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Joseph Stiglitz an der UZH

Nichts tun geht nicht

Gestern wurde an der UZH das Center of Competence for Sustainable Finance (CCSF) aus der Taufe gehoben. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats, sprach zur Eröffnung über Risiken und Chancen des Klimawandels. Dabei wurde klar: Es ist höchste Zeit, entschieden zu handeln.
Thomas Gull
Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz setzt auf die starke Hand des Staates, die reguliert und investiert.


Nobelpreisträger Joseph Stiglitz machte in seinem Referat eines klar: Es gibt noch viel zu tun, wenn wir die Folgen des Klimawandels bewältigen und ein globales Desaster abwenden wollen. Deshalb sollten wir jetzt schleunigst die Ärmel hochkrempeln. Das gelte zuallererst für seine eigne Zunft, die Ökonomen, sagte Stiglitz. Denn deren Modelle taugten gar nichts, wenn es darum gehe, die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels abzuschätzen. Das hat auch damit zu tun, dass es keine historischen Erfahrungen gibt: «Wir bewegen uns auf unbekanntem Gebiet», betonte Stiglitz, denn die Menschheit kenne das Leben auf einem Planeten mit einer wesentlichen höheren Temperatur nicht. Klar sei, dass die ökonomischen Konsequenzen gravierend bis katastrophal ausfallen könnten, je nachdem, wie stark sich das globale Klima in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich erwärme.

Teuer ist der Klimawandel bereits heute. Wie die Erfahrung aus den vergangenen Jahren zeigt, können durch Erwärmung verursachte Schäden bis zu zwei Prozent des BIP der USA weggefressen. Stiglitz: «Je länger wir nichts tun, umso höher wird die Rechnung am Schluss ausfallen.»

Der Markt versagt

Schlecht weg kommen bei Stiglitz nicht nur die Ökonomen und ihre mangelhaften Modelle, sondern auch der Markt. Zu den Lieblingsvokabeln des amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträgers gehört der Begriff «market failure» – das Versagen des Marktes, der von vielen seiner Berufskollegen verehrt wird wie das goldene Kalb. Der Markt, so deren Irrglaube, werde es schon richten, mit der Hilfe von Adam Smiths berühmter «unsichtbarer Hand», die dafür sorgt, dass er (der Markt) sich auf wunderbare Weise selbst reguliert. Dem sei nicht so, betonte Stiglitz und lieferte dazu das Bonmot: «Die unsichtbare Hand ist wohl deshalb unsichtbar, weil sie gar nicht existiert.»

Auf die Ökonomen ist also kein Verlass, weil ihre Modelle vor der Herausforderung des Klimawandels versagen. Das Gleiche gilt für den Markt, der gerne versagt, wenn es wirklich draufankommt. Wer, bitteschön, Herr Stiglitz, soll’s denn richten und die Welt vor der klimatischen Apokalypse retten? Stiglitz Antwort: Die Dreifaltigkeit von Steuern auf fossile Brennstoffe, staatlichen Regulierungen und Verboten sowie Investitionen des Staates. Der Nobelpreisträger setzt auf die starke Hand des Staates, die reguliert und investiert.

Je besser reguliert und je effizienter in erneuerbare Energien und eine nachhaltige Wirtschaft investiert werde, umso tiefer würden die CO2-Steuern ausfallen, betonte Stiglitz. Der Aufpreis pro Tonne CO2 müssten aktuell 40 bis 80 Dollar betragen, 2030 dann 50 bis 100 Dollar, wenn das Ziel des Pariser Abkommens erreicht werde soll, die globale Erwärmung auf 1.5 bis maximal 2 Grad zu beschränken. Eine solche Steuer auf fossile Brennstoffe sei problemlos verkraftbar, betonte der Nobelpreisträger.

