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Forschungspolitik

Mais für alle

Wichtige Patente für Genom-editiertes Saatgut sind bei Hochschulen, das kann eine Chance für Bauern in Entwicklungsländern sein. Eine schnelle Deregulierung der neuen Technologie ist allerdings unwahrscheinlich.
Stefan Stöcklin
Genom-editierte Saatgutsorten könnten eine nachhaltigere Landwirtschaft ermöglichen. Darunter zum Beispiel Mais aus apomiktischen Pflanzen.


Seit Jahren tüftelt Ueli Grossniklaus, Entwicklungsbiologe und Direktor des Instituts für Pflanzen- und Mikrobiologie der UZH, an einer revolutionären Anwendung der grünen Gentechnik: Es geht um die Apomixis, die ungeschlechtliche Vermehrung durch Samen, das heisst ohne Meiose und Befruchtung. Manche Pflanzen tun dies von sich aus und Grossniklaus erforscht die zugrundeliegenden Mechanismen, um das Prinzip künftig in Kulturpflanzen anwenden zu können. Ertragreiche Sorten würden so klonale Samen bilden, deren Eigenschaften mit denen der Mutterpflanzen identisch sind. Die aufwendige Herstellung von Hybridsamen, die in der Landwirtschaft wegen höheren Ertrags und grosser Robustheit bevorzugt werden, würde enorm vereinfacht. «Wir sind punkto Effizienz noch nicht dort, wo wir hinwollen», sagt Grossniklaus, «aber die Apomixis hat Zukunft und wird kommen.»

Grössere Unabhängigkeit

Für die Bauern könnte dies mehr Unabhängigkeit bedeuten, da sie die Hybridsamen nicht Jahr für Jahr neu kaufen müssten. Für den Grundlagenforscher hat die Apomixis denn auch eine entwicklungspolitische Dimension: Gerade Kleinbauern in Entwicklungsländern könnten von diesem Saatgut profitieren, da sie Zugang zu Hybridsamen angepasster Sorten erhielten, betont Grossniklaus. Die Aussicht auf solche Pflanzen, aber auch die vielen Möglichkeiten der Genom-Editierung, das heisst der punktgenauen Veränderungen im Erbgut via Crispr/Cas9, sind für ihn starke Argumente, die Technologie und ihre Anwendungen voranzutreiben.

Demokratisierung des Saatgutes

«Genom-Editierung nützt den Bauern und führt zu einer Demokratisierung der Saatgutentwicklung, da die Technik – falls vernünftig reguliert – zur Neugründung von Firmen und zur Entwicklung neuer Produkte führen würde», ist Grossniklaus überzeugt. Entsprechend begrüsst er den Entscheid in Bern, gesetzliche Möglichkeiten für den Anbau Genom-editierter Pflanzen in der Schweiz zu prüfen.

Das Parlament hat den Bundesrat im März 2022 beauftragt, einen entsprechenden Gesetzesentwurf für die Räte vorzubereiten. «Es macht keinen Sinn, Genom-editierte Pflanzen dem geltenden Gentechnik-Gesetz und damit dem Anbaumoratorium zu unterstellen, wie dies heute der Fall ist», sagt Grossniklaus. Denn Genom-editierte Pflanzen könnten quasi als naturidentisch bezeichnet werden, tragen die meisten doch nur Veränderungen, die so auch in der Natur vorkommen. Deshalb brauche es eine Deregulierung der Technologie, um die Fortschritte aus dem Labor für die Entwicklung neuer Zuchtlinien nutzen zu können.

Risiken kalkulieren

Punkto Deregulierung ist Matthias Mahlmann vom Rechtswissenschaftlichen Institut skeptisch: Der Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph ist seit 2011 Mitglied der Eidgenössischen Ethikkomission für die Biotechnologie im Ausserhumanen Bereich (EKAH) und kennt sowohl die kontroversen Diskussionen als auch die Gesetzgebung zur Gentechnologie bestens. «Die Konfliktlinien zwischen Befürwortern und Kritikern existieren in meiner Wahrnehmung nach wie vor, wenn auch etwas abgeschwächt», sagt Mahlmann. Was die Lockerung der Gesetzgebung für Genom-editierte Pflanzen betrifft, so sei die Lage alles andere als einfach: «Wir stehen vor der Herausforderung, den rechtlichen Umgang mit einer neuen Technologie zur regeln, über die wir noch nicht alles wissen.»

