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Big Data

Kampfansage an die Datenkraken

Google und Facebook verkaufen unsere persönlichen Daten und machen damit Milliardengewinne. Diese müssten sie mit uns teilen, finden der Ökonom Gregory Crawford und der Philosoph Francis Cheneval. Und wir sollten ein Recht auf unsere Daten haben.
Thomas Gull
«Es gibt Daten, auf die Google keinen Zugriff haben darf. Und es gibt solche, die nicht miteinander kombiniert werden dürfen», sagt UZH-Ökonom Gregory Crawford. (Bild: istock/dem10)

 

Gregory Crawford macht gleich zu Beginn unseres Gesprächs klar, wo er steht: «Ich mochte Google, bevor ich angefangen habe, mich professionell mit der Firma zu beschäftigen.» Heute gehört der Wettbewerbsökonom zu den schärfsten Kritikern der Geschäftspraktiken des amerikanischen Internetkonzerns, die er seit Jahren verfolgt und kommentiert.

Oft arbeitet er dabei mit Cristina Caffara zusammen, eine der Granden der Wettbewerbsökonomie. Gregory Crawford hat die Geschäftspraktiken des grössten Internet-Unternehmens der Welt mit einem Marktwert von knapp zwei Billionen US-Dollar (2021) analysiert. Seine Bilanz: Google und andere grosse Datenfirmen wie Facebook machen Milliardengewinne, indem sie andere übervorteilen. Zuerst und vor allem die Nutzerinnen und Nutzer ihrer Dienste, daneben aber auch Werbekunden und Medienverlage. Besonders problematisch findet Crawford, dass Google jetzt auch in der Gesundheitsindustrie mitmischt. Doch der Reihe nach.

Beunruhigend, beängstigend, ärgerlich

Was Crawford berichtet, ist wahlweise beunruhigend, beängstigend oder ärgerlich. Beunruhigend ist, wie die Datenkrake Google ständig wächst und so immer mehr persönliche Daten sammeln, kombinieren und verkaufen kann. Dabei erfindet sich der Internet-Konzern immer wieder neu. Crawford nennt dies die verschiedenen «Inkarnationen» der Firma. Mit jeder neuen Inkarnation ist es Google gelungen, seinen Datenpool zu vergrössern und daraus noch mehr Profit zu schlagen.

Angefangen hat Google als Suchmaschine. Dann wurde Youtube einverleibt und mit der Videoplattform seine Nutzer­daten. Das war die erste (Re-)Inkarnation. Darauf hat Google Produkte wie Gmail, Google Maps, Chrome und Android lanciert. Alles kostenlose Dienste, die wir mit unseren Nutzerdaten bezahlen – Inkarnation Nummer zwei. Schliesslich ist Google in die Online-Werbung eingestiegen. Und das so richtig. Der US-Konzern beschränkt sich dabei nicht darauf, Online-Werbung zu schalten, sondern er dominiert mittlerweile diesen komplexen Markt.

Diesen kann man sich, der Argumentation von Crawford folgend, vorstellen wie eine Cremeschnitte mit drei Schichten: Eine Schicht besteht aus den Werbefirmen, die keine Ahnung haben, wie und wo sie ihre Werbung auf den Millionen von Webseiten platzieren sollen. Die zweite Schicht bilden die Verlage, die nicht wissen, wie sie an die Kunden (die Werbefirmen) für Online-Werbung herankommen können. Dazwischen gibt es die Agenten, die die beiden zusammenbringen. «Mittlerweile», sagt Crawford, «beherrscht Google alle drei Bereiche des Marktes.»

Alle drei Märkte waren kompetitiv, bevor Google 2007 DoubleClick kaufte. Das Unternehmen bietet Werbeagenturen und Unternehmen Technologien und Dienstleistungen an, die es ihnen ermöglichen, gezielter online zu werben. Nach der Übernahme begann Google damit, seine Marktmacht einzusetzen, um die Kunden zu zwingen, ausschliesslich mit DoubleClick zusammenzuarbeiten, wie Crawford erklärt.

Das geht so: Den Kunden wird gesagt: «Wenn du Werbung auf Google oder Youtube machen willst, dann musst du unseren eigenen Anbieter für den Einkauf aller Werbung im Internet nutzen.» In der Fachsprache wird diese Strategie als Bundling oder Tying bezeichnet. Das bedeutet, dass Angebote miteinander verknüpft werden und der Kunde nur alles oder nichts kaufen kann. «Ein beliebtes Instrument von dominanten Monopolisten, um ihre Marktmacht auszuweiten», erklärt Crawford.

