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Schlachtfeld der Worte

Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland wird nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten geführt. Der Slawist Daniel Weiss hat den öffentlichen Diskurs in den Konfliktländern analysiert. «Zwischen den Konfliktparteien findet kaum ein wirklicher Dialog statt», sagt der Forscher.
Tanja Wirz
Emotionale Auseinandersetzung: Protest gegen die russische Krim-Politik in Kiew 2014.

Wer einen Krieg führen will, braucht nicht bloss Soldaten und Waffen, er muss auch seine Bürger überzeugen, dass es richtig sei, Menschenleben und Geld dafür einzusetzen. Bewaffnete Konflikte sind darum keineswegs stumme Angelegenheiten, sondern werden von umfangreichen Wortgefechten begleitet. Wie diese aussehen können, zeigt eine linguistische Studie der Zürcher Slawisten um den emeritierten Professor Daniel Weiss. Er und sein Team haben den Diskurs untersucht, der die Krim-Krise von Ende 2013 bis Anfang 2015 begleitet hat.

Konflikt ohne Ende

Zur Erinnerung: Im Winter 2013 demonstrierten in Kiew Hunderttausende von Ukrainern auf dem Majdan-Platz gegen Präsident Janukowitsch, weil dieser offenkundig korrupt war und die Verhandlungen über eine Annäherung an die EU plötzlich abgebrochen hatte – vermutlich auf russischen Druck hin. Als die Regierung versuchte, die Proteste gewaltsam zu beenden, starben zahlreiche Menschen, und schliesslich wurde Janukowitsch abgesetzt und Neuwahlen wurden ausgerufen. Vor diesen Hintergrund – der Frage, ob die Ukraine sich eher Europa annähern solle oder Russland – kam es auf der Krim-Halbinsel zu Konflikten zwischen den Anhängern beider Lager. Die lokale Verwaltung der Krim rief Putin zu Hilfe, und bald darauf besetzte die zunächst verdeckt operierende russische Armee wichtige strategische Punkte, entwaffnete das ukrainische Militär und riegelte die Grenzen ab.

Die russische Regierung erklärte, dies sei bloss zum Schutz des grossen russischsprachigen Bevölkerungsteils auf der Krim geschehen; viele westliche Staaten sind aber der Ansicht, Russland habe damit Völkerrecht verletzt. Eine Abstimmung auf der Krim im Frühjahr 2014, die fast einstimmig den Anschluss an Russland forderte, wird von der EU und anderen Staaten nicht anerkannt. Ausserdem wurden Sanktionen gegen Russland erhoben, auch von den USA. Wladimir Putin stoppte daraufhin seinerseits die Einfuhr von Agrarprodukten aus den betreffenden Ländern. Der Konflikt weitete sich schliesslich auf das Festland aus und forderte bis heute über zehntausend Tote.

Marionette und Bauernopfer

Daniel Weiss und sein Team haben nun untersucht, wie die verschiedenen Parteien ihr Vorgehen legitimieren. Was sagen und schreiben die politisch Verantwortlichen in der Ukraine und in Russland dazu? Was die ostukrainischen Separatisten? Und welchen Einfluss hat der Konflikt auf den öffentlichen Diskurs in den Nachbarländern Polen und Tschechien? Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler Regierungsstatements, Parlamentsdebatten, Reden in der UNO-Generalversammlung und Debatten im Fernsehen in vier verschiedenen Sprachen analysiert. Fragen, welche die Linguistinnen und Linguisten dabei besonders interessierten, waren: Welche Begriffe tauchen in diesen Diskursen auf? Welche Metaphern und Vergleiche werden benutzt, um der Zuhörerschaft die eigene Position plausibel zu machen? Und welche kommunikativen Strategien benutzen die Sprecher dazu?

