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Interdisziplinäre Lehre

Ist das Kunst oder ein Vertrag?

Die virtuelle Ausstellung «Law Irritates Art» zeigt Kunstwerke, die Spannungen zwischen Kunst und Recht erzeugen. Kuratiert wird sie von Studierenden der Kunstgeschichte und der Rechtswissenschaften, die durch die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit auch viel über ihr eigenes Fach lernen.
Melanie Keim
Interdisziplinäres Nachdenken über Kunst am Bau: Gaëlle Waeber (Rechtswissenschaften) und Viviane Mathis (Kunstgeschichte) diskutieren über eine Installation der Künstlergruppe Superflex an der Badenerstrasse in Zürich.

 

Kann der Text eines Kunstwerks, der an einer Hausfassade hängt, als rechtlich bindender Vertrag gelten? Wäre das dann überhaupt noch Kunst? Und bin ich mitgemeint, wenn an dieser Hausfassade ein Versprechen an den Rest der Welt abgegeben wird? Solche Fragen stellen sich bei der Betrachtung einer Kunst- und Bau-Installation der dänischen Künstlergruppe Superflex – zumindest, wenn eine Studentin der Kunstwissenschaften und eine der Rechtswissenschaften gemeinsam auf die grossen Blechtafeln blicken, auf denen die Einhaltung des 2000-Watt-Ziels durch die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses verkündet wird.  

Das Kunstwerk an der Zürcher Badenerstrasse ist Teil der virtuellen Ausstellung «Law Irritates Art», die gemeinsam von Studierenden der Kunstgeschichte und der Rechtswissenschaften kuratiert wird. Im Zentrum der Ausstellung, die als schlichte Website gestaltet ist, stehen Kunstwerke, die interessante Fragen an der Schnittstelle von Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte aufwerfen. Sie werden in zwei Ausstellungstexten jeweils aus der Perspektive der Rechtswissenschaften und der Kunstgeschichte beleuchtet - von Studierenden, die über ihr eigenes Fach hinausdenken.

Neue Anforderungen an die Lehre

Das Ausstellungsprojekt wurde vom Lehrstuhl für Rechtssoziologie mit besonderer Berücksichtigung des Medienrechts von Christoph Beat Graber initiiert und zeigt beispielhaft, wie Dozierende ihre Lehre weiterentwickeln können, um Studierende noch besser für die Zukunft auszubilden. Durch den digitalen und gesellschaftlichen Wandel, Verschiebungen im Wissenschaftsbetrieb, aber auch durch die Zunahme globaler Herausforderungen verändern sich nämlich nicht nur die Anforderungen an Hochschulabsolventinnen und -absolventen, sondern auch an die universitäre Lehre. Die UZH unterstützt Dozierende im Rahmen der Lehrförderung, innovative Lehrformate zu entwickeln und zu etablieren, die diesen veränderten Anforderungen Rechnung tragen.

Interdisziplinäre Vernetzung

Beim fakultätsübergreifenden Lehrprojekt «Law Irritates Art» etwa steht die Förderung der interdisziplinären Vernetzung im Zentrum. „Aktuelle gesellschaftliche Debatten rund um Restitutionsforderungen oder zur Deutungshoheit über Kulturgüter machen deutlich, dass für die Lösung solcher Fragen die Fähigkeit, in mehr als einer Perspektive zu denken, gefordert ist“, sagt Graber.

Der Rechtsprofessor greift in seiner Vorlesung «Kunst- und Kulturrecht» immer wieder Themen an der Schnittstelle von Kunst und Recht auf, etwa zum Originalitätsbegriff, der in der Kunstgeschichte eine andere Bedeutung erhält als im Urheberrecht. «Obwohl die Kunstwelt ständig mit Fragen des Rechts konfrontiert ist und umgekehrt, gibt es in der Ausbildung noch wenig Schnittstellen zwischen Kunstgeschichte und Rechtswissenschaften», so Graber. Angestossen durch die universitäre Lehrförderung der UZH, die neue Unterrichtsformen unterstützt, entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der UZH ein aussercurriculares Lehrprojekt, an dem Studierende der beiden Fächer freiwillig, also ohne Erwerb von ETCS Credits, teilnehmen.

Gesetzesartikel statt Ausstattung

Über das Kuratieren in interdisziplinären Zweierteams sollen die Studierenden sich in erster Linie ihrer eigenen fachlichen Perspektive bewusst werden und diese erweitern. Doch mit dem Schreiben von kurzen Ausstellungstexten für ein breiteres Publikum sollen auch gefragte Übersetzungsfähigkeiten gefördert werden. «Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden die Studierenden beider Disziplinen später in interdisziplinären Teams arbeiten und komplexe Themen einfach kommunizieren müssen, sei es gegenüber Klienten, für Ausstellungen oder Anträge», erklärt Graber.

Viviane Maeder, Masterstudentin in Kunstgeschichte, schätzte am Projekt denn auch, dass sie einmal knapper und gleichzeitig freier schreiben konnte als für ihre wissenschaftlichen Arbeiten fürs Studium. Obwohl sie durch einen Bachelor in Betriebswissenschaften bereits einen breiten fachlichen Hintergrund mitbrachte, wurde ihr durch den Austausch über die Fakultäten hinweg bewusst, wie stark sich die jeweiligen Methodiken der Fächer unterscheiden.

Maeder hat sich mit Dana Mareckova, die an der UZH im Bereich des Urheberrechts doktoriert, und einem Mitstudenten mit der Arbeit des Schweizer Künstlers Tom Sachs auseinandergesetzt, der in einer Galerie in London Schweizer Pässe verkaufte. «Die Juristin nimmt einen Gesetzesartikel, um zu beurteilen, ob die Aktion illegal ist. Und mir wäre auf den ersten Blick nicht in den Sinn gekommen, danach zu fragen», sagt Maeder, die in ihrem Text stark auf die Umsetzung des Künstlers und «Schweizerische Tugenden» wie Exaktheit und Professionalität eingeht.

Unterschiedliche Perspektiven einbeziehen

Dana Mareckova dagegen fand es spannend, dass ihre Kollegin beschrieb, was auf dem Tisch des inszenierten Passbüros lag – etwas, was sie als Juristin gar nicht beachtet hätte. «Wir nehmen Bezug auf andere Dinge, haben andere Brillen, das hat das Projekt gut gezeigt», sagt sie. Zudem habe sie über diese Gegenüberstellung gelernt, dass es sehr schwierig sei, wenn das Recht versuche, die Kunst in Kategorien zu zwängen.

Maeder auf der anderen Seite will in Zukunft mehr Leute ausserhalb des Studiums nach deren Sichtweise auf ein Werk fragen. Denn das Projekt habe gezeigt, dass es sich lohne, Leute mit anderen Blickwinkeln miteinzubeziehen, sagt sie und fügt an: «Sollte ich einmal in einem Museum arbeiten, möchte ich möglichst viele verschiedene Perspektiven in die Ausstellungspraxis einbringen, weil ich denke, dass man dadurch mehr Menschen für Kunst begeistern kann.»