Prozess gegen Google-Monopol

Das Bündeln und Verknüpfen von Angeboten, wie es von Google betrieben wird, verstösst allerdings gegen das Gebot des freien Wettbewerbs und ist illegal, weil das Unternehmen damit seine dominante Position auf dem Markt ausnutzt. Im Moment läuft ein grosser Prozess in Texas gegen das Google-Monopol bei der Online-Werbung. Der Bundesstaat Texas wirft dem Unternehmen vor, mit dem Online-Werbegeschäft gegen das Kartellrecht und Gesetze verstossen zu haben, die die Konsumenten schützen, unter anderem mit einer Absprache mit Facebook, die dazu gedient haben soll, Konkurrenz zu verhindern. Der Klage gegen Google haben sich mittlerweile mehrere US-Bundesstaaten und das US-Justizdepartement angeschlossen.

Die Klage in Texas ist nur ein Beispiel, in der EU, Australien und Grossbritannien laufen Untersuchungen gegen Googles möglicherweise illegale Geschäftspraktiken. Tatsache ist, dass die Firma heute die Online-Werbung dominiert und die Deals zwischen den Werbeagenturen und den Verlegern vermittelt. Wobei nur Google weiss, wie viel die Werber bereit sind zu zahlen und wie viel die Verleger erwarten. «Die Lücke dazwischen ist ziemlich gross», sagt Crawford, «da es keinen Markt mehr gibt, der Transparenz schafft, sackt Google die Differenz ein. So verdient das Unternehmen 70 Milliarden Dollar im Jahr.» Die astronomischen Gewinne gehen auf Kosten der Werbekunden und der Verlage.

Die Basis für das sehr lukrative Geschäftsmodell von Google sind die Datenspuren, die wir hinterlassen, wenn wir die diversen Google-Dienste nutzen. Dank diesen weiss die Firma, wer wir sind, wo wir leben und wofür wir uns interessieren. Diese Informationen werden dann an Werbekunden verkauft, die damit gezielt eine Gruppe potenzieller Kundinnen und Kunden ansprechen können. Da Google über sehr viele Nutzerdaten aus ganz verschiedenen Quellen verfügt, die bei den diversen Reinkarnationen hinzugewonnen wurden, hat die Firma die Möglichkeit, diese auf einzigartige Weise zu nutzen und zu kombinieren.

Dass dies ein Problem ist, hat mittlerweile auch der Gesetzgeber verstanden. Die EU hat deshalb vor drei Jahren ein Grundgesetz zum Datenschutz erlassen, die General Data Protection Regulation (GDPR). Dieses sollte die Ausbeutung persönlicher Daten durch die grossen Internet-Firmen verhindern. Das Gesetz sieht vor, dass die gesammelten Daten nur verwendet werden dürfen, um eine spezifische Dienstleistung zu erbringen, und Daten von verschiedenen Plattformen nicht miteinander kombiniert werden dürfen. Doch, kommentiert Crawford: «Das Datenschutzgesetz ist ein Reinfall, weil es nicht durchgesetzt wird.»

Mit Gesundheitsdaten handeln

Die Internet-Firmen habe kein Interesse, dass das Gesetz durchgesetzt wird, denn ein Grossteil ihrer Profite stammt aus der Kombination der Daten aus verschiedenen Quellen und deren Vermarktung. Seit dem Kauf von Fitbit, einer Firma, die Fitnesstracker anbietet, mischt Google jetzt auch noch im Gesundheitsmarkt mit. Das ist beängstigend. Vor dem Kauf von Fitbit organiserte Crawford einen flammenden Aufruf an die Europäische Kommission, den Deal aus wettbewerbspolitischen Überlegungen nicht zuzulassen. Der Aufruf wurde von namhaften Ökonomen wie Monika Schnitzer, der Vorsitzenden des Deutschen Wirtschaftsrats, unterzeichnet. Ohne Erfolg. An seiner Haltung hat das nichts geändert: «Es macht mir wirklich Sorgen, dass Google jetzt ein Player auf dem Gesundheitsmarkt ist.»

Das hat zwei Gründe: Einerseits könnte Google dank der vielen Daten über uns und unsere Gewohnheiten bald auch diesen Markt beherrschen. Andererseits weiss das Unternehmen so viel über uns, dass es massgeschneiderte Versicherungen anbieten kann. Für Junge und Gesunde dürfte das gut sein, alle anderen müssen damit rechnen, teuer für eine Versicherung bezahlen zu müssen oder gar keine mehr zu bekommen.

