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Schweizerische Geschichtstage

«Wer reich ist, wurde meist reich geboren»

Vom 5. bis 7. Juni finden an der UZH die fünften Schweizerischen Geschichtstage statt. Thema ist der Reichtum. Mittelalterhistoriker Simon Teuscher erklärt im Interview, was Reichtum bedeutet und wie sich die Vorstellungen darüber verändert haben.
Interview: Thomas Gull
Reichtum, Schatzkiste
Reichtum – seit Jahrhunderten Gegenstand der Bewunderung, des Neids und des Misstrauens. (Bild: Francisblack, iStock)

 

Herr Teuscher: Wie wird man reich?

Simon Teuscher: Wer reich ist, wurde meist reich geboren. Je nach Weltgegend und Epoche gibt es unterschiedliche Wege zum Reichtum. Doch wir sind erstaunt über die fortwährende Bedeutung des Erbens. Man vermutete lange, je länger die Marktwirtschaft herrsche, desto wichtiger werde Leistung. Diese Annahme wird heute gerade in den Wirtschaftswissenschaften zunehmend in Frage gestellt.

Das heisst, durch Arbeit allein reich zu werden ist schwierig?

Durch Arbeit, aber auch als Unternehmer – wer bei Null anfängt, hat es nicht leicht. Das ist vielleicht nicht erstaunlich, aber es durchkreuzt unsere meritokratischen Vorstellungen, wonach Arbeit und Fleiss darüber entscheiden, wer es zu etwas bringt. Das bedeutet nicht, dass sich Arbeit nicht lohnt, aber es hilft, einen Vorsprung zu haben, zum Beispiel in Form eines bestehenden Unternehmens oder von Kapital.

Simon Teuscher
«Die unumwundene Bejahung des Reichtums ist eine Besonderheit des 19. und 20. Jahrhunderts», sagt Geschichtsprofessor Simon Teuscher. (Bild: Thomas Gull)

 

Wann war jemand reich im Mittelalter, wann gilt heute jemand als reich?

Heute bedeutet Reichtum vor allem, viel Geld zu haben. Doch Reichtum zu messen ist gar nicht einfach – zum Beispiel wegen der zunehmenden Bedeutung der Off-Shore-Vermögensverwaltung. Auch schon für die Welt des Mittelalters, die nur teilweise monetarisiert war, lässt sich Reichtum schwer quantifizieren. Damals waren hingegen die Verflechtungen mit der politischen Macht offensichtlich. Vorstaatliche Einheiten wie zum Beispiel eine Stadt Zürich oder ein Königreich Frankreich gehörten in dieser Zeit zu den effizientesten Reichtumsgeneratoren und verhalfen den Menschen, die da an den Schalthebeln sassen, zu Wohlstand. Im frühen Mittelalter bedeutete das Verfügen über die Arbeitskraft von Menschen Reichtum. Im späteren Mittelalter war es der Landbesitz, dann mit der Kommerzialisierung wurden auch materielle Dinge, beispielsweise kostbare Stoffe, als Ausdruck von Reichtum immer wichtiger. Über die Zeiten hinweg sehen wir auch in wechselnden Formen den Wunsch, Reichtum zu sublimieren und in etwas umzuwandeln, was mehr als nur materieller Reichtum ist. Für das Mittelalter denke ich an die Stiftungen von Kirchen und Klöstern. Wer wirklich reich war, verwandelte materiellen in spirituellen Reichtum und sicherte durch Klostergründungen den Lebensunterhalt für Nonnen oder Mönche, die für ihn beteten. 

Wie sublimiert man heute seinen Reichtum?

Reiche konkurrieren heute etwa darin, Kunstsammlungen anzulegen, die sie dann der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, oder übertrumpfen sich mit wohltätigen Stiftungen. Auch hier sehen wir die Vorstellung, dass dieser individuell erworbene Reichtum, der auch aus unschönen Geschäften stammen kann, in den Dienst von etwas Höherem gestellt wird. Das ist eine überraschende Konstante, denn die Vorstellungen über das Seelenheil, die einst hinter religiösen Stiftungen standen, sind weitgehend weggebrochen. 

