für ihr Fach und die Lehre brennen oder nur ihr Pflichtprogramm abspulen. Ich kann die Studierenden nur dann bei ihrer intrinsischen Motivation packen, wenn ich selbst motiviert bin und das auch authentisch rüberbringe. Es wäre fatal, in einen Trott zu verfallen, deshalb probiere ich im Unterricht immer wieder Neues aus.

Wie gelingt es Ihnen in Grossveranstaltungen mit bis zu sechshundert Studierenden, dem Dialog und der aktiven Beteiligung Raum zu geben?
Ich lege viel Wert auf eine angstfreie Atmosphäre. Ich mache den Studierenden immer wieder klar, dass es mir weniger um «richtig» oder «falsch», sondern um die kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen und Argumenten geht. Auch spielerische Hilfsmittel senken die Schwelle, sich zu beteiligen. Spielerische Elemente wie zum Beispiel «Carl», unser Schaumstoffwürfel mit Mikrofon, den wir uns im Hörsaal gegenseitig zuwerfen, bringen Dynamik ins Gespräch. Zudem setze ich auf Abwechslung bei den Unterrichtsmitteln, da nicht alle Studierenden Informationen auf dieselbe Weise verarbeiten. Manche lernen besser durch Lesen und Schreiben, anderen durch Hören, wieder andere durch Bilder oder Filme.

Als Professor kann ich nirgendwo eine grössere Wirkung generieren als in der Lehre.

Marc Thommen

Wieviel Aufwand erfordert es, die Lehre so abwechslungsreich zu gestalten?
Sehr viel.

Lohnt sich der Aufwand?
Auf jeden Fall. Als Professor kann ich nirgendwo eine grössere Wirkung generieren als in der Lehre.

Profitieren auch Sie selbst davon, wenn Sie viel Zeit und Energie in die Lehre investieren?
Ja, natürlich! Ich empfinde es als Privileg, mit begeisterungsfähigen jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Die meisten Studierenden sind sehr einsatzbereit und wollen das Beste aus ihrem Studium machen. Das Vorurteil, heutige Studierende seien minimalistische Punktesammler, stimmt einfach nicht. Und noch ein weiterer Vorteil: Ich habe nie Probleme, talentierte Nachwuchskräfte als Mitarbeitende zu gewinnen. 

Welche methodischen Ansätze würden Sie anderen Dozierenden besonders empfehlen?
Ich rate anderen Dozierenden nichts. Ich bin neugierig darauf, welche Unterrichtsmittel sie in ihren Lehrveranstaltungen einsetzen. Es ist unglaublich, wie viele Möglichkeiten es gibt, die Lehre abwechslungsreich zu gestalten. Ein Kollege spielt vor jeder Vorlesung Musik ab, um die Stimmung zu heben. Ein anderer lässt Studierende in Quiz-Battles mit Klingel und Tröte paarweise gegeneinander antreten. Eine Kollegin kocht sogar mit ihren Studierenden. Der kollegiale Austausch ist für mich eine unverzichtbare Inspirationsquelle.