Das Ganze könnte jedoch noch viel weiter gehen. Etwa wenn Google unsere Gesundheitsdaten mit anderen kombiniert und an Arbeitgeber verkauft. So etwas darf nicht passieren, sagt Gregory Crawford: «Es gibt Daten, auf die Google keinen Zugriff haben darf. Und es gibt Daten, die in separaten Datensilos gespeichert werden und nicht miteinander kombiniert werden dürften.» Da ist der Gesetzgeber gefordert. Wird nichts unternommen, so wird Google zu einem Big Brother, der alles über uns weiss und damit viel Geld macht.

Unsere Daten gehören uns!

Was können wir dagegen tun? Und wie können wir uns dem mächtigen Sauron-Auge Googles entziehen? Die Antwort von Gregory Crawford ist einfach: «Wir sollten keine Google-Produkte mehr nutzen, sondern Alternativen wie die Suchmaschine DuckDuckGo.» Ausser­dem sollte der Gesetzgeber die Internet-Nutzerinnen und -Nutzer besser schützen, indem er das Sammeln und Kombinieren von persönlichen Daten einschränkt und von unserer Zustimmung abhängig macht. Und, betont Crawford: «Die bestehenden Gesetze sollten besser durchgesetzt werden.»

Ärgerlich ist, dass Google, Facebook & Co. mit unseren Daten Milliardengewinne erwirtschaften und wir nichts davon haben. Zwar können wir die angebotenen Dienste kostenlos nutzen, doch das ist eine viel zu geringe Entschädigung für die Daten, die wir dabei generieren, sagt Crawford. So zeigt beispielsweise eine Schätzung aus Grossbritannien, dass Google 2018 pro Haushalt 500 Pfund Profit gemacht hat. «Das bedeutet, die angemessene Entschädigung für die Nutzung der Google-Produkte wären 500 Pfund», sagt Crawford. Wie viel es tatsächlich ist, weiss nur Google.

Hier kommt Rechtsphilosoph Francis Cheneval ins Spiel. Er beschäftigt sich wie Gregory Crawford mit der Frage, wem die Profite gehören, die mit unseren persönlichen Daten gemacht werden. Für ihn ist die Antwort klar: Sie müssten uns gehören. «Es ist Teil des klassischen Eigentumsrechts, dass mir gehört, was ich kreiere.» Das gelte auch für unsere persönlichen Daten, die wir preisgeben, indem wir Online-Dienste nutzen und in den sozialen Medien posten. Deshalb, so Cheneval, sollten wir an der Wertschöpfung beteiligt sein, die mit diesen Daten generiert wird. «Das ist heute nicht der Fall.»

Gewinne umverteilen

Unsere Abgeltung ist die kostenlose Nutzung dieser Dienste. Doch damit werden wir nur unzureichend entschädigt für unsere Daten. Das belegten die Milliardenwerte der Firmen, die mit persönlichen Daten handeln, und ihre Milliardengewinne. «Die Internet-Firmen müssten einen Teil ihrer Gewinne mit uns teilen», ist Cheneval überzeugt. Dafür braucht es jedoch eine rechtliche Basis. Francis Cheneval hat sich überlegt, wie diese aussehen könnte. Er schlägt vor, ein Eigentumsrecht für persönliche Daten zu schaffen. «Jeder besässe ein persönliches Datenkonto, genauso wie wir ein persönliches Bankkonto haben.» Die Voraussetzung dafür wäre, nachverfolgen zu können, was mit unseren Daten passiert und wie sie zu Geld gemacht werden. Dafür würde sich die Blockchain-Technologie anbieten, erklärt Cheneval.

Die Umverteilung der Gewinne aus dem Geschäft mit unseren Daten hat enormes Potenzial. Francis Cheneval schätzt, dass pro Person über die Lebensspanne mehrere zehnhausend Franken zusammenkommen würden, mit steigender Tendenz für die Zukunft. Das könnte je nach Grösse des Betrags existenzsichernd sein – etwa für Menschen in ärmeren Weltgegenden – oder zumindest ein namhafter Zustupf an die Altersvorsorge. Und es würde aus philosophischer Sicht mehr Gerechtigkeit schaffen, sagt Francis Cheneval: «Es wäre ein Eigentümmerrevolution, die dafür sorgt, das die Besitzerinnen und Besitzer der Daten zu ihrem Recht kommen.»

Dieser Artikel ist zuerst im UZH Magazin 4/22 erschienen.

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