Reich sein alleine genügt nicht mehr, wenn man sehr reich ist?

Das wird schnell ein wenig anrüchig. Es gibt zwar den Dagobert Duck als Comic-Figur, der eignet sich aber nicht unbedingt als Vorbild für wirkliche Reiche.

Welche Folgen hat unser Streben nach Reichtum?

Eine Besonderheit der westlichen Kultur der letzten zweihundert Jahre ist vielleicht das unumwundene Bejahen zumindest eines kollektiven Bereicherungsimperativs. Die individuelle Bereicherung wurde kontroverser gesehen. Dass wir uns aber als Gesellschaft bereichern sollen, damit wir besser leben können als unsere Vorfahren, das war über parteipolitische Gräben hinweg lange unbestritten.

Wann hat die Reichtumsverehrung angefangen?

Es gab immer Leute, die in der einen oder anderen Form viel akkumuliert haben. Eine europäische Geschichte der Reichtumsvermehrung könnte man beispielsweise mit den Wikingern beginnen lassen, oder mit den Bürgern der neugegründeten Städte, die versucht haben, mit Handel Erträge in ganz anderem Umfang zu erwirtschaften als man es in den damaligen, agrarisch geprägten Gesellschaften kannte. Ein Kulminationspunkt war wohl der Moment, als das Verfolgen individueller Interessen dadurch legitimiert wurde, dass dies der Gesamtheit zugutekomme.

Wie etwa durch den Ökonomen Adam Smith mit seiner Theorie der unsichtbaren Hand?

Ja, Adam Smiths «Wohlstand der Nationen» und andere liberale Weltentwürfe. Die unumwundene Reichtumsbejahung ist eine Besonderheit des 19. und 20. Jahrhunderts. Stellvertretend für dieses Denken steht die Aufforderung «Enrichissez-vous par le travail et l’épargne» («Bereichert Euch durch Arbeit und Sparsamkeit»)! die der französische Regierungschef François Guizot 1848 an die Arbeiterklasse richtete.Guizot entwirft die Bereicherung als kollektives Projekt – er ruft zur individuellen Bereicherung auf, die aber im Interesse des Gesamten steht. Dieses Paradigma ist jetzt am Bröckeln. Das macht die historische Auseinandersetzung mit dem Reichtum erst recht interessant.

Weshalb bröckelt der Bereicherungsimperativ?

Mit dem Klimawandel stellt sich die Frage, ob wir ihn uns weiterhin leisten können, oder ob wir uns damit nicht den Boden unter den Füssen wegziehen, indem wir die natürlichen Ressourcen erschöpfen. Unterdessen lassen sich Warnungen, dass es nicht immer so weitergehen kann, kaum überhören.

Vielleicht leben wir in der Endzeit der Reichtumsverehrung. Und gerade jetzt führen Sie dazu einen Kongress durch. Weshalb?

Die Forschung hat sich in den letzten Jahren sehr stark mit der Genese des Kapitalismus beschäftigt. Das hängt mit Diskussion zusammen, wie der Kapitalismus heute zu flicken sei und wie er sich verändern muss. Dazu gehören auch die Debatten über die Grenzen des Wachstums, die mit der Umweltproblematik und der Klimaentwicklung  verknüpft sind. Gleichzeitig stellen uns Themen wie Hausarbeit oder Kinderbetreuung vor neue Fragen: Wie sollen die vielen Menschen, die unbezahlte Arbeit leisten, am monetären Reichtum teilhaben? Muss der Staat einspringen? Müssen wir das Verhältnis zwischen Produktivität, Arbeit und Reichtumsverteilung neu denken? Solche Fragen bilden anregende Ausgangspunkte für das Befragen der Vergangenheit. Und wir glauben, dass sich das Thema Reichtum eignet, um die historische Forschung einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Reichtum geht alle an.