Attraktive Wachstumsgeschichte

Stiglitz malte allerdings nicht nur schwarz. Der nachhaltige Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft könne «potenziell eine starke, attraktive nachhaltige Wachstumsgeschichte» werden. Denn Innovation spiele eine zentrale Rolle, wenn es darum gehe, den Klimawandel zu meistern. Und die «Nebeneffekte» einer grünen Wirtschaft seien auch willkommen wie  lebensfreundlichere Städte, eine robustere Landwirtschaft und stärkere Ökosystemen.

Stiglitz lobte die EU, die sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2050 klimaneutral zu werden. Ähnliches fordert der Green New Deal, der in den USA von progressiven Kräften formuliert wurde, in Anlehnung an Präsident Roosevelts New Deal in den 1930er-Jahren, der half, die weit verbreitete Armut zu lindern und den desolaten Zustand der amerikanischen Wirtschaft zu überwinden.

Die Anspielung an eine Erfolgsgeschichte ist geschickt gewählt. Denn da liegt wohl der Hase im Pfeffer: Wenn wir die nachhaltige Wende schaffen wollen, müssen wir die Chancen dieser Transformation sehen und packen, statt über die Risiken zu lamentieren. Selbst wenn diese durchaus beträchtlich sind, wie Stiglitz betonte. Es wird Verlierer geben, etwa die Kohle- und die Autoindustrie (ausser sie schafft es, rechtzeitig klimaneutrale Fahrzeuge zu entwickeln). Gleichzeitig tut sich ein riesiges Feld auf für neue, innovative Firmen, die im Bereich der erneuerbare Energien arbeiten oder Fahrzeuge für den privaten und öffentlichen Verkehr entwickeln, die effizienter und umweltschonender sind als die heutigen.

Schleunigst auf den fahrenden Zug aufspringen sollte auch die Finanzindustrie. Denn die Steuern auf fossile Brennstoffe werden kommen und die Wirtschaft wird grüner werden. Wer noch lange auf Investitionen und Aktien der alten, klimaschädlichen Industrie setzt, dürfte bald auf einem Berg fauler Kredite und unverkäuflicher Wertpapiere sitzen.

Wer Stiglitz zuhörte, kam zum Schluss: Nichts tun geht nicht. Deshalb: Packen wir es an.

 

Nobelpreisträger Stiglitz im Gespräch mit Wirtschaftswissenschaftlern des Instituts für Banking und Finance der UZH, Stefano Battiston (Mitte) und Marc Chesney (rechts)

Forschung für eine nachhaltige Finanzwirtschaft

Das Center of Competence for Sustainable Finance (CCSF) beschäftigt sich mit der Frage, wie der Finanzsektor auf ein belastbares und nachhaltiges System ausgerichtet werden kann. Als interdisziplinäre Plattform am Finanz- und Innovationsplatz Zürich vereint es kritische Richtungen akademischer Forschung und Lehre aus den Bereichen Finanzen, Recht, Mathematik, Privatvermögen, Wirtschaftspsychologie und Informatik. Ziel ist, die Finanzwirtschaft mit den Bedürfnissen der Gesellschaft und des Ökosystems in Einklang zu bringen. Die Forschungsprojekte der beteiligten Professorinnen und Forscher umfassen unter anderem die Erforschung von Risiken, die der Klimawandel für institutionelle Anleger wie Banken und Pensionskassen mit sich bringt, oder die Genauigkeit verschiedener Grössen zur Messung der Nachhaltigkeit von Investitionen. «Mit der Lancierung des neuen Zentrums möchten wir die Universität Zürich als Schlüsselakteur in der Forschung für nachhaltige Finanzwirtschaft positionieren», sagt Marc Chesney, Professor für Quantitative Finance, Leiter des Departements Banking and Finance und einer der Gründer des neuen Zentrums. «Business as usual in Forschung und Lehre zum Finanzwesen sind keine Option mehr. Es ist dringend notwendig, Studierende, Entscheidungsträger und Praktiker mit dem notwendigen Wissen auszustatten, um die grossen Herausforderungen der globalen Erwärmung und der finanziellen Ungleichgewichte zu bewältigen.»

Center of Competence for Sustainable Finance (CCSF)