Unsicherheiten bestehen

Der Jurist verweist auf die doch recht junge Crisp/ Cas9-Technologie, die erst seit rund zehn Jahren verwendet wird. Noch gebe es Unsicherheiten wie zum Beispiel Off-Target-Effekte, das heisst unbeabsichtigte Veränderungen im Erbgut abseits der Stelle, wo man eigentlich eingreifen wollte. Grossniklaus weist darauf hin, dass solche Phänomene «extrem selten» sind und im weiteren Verlauf der Sortenentwicklung eliminiert werden könnten. Dennoch: Angesichts der offenen Fragen plädiert Mahlmann für eine Regelung, die unserer Tradition der Risikovorsorge bei technischen Innovationen Rechnung trägt. «Es braucht ein rechtlich strukturiertes Zulassungsverfahren, abgestuft nach möglichen Gefahren, zur Gewinnung von Risikowissen.»

Angesichts der aktuellen Konstellation kann sich der Rechtsprofessor eine rasche und umfassende Deregulierung der neuen Technologie schwer vorstellen. Kommt das internationale Umfeld hinzu: Die Schweiz dürfte sich an die Regelung der EU anlehnen, wo zurzeit um die gleichen Fragen gerungen wird. Mahlmann wünscht sich eine fachkundige Debatte und Diskussion mit «Weitblick, Augenmass und kühlem Kopf».

Begehrte Patente

Die Forschung von Ueli Grossniklaus zur Apomixis rückt ein weiteres kontroverses Thema ins Blickfeld: Patente. Kommt diese Technologie zum Fliegen, werden sich die grossen Saatguthersteller darum reissen. Ueli Grossniklaus hat deshalb entschieden, wichtige Entwicklungen seiner Arbeiten zu patentieren. «Ich habe zwar auch meine Mühen mit dem Patentrecht und würde es vorziehen, wenn die landwirtschaftliche Produktion ausgenommen wäre. Aber wir würden uns ins eigene Bein schiessen, wenn wir das Patentrecht ignorierten», sagt er. Denn ohne patentrechtlichen Schutz hätten kommerzielle Unternehmen freie Hand, die Resultate aus der Grundlagenforschung unentgeltlich zu nutzen. «So können wir aus der Akademie die Bedingungen zur Nutzung festlegen und zum Beispiel Gratislizenzen im humanitären Bereich verlangen.»

Chance für kleinere Betriebe

Anders als in den Anfängen der Gentechnologie sind wichtige Patente der Genom-Editierung wie Crispr/Cas9 im Besitz von Hochschulen. Grossniklaus sieht darin eine Chance für kleinere Betriebe und Bauern in Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch wenn die Saatgutproduktion in den Händen kommerzieller Firmen steckt, könnten die Patentinhaber aus der Akademie bei der Anwendung mitreden. Eine faire und sichere Anwendung sei möglich. Ob sich diese optimistische Sichtweise umsetzen lässt?

Für Matthias Mahlmann ist unklar, wohin die Reise geht. «Ob sich die Demokratisierung der Technologie und der Patente durchsetzt, ist meiner Meinung nach völlig offen.» Sicher ist: Die Genom-Editierung in der Pflanzenzucht ist populär. Wenn diese Pflanzen in den kommenden Jahren zugelassen werden, wird es zu einem Schub Genom-editierter Saatgutsorten auf den Märkten kommen, die eine nachhaltigere Landwirtschaft ermöglichen könnten. Darunter vielleicht auch Mais aus apomiktischen Pflanzen.

 

Dieser Artikel ist im UZH Magazin 2/2022 erschienen.

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