Spezielles Augenmerk richteten die Forschenden auf die implizite Kommunikation, also die Taktik, nicht einfach geradeheraus zu sagen, was man will, sondern seine Argumente zum Beispiel über den Umweg von rhetorischen Fragen oder Ironie vorzubringen. Die gesammelten Texte wurden mit Hilfe eines Computerkonkordanzprogramms auf besonders häufig verwendete Schlüsselbegriffe durchsucht, wie etwa «Gefahr», «Krieg» oder «Rechtsbruch». Diese Analyse ermöglicht quantitativ abgestützte Vergleiche zwischen den einzelnen Ländern. So lässt sich zeigen, dass in der Ukraine von «Krieg» die Rede ist, während der Begriff in Russland (und im pro-russischen ukrainischen Lager) praktisch nicht vorkommt, sondern stets von «Bürgerkrieg» gesprochen wird. «Der russische Diskurs verneint systematisch, dass es in der Ostukraine einen Krieg gibt, und ebenso, dass die russische Armee darin involviert ist», so Weiss. Ausserdem zeigte die Computeranalyse, dass im russischen Diskurs überdurchschnittlich viel von den USA oder generell vom Westen die Rede ist. «Der Kreml betrachtet den Ukraine-Konflikt als Teil einer globalen Ausmarchung zwischen Washington und Moskau», sagt Weiss.

«Die Russen sehen die Ukraine nur als Spielball im Konflikt zwischen grösseren Mächten. Daher verwenden sie für die Ukraine auch gerne Metaphern wie Marionette, Spielgeld oder Bauernopfer.» Oder es werden Verwandtschaftsmetaphern benutzt, wobei der Ukraine eine untergeordnete, weibliche Rolle zugeschrieben wird, etwa als «jüngere Schwester». Auf ukrainischer Seite hingegen machte der Begriff «antiterroristische Operation» eine steile Karriere. Gemeint war damit das gezielte Vorgehen gegen die Separatisten im eigenen Land, die damit als «Terroristen» abgestempelt wurden. Generell versuchten beiden Parteien mit gezielter Wortwahl, ihren Bürgern Angst vor dem Gegner zu machen.

Überall «Nazis»

«Zwischen den Konfliktparteien findet kaum ein wirklicher Dialog statt», sagt Weiss, «sie sprechen nur übereinander, nicht miteinander.» Man müsse also annehmen, dass die Diskurse sich hauptsächlich an die eigenen Wähler richten oder dann an mögliche Verbündete im Ausland. Ein weiterer Befund war die grosse Beliebtheit von historischen Vergleichen als Argumentationsstrategie. Allerdings werden diese Vergleiche äusserst beliebig eingesetzt: So bezeichnen fast alle ihre politischen Gegner wahllos als «Nazis». Den Vergleich mit dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum benutzten sowohl die Separatisten als auch die Gegner einer Ablösung der Krim von der Ukraine.

Wieso sind historische Vergleiche denn so beliebt? Vielleicht weil sie den Anschein einer rationalen Begründung geben? Weiss zuckt die Achseln und sagt: «Sie funktionieren, weil das Publikum nicht über den nötigen historischen Hintergrund verfügt.» Auffällig war, wie oft in der politischen Kommunikation von allen Seiten auf althergebrachte Klischees zurückgegriffen wurde: Wer möglichst viele Wähler überzeugen will, argumentiert ungern differenziert. Immerhin: Im russischen Diskurs fanden die Forschenden erstaunlich viele Meinungen, die von offiziellen Positionen abwichen, zum Beispiel bei kleinen Radiosendern. «Einzelne geniessen da ein recht hohes Ausmass an Narrenfreiheit», bemerkt Weiss. «Das hätten wir so nicht erwartet.» Möglicherweise würde die Analyse von sozialen Medien noch mehr Erkenntnisse in dieser Richtung bringen, doch diese Arbeit hätte den Rahmen des Forschungsprojekts gesprengt und muss wohl zukünftigen Studien überlassen bleiben.

Weiterführende Informationen

UZH Magazin

Dieser Artikel stammt aus dem UZH Magazin.