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Innovative Lehrprojekte

Spielerisch, interaktiv und virtuell lernen

Es gibt sie noch, die Vorlesungen, in denen die Welt erklärt wird, und die Referate und Diskussionen in den Seminaren. Doch längst werden diese klassischen Lehr- und Lernformen ergänzt durch neue, die andere Zugänge zum Wissen bieten. Die UZH fördert sie gezielt.
Thomas Gull
Richtige Handhygiene
Das virtuelle Lerntool für richtige Handhygiene zeigt, wo sich die Keime in der realen Welt ansammeln.

 

Die virtuelle Hand öffnet die Türe zum Patientenzimmer. Weiter geht es zum Patienten, der mit nacktem Oberkörper auf dem Bett liegt. Die Hand greift nach dem Stethoskop und legt es an die Brust. Jetzt sehen wir sie, die virtuellen Keime – zuerst auf den Fingern und dem Handrücken, dann auf der Brust des Patienten, wo sie hängen bleiben, als sich die Hand wieder entfernt. Die virtuelle Realität macht eines der basalen Probleme im Spitalalltag sichtbar: die oft mangelhafte Handhygiene und ihre Folgen – die Kontaminierung der Patienten mit Keimen, die für sie potenziell gefährlich werden können, indem sie einen Infekt auslösen.

Die richtige Handhygiene ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung und des Trainings der Mitarbeitenden im Spital. Das Problem dabei: «Man sieht die Keime in der realen Welt nicht», sagt Valérie Lapaire, Forscherin an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des USZ. Deshalb wurde mit der Agentur Ateo der virtuelle Trainer entwickelt. Dieser hilft zu verstehen, wo sich die Keime befinden und wie sie durch die Hände auf dem Patienten und im Zimmer verteilt werden.

Aha-Effekt vermitteln

Konzipiert für die Schulung von Spitalmitarbeitenden, wird der virtuelle Hygiene-Trainer seit einem Jahr auch in der Ausbildung von Medizinstudierenden eingesetzt. Mitverantwortlich für das Pilotprojekt ist Lauren Clack, Professorin am Institut für Implementation Science in Health Care der UZH. Das Trainingsprogramm verbindet den virtuellen Trainer mit traditionelleren Lernmethoden. So müssen die Studierenden etwa zusätzlich Unterlagen zur richtigen Handhygiene lesen und diskutieren. Der virtuelle Trainer sei wichtig, weil er einen Aha-Effekt vermittle, sagt Clack: «Die Visualisierung veranschaulicht die Folgen mangelnder Handhygiene. Diese Erkenntnis nehmen die Studierenden hoffentlich mit in den Spitalalltag.»

Der Präventionskurs für Studierende konnte dank der Unterstützung durch den kompetitiven Lehrkredit der UZH entwickelt werden, der jährlich ausgewählte innovative Lehrprojekte fördert. Erfolgsgeschichten wie diese haben dazu beigetragen, dass die UZH in diesem Jahr die Fördermittel für innovative Lehrprojekte mit Blick auf internationale Trends signifikant erhöht hat (siehe Kasten). Die UZH lancierte im August 2022 fünf aufeinander abgestimmte und unterschiedlich profilierte Förderlinien, die unter dem gemeinsamen Dach der Universitären Lehrförderung (ULF) versammelt werden. Das Spektrum reicht von der Linie open_innovation für kleinformatige Experimente bis hin zur Linie global_innovation für internationale Lehrangebote im Rahmen von Hochschulallianzen.

Spielerisch Felder bewässern

Geografieprofessor Jan Seibert arbeitet seit Jahren mit innovativen Lehrformen. Er setzt dabei auf Spiele. Das bekannteste und erfolgreichste, das mittlerweile weltweit genutzt wird und dessen Lerneffekte er auch wissenschaftlich analysiert hat, heisst «Irrigania». Bei diesem Spiel schlüpfen die Studierenden in die Rolle von Bauern in einem Dorf, die nur über begrenzte Wasserressourcen für ihre Felder verfügen. «Ziel des Spiels ist, zu verstehen, dass die Optimierung des persönlichen Ertrags häufig in Konflikt mit dem Gemeinwohl steht», sagt Seibert. Im Fachjargon spricht man von der «Tragedy of the Commons», der Tragik der Allmende. Diese besteht darin, dass es bei gemeinsamen Ressourcen für den Einzelnen vorteilhaft sein kann, diese stärker zu nutzen. Wenn dies jedoch alle tun, geht es allen schlechter. «Klassischerweise ist die Allmende die Wiese im Dorf, auf die alle ihre Kühe treiben dürfen. Wer eine zweite Kuh hinstellt, bekommt mehr Milch. Wenn das jedoch alle tun, reicht das Gras nicht mehr und die Kühe verhungern», erklärt Seibert.

Lerntool Irrigania
Unterricht mit «Irrigania»: Studierende schlüpfen in die Rolle von Bauern mit begrenzten Wasserressourcen.

 

Viele Umweltprobleme und Konflikte um begrenzte Ressourcen haben ihren Ursprung in aus der individuellen Perspektive rationalem Verhalten, das schliesslich allen schadet. Seibert lässt das Spiel live im Hörsaal spielen. Dabei ist ihm aufgefallen: Wenn die Bauern (die Spieler) die anderen kennen, die im Dorf Wasser beziehen, sind sie bescheidener, als wenn sie die anderen nicht kennen. «Die gegenseitige Bekanntschaft ist eine Form der sozialen Kontrolle und stärkt offenbar die Solidarität.» Wenn man sich nicht kennt, schaut jeder nur auf seinen eigenen Nutzen und zapft so viel Wasser wie möglich ab, um seinen Ertrag zu optimieren. Irrigania hilft den Studierenden zu verstehen, welche Konflikte bei der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen entstehen können und weshalb.

Jan Seibert sieht noch weitere Vorteile der spielerischen Vermittlung von Wissen. Dazu gehört das Verständnis, wie wichtig Kooperation und Kommunikation bei der Lösung von Problemen sind. Seibert nennt das strategisches Wissen, das auch im Berufsalltag immer wichtiger wird. Hinzu kommt, dass er seine Spiele mit den Studierenden entwickelt. Diese üben dabei wichtige Fähigkeiten wie kritisches Denken, Problemlösen, in einem Team zusammenarbeiten und Zeitmanagement. Und – gewissermassen die Kirsche auf der Torte: «Das Ganze macht Spass», sagt Seibert – ihm und den Studierenden. Er entwickelt deshalb weitere Spiele, auch solche, die Laien von ausserhalb der UZH einbeziehen wie CrowdWater, eine Plattform, die die Öffentlichkeit an der Erhebung hydrologischer Daten beteiligt. Ziel des Citizen-Science-Projekts ist, möglichst viele Beobachtungen zu sammeln und so die Vorhersage von hydrologischen Ereignissen wie etwa Trockenheit oder Überschwemmungen zu verbessern.

Programmieren lernen für alle

Ein weiteres Projekt, das einen offenen, unkomplizierten und effizienten Zugang zu wertvollem Wissen ermöglicht, ist «Programmieren lernen im Selbststudium». Das Projekt basiert auf der Idee, dass «Programmierkenntnisse heute in allen Forschungs- und Berufszweigen geschätzt oder sogar erwartet werden», sagt der Informatiker Carol V. Alexandru, der für das Projekt zuständig ist. «Und», fügt er hinzu, «Programmieren ist Übungssache.» Deshalb hat sein Team vom Institut für Informatik der UZH die Webapplikation ACCESS entwickelt, die es Studierenden aller Studienrichtungen ermöglicht, individuell und im eigenen Tempo das Programmieren zu erlernen.

Die Lösungen der Studierenden werden automatisch bewertet und sie erhalten eine individuelle Rückmeldung. Das zu programmieren sei aufwändig, sagt Alexandru. «Je nach Komplexität der Übung werden Dutzende Aspekte der studentischen Lösung geprüft.» Dafür ist die Antwort massgeschneidert, und dies ohne zusätzlichen Personalaufwand. Darüber hinaus bietet ACCESS eine Funktion, die es Dozierenden erlaubt, schon während der Vorlesung mit Hilfe kurzer Übungen zu prüfen, ob die Zuhörenden verstanden haben, was sie gerade erklärt haben, oder eben nicht. «So können Missverständnisse und Wissenslücken sofort geklärt werden», sagt ­Alexandru.

Python und R

Das Online-Tool wurde ursprünglich für Informatik­studierende entwickelt, wird nun aber mit der Unterstützung des Lehrkredits für alle zugänglich sein, die an einer Universität in der Schweiz immatrikuliert sind. Mit
ACCESS wird die Programmiersprache Python gelehrt. Doch das Interesse sei gross, auch die Programmiersprache R auf diese Weise zu vermitteln, sagt Alexandru. In einem nächsten Schritt wird nun ein eigenes Curriculum für R geschaffen. «ACCESS ist für uns ein Beispiel dafür, wie ein erfolgreiches und durchdachtes Lehrprogramm breit genutzt werden kann», lobt Hannah Lora Freeman von der Abteilung Lehrentwicklung der UZH.